Der Traum der alten Männer

In diesem Haus atmet alles Geschichte: Die grauen Steine in den Wänden. Die derben braunen Balken dazwischen. Die ausgetretenen Natursteine im Fußboden. Da braucht’s nur wenig Phantasie, und die Vergangenheit lebt wieder auf:

Der Hattsteiner Hof in der Herrnhäuser Straße 1, inmitten von Wallaus historischem Ortskern, vor mehr als 500 Jahren erstmals urkundlich erwähnt und in heutiger Form vor rund 300 Jahren erbaut, ist längst nicht nur restaurierte Fassade. Hier, in der hinteren Scheune, findet sich ein weitgehend unbekanntes museales Schatzkästchen, das im weiten Umkreis seinesgleichen sucht.

Eine Gruppe ehemaliger Drucker und Schriftsetzer um das Wallauer Urgestein Erwin Born betreibt in dem historischen Gemäuer eine altertümliche Druckerei – mit Arbeitsmaterialien und Maschinen, die heutzutage so selten zu sehen sind wie Plattenspieler und Telefonzellen. „Hattstein-Offizin“ sagen sie, wie Buchdrucker im späten Mittelalter ihren Schaffensraum bezeichneten. Am Sonntag wird dieses außergewöhnliche Mini-Museum seine Pforten öffnen: Am 18. Juni, am Tag der offenen Höfe und Kunst in Wallau, kann es besichtigt werden.

Nicht nur das uralte Haus und die historischen Gerätschaften sind das Besondere. Auch die „Macher“ sind bemerkenswert: Erwin Born, Eigentümer des Hattsteiner Hofes und früher Besitzer einer Druckerei direkt nebenan, ist jüngst immerhin schon 80 Jahre alt geworden. Anton „Toni“ Baumann, der erfahrene Druckermeister, ist 81 Jahre alt (und, das nur am Rande, noch immer tagtäglich mit seiner Druckerei-Zubehör-Firma im Einsatz). Hermann Schmelz aus Hofheim- Stadt, dritter im zentralen Bunde, ist mit bald 84 Jahren der Senior. Seine feingliedrigen Finger verraten, dass nicht das etwas derbere Gewerbe der Drucker seins war: Er ist Schriftsetzer, „das waren immer die Intelligenten“, sagt er und lacht verschmitzt.

Um dieses Senioren-Trio gibt es eine Handvoll Männer, fast alle im betagten Rentneralter: Sie teilen die Leidenschaft für ihren Beruf, der längst ausgestorben ist, sie haben darüber hinaus ein gemeinsames Betätigungsfeld gefunden, das den Alltag des Alters ausfüllt. Ihr Job war einer, der die Schnelligkeit und Hektik der heutigen Berufswelt weder kannte noch benötigt: Wenn der Hermann Bleibuchstabe für Bleibuchstabe auf eine längliche Metallschiene setzt und zu Worten zusammenschiebt, die einzelne Letter kann groß sein wie eine Streichholzschachtel oder auch so klein, dass man sie nur mit einer Pinzette anfassen kann: Das dauert halt. Er zeigt auf eine Buchstaben- platte, die dunnemals angelegt wurde, um die Seite eines Bahnfahr- plans drucken zu können. „Das waren vier Wochen Arbeit“, sagt er. Vier Wochen für nur diese eine Seite? Er nickt: „So war das eben.“

So war das eben: Hier finden sich noch Schränke voll Schubladen, die wiederum in kleine Felder aufgeteilt wurden: für jede Schriftart eine Schublade, für jeden Buchstaben ein Feld. Es sind Setzkästen, die heute auf Flohmärkten als Zeugnis früherer Handwerkskunst gefragt sind: Sie wurden nicht in Leicht- und Billigbauweise angefertigt wie die Möbel im nahen Ikea-Geschäft. Sie stammen aus Schreinereien, jede einzelne hochwertige Handarbeit, eben deshalb haben sie Jahrzehnte überdauert und sind noch immer in ihrem ursprünglichen Einsatz.

Das Schmuckstück des kleinen Privatmuseums, der Stolz der alten Männer: Das sind natürlich die schweren Maschinen. Die Stoppzy- linder-Schnellpresse, erbaut 1933 in der Maschinenfabrik Johannisberg in Geisenheim/Rheingau, so groß wie drei, vier Schreibtische hintereinander und so schwer, dass unter der Scheune ein Extra-Betonfundament angelegt werden musste. Daneben der Bostontiegel, erbaut 1928 in Leipzig, und dann der etwas jüngere Heidelberger Tiegel, immerhin jetzt auch schon mehr als 50 Jahre alt.

Es sind extrem schwergewichtige Apparaturen, die aber zugleich höchst filigran wirken und äußerst feinfühlig eingestellt werden müssen, damit ein perfekter Druck gelingt. Wenn der Erwin oder der Toni, der Hermann oder all die andren Männer die Maschinen sehen, sie anfassen und manchmal auch sachte streicheln, dann vermeint man bei ihnen Hochachtung vor diesen robust-stählernen Ungetümen zu erahnen, denen doch eine ganz andere Schaffenskraft innewohnt als einem kalten, computer-gesteuerten Laserdrucker. Und wehe, einer der Männer verlässt eine der Maschinen, ohne sie zuvor blitzblank gesäubert und alle Stellschrauben wieder ordnungsgemäß zurückgedreht zu haben: Dann kann der Toni richtig fuchtig wer-
den, man weiß nicht so recht, ob er ernsthaft grantig ist oder nur schandudelt. Auf alle Fälle wirkt’s.

Einen Traum haben die alten Männer noch: Dass, wenn es mit ihnen zu Ende geht, nicht auch ihr Museum stirbt. Dass sich einer findet, der ihren Beruf so liebt wie sie, der Lust und Leidenschaft am Buchstabe-für-Buchstabe-Setzen, an Druckerschwärze und an ihren Maschinen findet. „Einer, der einfach weitermacht, wie’s früher war – den suchen wir“, sagt Erwin Born. Die anderen nicken nur. Es sieht nicht so aus, als ob sie wirklich daran glauben, dass ihnen dieses letzte Glück vergönnt ist. Aber manchmal sollen Träume ja wirklich wahr werden…

Erschienen in der FNP am 16.06.2017

Hunzinger-Firma kriegt die Krise

Moritz Hunzinger schwer unter Beschuss: Der frühere Promi- und Polit-Berater aus Frankfurt soll mit einem Unternehmen namens Cashcloud ganz bös’ Schiffbruch erlitten haben. In Unternehmerkreisen sei „von möglicher Insolvenzverschleppung“ die Rede, schreibt das Manager Magazin. Vollmundig betriebene Börsenpläne seien total gefloppt, der 57-Jährige stehe seit Monaten „offenbar mit dem Rücken zur Wand“, weshalb das Unternehmen jetzt kurzerhand verkauft („Notverkauf“) und umbenannt (in „InFin Innovative Finance AG“) worden sei.

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Der Deal der Geheimagenten

Ein Frankfurter Luxus-Hotel als Schauplatz eines hochkriminellen Deals: Hier verkaufte ein ehemaliger Schweizer Bank-Mitarbeiter für mehr als 100.000 Euro die Kontodaten von tausenden Privatleuten, darunter auch die Finanzunterlagen des früheren Präsidenten des deutschen Geheimdienstes BND. Inzwischen beschäftigt der Fall die Staatsanwaltschaft. Unterlagen, die dieser Zeitung vorliegen, beweisen nicht nur, dass mit vertraulichen Bankdaten offenbar ein schwunghafter Handel betrieben wird. Sie geben zugleich Einblick in die Dunkelwelt privater Geheimagenten, die am Rande der Legalität operieren – vermutlich auch im Dienste großer Geldhäuser.

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Der Anwalt und sein Roter Adam

Als Anwalt hat er Schlachten vor Gericht ausgetragen, die in die Rechtsgeschichte Hessens eingehen werden. Er verhalf vier Steuerfahndern, die mit Falschgutachen für verrückt erklärt und von der Behörde zwangspensioniert worden waren, zu Schadensersatz in insgesamt sechsstelliger Höhe. Mit seiner Hilfe wurde ein Frankfurter Kriminalbeamter, der von der heutigen LKA-Chefin jahrelang mit falschen Anschuldigungen ausgegrenzt worden war, vollständig rehabilitiert, der Mann bekam dazu 8000 Euro Schmerzensgeld. Er erkämpfte für einen Polizeiführer, der bei einer Beförderung vom damaligen Innenminister Bouffier widerrechtlich übergangen worden war, 50.000 Euro…

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Unter falschem Verdacht

Neues Kapitel in der Affäre um einen Kronzeugen des LKA Hessen: Die Staatsanwaltschaft Frankfurt ermittelt gegen einen Kriminalbeamten, der dieser Zeitung geheime Infos zugespielt haben soll. Das Telefon des Mannes wurde abgehört, er wurde vom Dienst suspendiert, er musste seine Waffe abgeben, er bekam Hausverbot. Es handelt sich um einen Justizirrtum; der Behörde droht jetzt eine teure Schadenersatzklage.

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Serie, Teil 4: Der letzte Trumpf des LKA

Er hat mit den Beamten des LKA Hessen zusammengearbeitet, hat sie (…) mit Infos versorgt und als Kronzeuge bei der Vorbereitung der Vereinsverbote gegen die Hells Angels unterstützt. Er hat dafür Geld bekommen, viel Geld – mit Dankbarkeit durfte er da wohl nicht mehr rechnen. Am Ende schoben sie ihn nach Israel ab, mit einem ganz billigen Trick.

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Serie, Teil 3: Schlamperei im Amt

Daniell M.-D., der (…) Kronzeuge der hessischen Polizei gegen die Hells Angels, erzählte bisher vor allem über seine Erfahrungen mit dem hessischen Landeskriminalamt. Aber er erhebt auch schwere Vorwurfe gegen die Zeugenschützer aus Mainz: Sie würden durch Nachlässigkeit Zeugen unnötig in zusätzliche Gefahr bringen.

Frankfurt/Mainz. Zeugenschutz ist eine hochsensible Angelegenheit. Menschen, die in Gefahr sind, weil sie zum Beispiel als Zeuge gegen Schwerkriminelle aussagen, wird teilweise sehr weitreichender Schutz geboten. Rechtliche Grundlage dafür ist das Zeugenschutz-Harmonisierungsgesetz; für die praktische Umsetzung sorgen speziell geschulte Beamte: Sie betreuen die Zeugen rund um die Uhr, verhelfen ihnen bei Bedarf zu einer neuen Identität, besorgen ihnen eine Wohnung, einen neuen Job…

Auch die Zeugenschützer selbst geben sich Tarnnamen – zu ihrem eigenen Schutz, aber vor allem soll das den Zeugen mehr Sicherheit bieten.

Grundsätzlich gilt: Je mehr Details über die Arbeit der Zeugenschützer bekannt werden, desto gefährlicher ist es für die Zeugen.

Soweit die Theorie.

Daniell M.-D., der Kronzeuge der hessischen Polizei gegen die Hells Angels, wurde vom Zeugenschutzdezernat Mainz betreut. Die Abteilung gehört zum LKA Rheinland-Pfalz, sie untersteht Erwin Owtscharenko. Der Kronzeuge aus Hessen erhebt heute schwere Vorwürfe gegen das Dezernat: Die Beamten hätten elementare Regeln der Geheimhaltung missachtet, sie würden damit Zeugen unmittelbar gefährden. Dass sie Dienstwagen für Privatfahrten einsetzten, dass sie am liebsten mittags zu ihm kamen, um die eigene Bewirtung dienstlich absetzen zu können, das sind da nur noch Randnotizen.

Daniell M.-D. sagt, er habe binnen weniger Wochen die Klarnamen mehrerer Zeugenschützer erfahren. „Die haben einfach nicht aufgepasst.“ Schlampige Arbeitsweise hätte vertrauliche Informationen offen zugänglich gemacht.

Da ist zum Beispiel „Melanie Maus“. Das ist ihr Tarnname. Die Polizeibeamtin habe regelmäßig Dienstwagen für Privatfahrten genutzt, sagt Daniell M.-D., und eines Tages, als sie ihn zu einer Vernehmung nach Wiesbaden brachte, erzählte sie, sie sei gerade beim Röntgen gewesen, habe die Aufnahmen hinten im Auto.

Auf der Rückfahrt habe er seine Jacke in den Kofferraum gelegt, dabei die Arztdokumente gesehen: Natürlich stand ihr echter Name darauf. Melanie heißt sie wirklich mit Vornamen, ihren Nachnamen wollen wir hier nicht verraten. Melanie sollte nur wissen: Sie ist enttarnt. Nach der Logik des Zeugenschutzes ist jetzt nicht nur sie selbst gefährdet. In Gefahr sind auch und vor allem die von ihr betreuten Zeugen.

Und dann erzählt Daniell M.-D. eine Geschichte, die so unglaublich klingt, dass kaum denkbar ist, dass er sie ausgedacht haben könnte:

Während seines Irland-Aufenthalts sei er zu einer Vernehmung eingeflogen worden. Am Flughafen Frankfurt-Hahn habe, wie abgesprochen, ein Leihwagen für ihn bereitgestanden. Auf der Fahrt zu seiner Wohnung in Bad Kreuznach habe in dem Auto plötzlich ein Handy geklingelt. „Es lag zwischen den Sitzen. Offenbar hatte es jemand vergessen.“ Er sah nach: Es war das Handy von Chefzeugenschützer Owtscharenko.

Daniell M.-D. weiter: „Da waren alle Daten drin: Adressen und Telefonnummern von Zeugenschützern, von Polizeibeamten – und auch von gefährdeten Zeugen.“ Er habe sich die Daten kopiert, „sicherheitshalber“, sagt er, man wisse ja nie, wozu man die brauchen könne. Dann habe er Owtscharenko angerufen. Der sei sofort gekommen, habe sich das Telefon abgeholt.

Erwin Owtscharenko nennt sich im Dienst – auch das ist jetzt kein Geheimnis mehr – „Wilhelm Baumann“ oder „Ferdinand Berger“. Unter diesen Tarnnamen, sagt Daniell M.-D., habe ihm der Chefzeugenschützer regelmäßig Geld überwiesen. Die Namen hätten auf den Bankbelegen gestanden.

Im übrigen sei seine Post – wie auch die des ganzen Dezernates – unter den Namen „Baumann“ und „Berger“ abgewickelt worden. Dafür habe das Dezernat geheime Brief kästen eingerichtet – unter der Adresse, auf der auch seine Tarnpersonalien angemeldet wurden.

Eine Überprüfung dieser Angaben ergab: Daniell M.-D. sagt die Wahrheit. Dokumente, die dieser Zeitung vorliegen, verraten die Namen der Zeugenschützer. Und wir finden auch, im Mehrfamilienhaus an der Sophie-Cahn-Straße 3 in Mainz, die geheimen Briefkästen der Zeugenschützer. Einer ist mit „Wilhelm Baumann“ ausgeschildert, der benachbarte mit „Ferdinand Berger“. Dabei leben diese Herrschaften offensichtlich nicht in dem Haus. Wer genauer hinschaut, sieht sofort: Die Namen Baumann und Berger fehlen auf den Klingelschildern. Das wurde von den Zeugenschützern wohl vergessen…

Dagmar Meyer, Sprecherin des LKA Mainz, versuchte gestern, die Aussagen des Kronzeugen herunterzuspielen. Es sei bekannt, dass sich die Zeugenschützerin „Melanie“ selbst enttarnt habe, das sei „Anlass für eine interne Nachbereitung“ gewesen. Eine Gefährdung für die Beamtin werde nicht gesehen, auch nicht für andere Schutzpersonen.

Die Sache mit dem verlorenen Handy war offenbar noch nicht bekannt. Alle Handys seien PIN-gesichert, sagt Meyer. Hätte ein Zeuge darauf Zugriff, „würde das keine Sicherheitslücken nach sich ziehen“. Es sei auch „nicht erinnerlich“, dass ein Handy längere Zeit in den Händen des Zeugen gewesen sei.

Und die Sache mit den Tarnnamen von Erwin Owtscharenko: „Diese Namen erschienen natürlich auf dem Kontoauszug des Empfängers.“ Sie würden selbstverständlich nicht weiter benutzt.

Erschienen in der FNP am 07.02.2013