Urteil: 8000 Euro Schmerzensgeld

Beobachter sprechen von einem „einzigartigen Urteil“: 8000 Euro Schmerzensgeld muss das Land Hessen an den Kriminalbeamten Jochen Zahn zahlen, weil er von Frankfurts früherer Polizeivizepräsidentin Sabine Thurau öffentlich diffamiert und vorverurteilt worden war. Der Mann ist mit dem Richterspruch vollständig rehabilitiert. Aber ganz zu Ende ist der „Fall Zahn“ damit wohl immer noch nicht…

Frankfurt/Wiesbaden. Es war am 4. Juni 2007, da schrieb Volker Bouffier einen dreiseitigen Brief, in dem er Sabine Thurau ausdrücklich von allen Vorwürfen und Verdächtigungen freisprach. Anderslautende „vermeintliche Stimmungen, Gerüchte und Behauptungen“, so der damalige Innenminister und heutige Ministerpräsident von Hessen, würden sich nicht mit seinen Eindrücken decken, weshalb er „gegen Frau Vizepräsidentin Thurau keine disziplinarrechtlichen Maßnahmen zu ergreifen“ gedenke. Im Übrigen, schrieb Bouffier weiter, dürfe er versichern, „dass Dienstvergehen in der hessischen Polizei auch weiterhin weder vom Landespolizeipräsidenten noch von mir toleriert, sondern konsequent aufgeklärt werden“.

Si tacuisses! Hätte er doch nur geschwiegen! Oder besser: Hätte der Minister doch seinen Worten Taten folgen lassen! Hessens Polizeibehörde wäre ein langwieriger, äußerst quälender und bisweilen durchaus sehr peinlicher Prozess erspart geblieben!

Auf den Tag genau heute vor einem Jahr, am 8. März 2010, ließ sich Volker Bouffier dann noch zu einer Eloge hinreißen, wie sie wohl kein zweiter Mitarbeiter von ihm gehört haben dürfte. Er präsentierte Sabine Thurau als neue Präsidentin des Landeskriminalamtes (LKA), nannte sie „innovativ“ und „qualifiziert“ und „engagiert“, eine „gute Juristin“ und „erfahrene Polizistin“. „Sie können mit Menschen umgehen und Sie haben neben einer fundierten Ausbildung als Kriminalbeamtin auch eine hervorragende juristische Ausbildung genossen“, schwärmte Bouffier.

Selten so vertan! Sabine Thurau musste nur wenige Monate später den Präsidenten-Sessel im LKA wieder räumen. Seither sitzt sie, so sie nicht krank ist, im Innenministerium, arbeitet an irgendeinem Kriminalitätsbekämpfungskonzept und wartet auf Nachricht vom Staatsanwalt. Der Frau droht, schlimmstenfalls, Gefängnis.

Wer bisher dachte, Hessens oberste Kriminalbeamtin könne nicht tiefer fallen: Gestern wurde er eines Besseren belehrt. Landgericht Frankfurt, Saal 301 – Urteilsverkündung im Prozess des Beamten Jochen Zahn gegen das Land Hessen. Es ging ganz fix: Zahn bekam 8000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen, weil ihn – kurz gesagt – seine Vorgesetzte Sabine Thurau nachweislich außerordentlich mies behandelt hat.

Der Vorsitzende Richter am Landgericht, Christoph Hefter, sagte wörtlich, Sabine Thurau habe Zahns Ansehen „erheblich beschädigt“, der Mann sei durch sie „stigmatisiert“ worden. Es handele sich um eine „schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung“, Frau Thurau habe den Beamten öffentlich vorverurteilt und „in schwerwiegender Weise gegen die Unschuldsvermutung verstoßen“.

Der Fall wird in die Annalen der Polizeigeschichte eingehen: Wohl selten ist ein Beamter von Vorgesetzten derart entrechtet worden – und sicher noch nie hat ein Beamter derart hartnäckig um Recht und Reputation gerungen, am Ende mit Erfolg.

Jochen Zahn, Chef der Personenfahndung, ein erfahrener und anerkannter Kriminalist, war 2006 vom Dienst suspendiert worden. Drei seiner Mitarbeiter hatten angeblich belastende Unterlagen gegen ihn gesammelt und an Sabine Thurau, damals Vizepräsidentin in Frankfurt, übergeben: Zahn soll Privatfahrten mit Dienstfahrzeugen gemacht haben, soll Überstunden falsch abgerechnet haben etc. etc.

Zahn wurde erst gar nicht gehört. Thurau ließ ihm Dienstausweis und Waffe abnehmen, verhängte Hausverbot und kürzte sein Gehalt. Dann ging sie hin – das war ihr zentraler Fehler – und sagte vor den versammelten Personenfahndern, Jochen Zahn habe sich in schwere kriminelle Machenschaften verstrickt, er werde nie mehr auf die Dienststelle zurückkehren, dafür werde sie persönlich sorgen.

Heute steht fest, dass alle Vorwürfe gegen Zahn falsch waren. Die Staatsanwaltschaft stellte ihre Ermittlungen bereits 2009 ein. Danach lief, wie üblich, das Disziplinarverfahren weiter, dessen Ergebnis Polizeipräsident Achim Thiel wochenlang unter Verschluss zu halten versuchte, bis er nach einer Veröffentlichung in dieser Zeitung eingestehen musste: Auch die im Disziplinarverfahren erhobenen Vorwürfe gegen Zahn waren in keinem Punkt berechtigt.

Zahn, vom Frankfurter Beamtenrecht-Spezialisten Harald F. Nolte vertreten, hatte da bereits Klage auf Schmerzensgeld eingereicht. Schon am ersten Verhandlungstag deutete sich an, dass das Verfahren schlecht ausgehen würden – fürs Land Hessen, aber vor allem für Sabine Thurau.

Gestern ordnete der Richter das Verhalten Thuraus unmissverständlich ein: Ihre Äußerungen hätten „die erforderliche Rücksichtsnahme auf die berechtigten Interessen des Klägers vermissen lassen“, sie „verletzten seinen Anspruch auf soziale Anerkennung gegenüber seinen Kollegen und Mitarbeitern“.

Überraschend war lediglich die richterliche Bewertung der Rolle von Polizeipräsident Achim Thiel. Der hatte frühzeitig Thuraus Feldzug gegen Zahn gebilligt und auch schon mal den Staatsanwalt schriftlich bedrängt, die Ermittlungen gegen Zahn selbst dann weiterzuführen, wenn’s keinen triftigen Grund gebe. In einem „Bild“-Interview äußerte sich Thiel später zu kriminellen Machenschaften bei der Polizei im Allgemeinen, nannte aber Details aus dem Verfahren Zahn. Der Richter wertete das jedoch nicht als Eingriff ins Persönlichkeitsrecht, sondern als Information für die Öffentlichkeit.

Zahn, der 30 000 Euro gefordert hatte, bekommt deshalb „nur“ 8000 Euro, muss drei Viertel der Prozesskosten tragen – insgesamt etwa 3700 Euro. Vier Wochen haben jetzt beide Parteien Zeit, Berufung einzulegen. Zahns Anwalt kündigte an, das Urteil akzeptieren zu wollen. Von Polizeipräsident Thiel war keine Stellungnahme zu bekommen: Man wolle erst die schriftliche Begründung abwarten.

So eindeutig das Urteil auch ist – die „Akte Zahn“ kann damit noch nicht geschlossen werden: Gegen die Beamten, die Zahn zu Unrecht beschuldigt hatten, wird ermittelt, ebenso angeblich auch gegen „Thurau-getreue“ Beamte beim Landeskriminalamt, die versucht haben sollen, das Verfahren zu beeinflussen.

Thurau selbst, die einst hochgelobte Präsidentin des Landeskriminalamtes, muss sich weiterer schwerer Vorwürfe erwehren: Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts der Falschaussage vor Gericht gegen sie. Außerdem soll sie einen Personenfahnder gedrängt haben, gegen seinen Vorgesetzten Jochen Zahn auszusagen – als der Mann sich weigerte, wurde er gemobbt, die Attacken gipfelten in Strafanzeigen gegen den Beamten. „Verfolgung Unschuldiger“ heißt der Vorwurf. Darauf steht Knast!

Und dann ist noch etwas offen: Boris Rhein, der Nachfolger von Volker Bouffier im Amt des hessischen Innenministers, hat mal gesagt, er werde sich bei allen Beamten entschuldigen, denen Unrecht widerfahren sei. Jochen Zahn nannte er ausdrücklich: Den wolle er persönlich zu einem Gespräch bitten – natürlich erst nach Abschluss des Verfahrens.

Das Verfahren ist mit einem rechtskräftigen Urteil abgeschlossen. Bei der Polizei ist man durchaus gespannt, ob dieser Innenminister zu seinem Wort steht.

Erschienen in der FNP am 08.03.2011

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