Der Informant und seine Polizistin

Die Affäre um den Rocker-Informanten des Landeskriminalamts wird immer bizarrer: Der Mann ist, wie diese Zeitung letztens enthüllt hatte, ein notorischer Betrüger, der mit mehreren Haftbefehlen gesucht wird. Er hat sogar die Hells-Angels-Ermittler belogen – und wird trotzdem als Kronzeuge versteckt. Wirklich nur zu seinem Schutz? Oder gibt es etwas zu verbergen? Neue Dokumente belegen: Der Mann hat seine kriminellen Geschäfte nicht allein betrieben. Eine Frau stand ihm bei. Sie ist Kriminalbeamtin in Frankfurt.

Wiesbaden/Frankfurt. Vera K. ist 33 Jahre alt, gut 1,80 Meter groß, sehr schlank, und ihre brünetten Haare trägt sie gerne zum Zopf zusammengebunden. Die gebürtige Sächsin, deren Namen wir hier geändert haben, gilt als sportlich, sie läuft, spielt Tennis und Squash, und sie gibt als Hobbys auch Reisen und Lesen an. Eine attraktive Frau, wohnhaft in Karben, in einem Mehrfamilienhaus.

Allerdings zurzeit recht viel allein.

Denn der Mann an ihrer Seite ist seit Wochen spurlos verschwunden. Er ist 42 Jahre alt und hat als Dachdecker gearbeitet, bis sein Mini-Unternehmen pleite ging und er eine eidesstattliche Versicherung abgeben musste. Seinen Namen zu schützen macht keinen Sinn mehr: Daniell M. hat im Rhein-Main-Gebiet eine Spur der Verwüstung und auch der Wut hinterlassen. Hausbesitzer, die ihm die Reparatur ihres Daches anvertrauten und deshalb auch ihr sauer Erspartes, wurden von ihm um teilweise fünfstellige Summen geschädigt.

Daniell M. hat zudem hohe Schulden bei Banken, er lieh und leaste Luxusautos und bezahlte sie nicht, ein Zahnarzt in Altenstadt blieb auf seinen Behandlungskosten sitzen, ein Gynäkologe in Frankfurt verzeichnete Mietausfall in fünfstelliger Höhe, und selbst Rechtsanwalt Martin D., der Daniell M. jahrelang aus der Patsche half, hat noch eine Rechnung offen.

Es ist nicht damit zu rechnen, dass diese Menschen ihr Geld jemals bekommen werden. Denn Daniell M. hat sich dem Landeskriminalamt (LKA) in Wiesbaden als Informant gegen die Rockerbande Hells Angels angedient. Deshalb wurde er zu seiner Sicherheit ins Ausland gebracht. Er ist jetzt Kronzeuge: Neuer Name, neue Papiere – so soll Daniell M. vor der Rache der Hells Angels geschützt werden (wir berichteten).

Zu einem ernsthaften Problem für ihn wie für das LKA könnten jetzt allerdings neu aufgetauchte Dokumente werden, die beweisen: Daniell M. hat sich bei seinen kriminelle Geschäften teilweise auf die Unterstützung seiner Lebensgefährtin Vera K. verlassen können. Mit ihr teilte er die Wohnung in Karben, sie ist Mutter eines seiner Kinder. Und sie war Geschäftsführerin seines dubiosen Dachdecker-Unternehmens, das als Sitz nur Wohnadressen angeben konnte. Mal in Karben. Mal in Frankfurt.

Allerdings: Vera K. ist auch Polizeibeamtin. Die Kriminalhauptkommissarin arbeitet bei der Fachdienststelle KK 25 in Frankfurt, die für Kfz-Delikte zuständig ist.

Der betrügerische Kronzeuge und die schöne Polizeibeamtin: Wie passt das zusammen? Warum ließ sich die Kripo-Frau mit dem vorbestraften Möchte-gern-Rocker ein, der als Hochstapler und Betrüger bereits dicke Akten füllte? Warum gab sie sich als Chefin seiner Firma aus, mit der er etliche Menschen um ihr Geld brachte?

Im Handelsregister ist nachzulesen, dass Vera K. am 27. Dezember 2006 als Geschäftsführerin in die GmbH von Daniell M. eintrat. Der Mann hatte schon damals eine simple Masche entdeckt, mit seiner Firma schnell zu viel Geld zu kommen:

Er offerierte in der seriösen F.A.Z. günstige Dachsanierungen. Bekam er den Zuschlag, besorgte er sich beim Großhandel die notwendigen Materialien – oftmals gegen Rechnung, die er nicht bezahlte. Kaum war das Dach abgedeckt, verlangte er Nachschläge – die Hausbesitzer hatten keine andere Wahl und mussten zahlen.

Richtig teuer aber wurde es für sie, wenn Daniell M. abzog: Er hatte Pfuscharbeit abgeliefert, mit teils gravierenden Mängeln. Rechtsanwälte mussten engagiert, Gutachten erstellt werden, Prozesse folgten… Fast immer blieben die Hauseigentümer auf ihren Kosten sitzen.

Dabei hatte die Firma, das sagten mehrere Geschädigte im Gespräch mit dieser Zeitung, anfangs durchaus seriös gewirkt. Hatte schickes Briefpapier, auf denen die Namen von Vera K. und Daniell M. gedruckt waren. Als unmissverständliches Signal: Eine Firma mit zwei Geschäftsführern – die muss ja erfolgreich sein!

Hinterher ist man immer klüger…

Besonders schlimm traf es eine Eigentümer-Gemeinschaft an der Heddernheimer Kirchstraße. Das Angebot von Daniell M. zur Dachreparatur belief sich auf exakt 3973 Euro. Kaum waren die Pfannen abgedeckt, verlangte er Nachzahlung. Beim nächsten Regen lief Wasser ins Haus: 4270 Euro Schaden. Die Versicherung zahlte, aber an Daniell M. – und die Wohnungseigentümer schauten in die Röhre.

Die Dachreparatur zog sich hin, immer wieder wurden neue Nachzahlungen fällig – Ende 2006 präsentierte Daniell M. seine Endabrechnung: Auf 50-780,50 Euro war sein Preis angestiegen. Plus 7000 Euro „Containergeld“. Die Hauseigentümer zahlten, was blieb ihnen anderes übrig.

Wenige Monate später stellten sie derart viele Mängel fest, dass das Dach komplett erneuert werden musste. Weil M. dazu nicht in der Lage war, musste eine andere Firma ran. Am Ende zahlten die Hauseigentümer weitere 52.938,74 Euro. Plus Gutachter-, plus Rechtsanwaltskosten…

Sie haben geklagt gegen Daniell M. Sie haben auf ganzer Linie gewonnen. Das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Az. 2-1003/09) ist rechtskräftig und vollstreckbar. Aber die Menschen aus der Heddernheimer Kirchstraße werden wohl keinen Cent kriegen. Das LKA hat Daniell M. versteckt, es schützt ihn. Er ist ja ihr Kronzeuge im Feldzug gegen die Hells Angels.

Die Kripobeamtin Vera K. will sich heute zu den Geschäftspraktiken der Bedachungs-GmbH, in der sie die Chefin gab, nicht äußern. Und so bleibt auch die Sache mit dem Jaguar X K 8 Coupe im Dunkeln: Im Juli 2007 kaufte Daniell M. ein Auto dieser Luxusmarke – und meldete es auf den Namen der Polizistin an. Später wollte man die Edelkarosse gegen einen sportlichen Porsche eintauschen, es gab jedoch Ärger wegen eines Unfallschadens, wieder mündete der Streit in einen Prozess.

Wir blicken in das Leben eines Handwerkers, der sich als Rocker ausgab und drängenden Gläubigern schon mal drohte, er werde seine Freunde, die Hells Angels, vorbeischicken. Bankbelege beweisen, dass der Dachdecker und seine Polizistin zu jener Zeit mindestens ein gemeinsames Konto führten. Von dem wurden zum Beispiel die ADAC-Jahresgebühr für Daniell M. (Mitgliedsnummer 281 978 942) abgebucht, sein Mitgliedsbeitrag für die Eintracht und auch monatlich 59,90 Euro für die Fitness-Company. Mal gingen 2000 Euro ein („Gehalt M./K.“), fünf Tage später wurden 23 000 Euro eingezahlt, bar, einfach so…

Was weiß die Polizistin von den krummen Geschäften ihres Partners? 2007 schied sie aus der GmbH aus, aber es liegen Dokumente vor, wonach sie weiter für ihn tätig war. Sie schrieb für ihn Briefe (er beherrscht die Rechtschreibung nur partiell), sie lebte mit ihm in einer Wohnung.

Als seine Ehefrau findet sie sogar Erwähnung in einem Gerichtsurteil des Amtsgerichts Frankfurt. Daniell M. hatte einen Jugendlichen zusammengeschlagen und ihm das Nasenbein gebrochen. Im Urteil vom 23. Oktober 2008 (Az 955 Ds 4710 Js 219990/08) heißt es: „Seine Frau ist als Kriminalrätin berufstätig.“

Vera K. – eine Kriminalrätin? Da hatte Daniell M. wohl wieder ein bisschen dick aufgetragen. So weit hat es die Frau denn doch noch nicht gebracht. Gleichwohl muss dem Richter die häusliche Polizeipräsenz imponiert haben: Er ließ Milde walten und verhängte nur 1000 Euro Strafe.

Daniell M. hat’s nicht mehr geholfen. Sein Betrugsgebäude stand bereits unmittelbar vor dem Zusammenbruch:

Die Sparkasse hatte dem Mann, als er sich selbständig gemacht hatte, 100 000 geliehen (Bürgschaft Nr. 5100218321). Im Mai 2008 forderte sie ihr Geld zurück, der Schuldenstand war inzwischen auf 206 817,08 Euro angewachsen.

Ein Nürnberger Anwalt schrieb ihn im September 2008 an: Er habe umgehend seine Schulden bei der Daimler Chrysler Leasing GmbH – exakt 13.760,95 Euro – zu begleichen.

Ein Coburger Inkasso-Unternehmen verlangte im Oktober 2008 für die Volkswagen Bank 17.435,67 Euro – „unverzüglich“!

Ein Zahnarzt aus Altenstadt verlangte per Anwalt 6333 Euro: Die Behandlung lag Jahre zurück, der Arzt hatte sich durch alle Instanzen geklagt.

Eine Frankfurter Anwaltskanzlei forderte im Mai 2009 im Namen des Autovermietung Avis 8794,38 Euro zzgl. 718,40 Anwaltskosten.

Ein Krifteler Unternehmen, bei dem sich Daniell M. wiederholt Dachmaterial besorgt hatte, schickte ihm im August 2009 den „offenen Forderungsstand inkl. Zinsen und Kosten: 9986,69 Euro“.

Auch beim Frankfurter Gynäkologen Dr. O. steht er bis heute dick in Kreide: Sechs Monate lang habe der Mann die 1700-Euro-Miete für ein möbliertes Appartement nahe der Zeil nicht bezahlt, klagt der Mediziner. Eines Tages sei er einfach verschwunden – mitsamt Möbeln.

Daniell M. total am Ende. Von zwei früheren Frauen, mit denen er drei Kinder hat, konnte er nichts erwarten – im Gegenteil: Auch sie hatten gegen ihn Klage eingereicht: Seit Jahr und Tag zahlte er keinen Unterhalt.

Seine angeblichen Kumpels, die Hells Angels, die er überall als seine Freunde ausgab, hatten ihn längst als Hochstapler entlarvt. Und ausgegrenzt.

Er glaubte noch, seine Geschichten an Journalisten verkaufen zu können. Er ging zum Magazin „Stern“. Doch da lachte man ihn nur noch aus.

Da ging er, es war Ende 2009, zur Polizei. Unklar ist, welche Rolle die Kriminalbeamtin Vera K., die Mutter seines Weihnachten 2006 geborenen Sohnes Aaron, bei alledem spielte. 2009 soll sie sich angeblich von ihm getrennt haben, stand aber weiter mit ihm in Kontakt. Gab sie ihm den Tipp, sich bei der Kripo anzudienen? Hat sie ihn gebrieft, was er alles erzählen müsse, um als Kronzeuge anerkannt zu werden?

Im Landeskriminalamt Wiesbaden hörte man Daniell M. nur zu gerne zu. Nahm zu Protokoll: Dass er alles über die Hells Angels wisse. Dass sie mit Waffen und Drogen dealten. Dass Rocker Behörden unterwandert hätten, sogar die Polizei!

Und weil die Ermittler so begierig zuhörten, packte er noch einiges obendrauf: Dass die Hells Angels von einem italienischen Edelgastronomen aus dem Taunus Waffen beziehen würden – mit dem Wissen von Polizeibeamten. Dass Polizisten in seiner Gegenwart gekokst hätten. Dass er Beamte mit Geld bestochen habe. Dass sie ihm, der doch ein so gefährlicher Rocker sei, hochgeheime Informationen verkauft hätten…

Die Ermittler beim LKA haben diese Erzählungen nie hinterfragt. Sie wähnten den ganz großen Schlag. Sie gründeten ihre Arbeitsgruppe „Pueblo“. Und sie versteckten Daniell M. an einem geheimen Ort, angeblich am Mittelmeer, unter der Sonne.

Heute steht fest, dass Daniell M. etliche Geschichten frei erfunden hatte. Er hat die Ermittler genauso über den Tisch gezogen wie vorher die Hausbesitzer. So waren die fünf Polizeibeamte, die auf seine Aussagen hin vor einem Jahr bei Großrazzien spektakulär festgenommen wurden, nachweislich nicht in kriminelle Rocker-Geschäfte verwickelt.

Beim Landeskriminalamt in Wiesbaden will man dazu offiziell jetzt gar nichts mehr sagen. Der verantwortliche Innenminister Boris Rhein, der vor einem Jahr aufgeregt und laut Alarm geschlagen hatte, weil er unser aller Sicherheit in Gefahr wähnte, ist auf Tauchstation gegangen. Will sich nicht mehr äußern. Kein Wort von ihm zur Kriminalbeamtin, die mit einem Möchte-gern-Rocker engstmöglich kollaborierte. Rhein-Sprecher Mark Kohlbecher sagt nur, dass man nichts mehr sage.

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PS: Neuer Ärger droht! Daniell M. hat sein Versteck selbst verraten! Bei der Hells-Angels-Razzia Ende September hatten die Ermittler allerhand Unterlagen beschlagnahmt. Darunter entdeckten sie jetzt Mails, die Daniell M. geschickt hatte. Er jammert darin, der Bericht über ihn in dieser Zeitung (21. September: „Der Informant“) sei „beschämend“. Ansonsten gehe es ihm gut, schreibt er auch, man könne ihm nichts anhaben, er sei schließlich in Sicherheit…

Wenn er da nur nicht irrt! Der Mann hat wohl noch nie gehört, dass jede Mail versteckt Angaben zum Absender enthält. Die Hells Angels wissen jetzt genau, wo der Mann sich aufhält: Die Mail kam aus Israel, wurde aus Kfar Saba abgeschickt.

Man kennt das 80 000-Seelen-Städtchen. Es liegt 15 Kilometer von Tel Aviv entfernt. Es ist die Partnerstadt von Wiesbaden.

Erschienen in der FNP am 14.10.2011