Unter falschem Verdacht

Neues Kapitel in der Affäre um einen Kronzeugen des LKA Hessen: Die Staatsanwaltschaft Frankfurt ermittelt gegen einen Kriminalbeamten, der dieser Zeitung geheime Infos zugespielt haben soll. Das Telefon des Mannes wurde abgehört, er wurde vom Dienst suspendiert, er musste seine Waffe abgeben, er bekam Hausverbot. Es handelt sich um einen Justizirrtum; der Behörde droht jetzt eine teure Schadenersatzklage.

Frankfurt/Mainz. Zwei Daten gibt es, die haben das Leben des Kriminalbeamten Thomas B. (51) binnen Wochen brutal verändert:

Am 12. August unterzeichnete eine Amtsrichterin in Frankfurt auf Antrag der Staatsanwaltschaft ein vierseitiges Papier (Aktenzeichen 931 Gs 6300 Js 231240/13): Darin ordnete sie an, das Büro von Thomas B. im Landeskriminalamt (LKA) Rheinland-Pfalz in Mainz zu durchsuchen, ebenso seine Privatwohnung in einem 25 Kilometer entfernten Weindörfchen. Offizielle Begründung: Es bestehe der Verdacht der Bestechlichkeit und der Verletzung des Dienstgeheimnisses.

Vier Wochen später, zwischenzeitlich waren die Telefone des völlig ahnungslosen Kriminalhauptkommissars abgehört worden, fanden die Razzien statt. An diesem 10. September bekam Thomas B. zudem schriftlich mitgeteilt, dass ihm das „Führen der Dienstgeschäfte“ mit sofortiger Wirkung verboten sei. Er musste seine Waffe abgeben, auch seinen Dienstausweis, seine Dienstmarke und seine Schlüssel. Er bekommt zwar weiterhin seine Bezüge. Aber er darf das LKA nicht betreten: Hausverbot .

Solche dienstrechtlichen Maßnahmen sind möglich, wenn gegen einen Beamten ermittelt wird. Thomas B. beteuert seine Unschuld, es nutzt nichts: Die Staatsanwaltschaft ermittelt weiter. Eine hessische Polizeiaffäre nimmt damit groteske Züge an:

2010/2011 hatten Ermittler des LKA in Wiesbaden einen vorbestraften Dachdecker als Kronzeugen gegen kriminelle Rocker genutzt. Der als äußerst unzuverlässig geltende Mann wurde auf Bitten der Hessen im benachbarten Bundesland Rheinland-Pfalz von Mainzer Zeugenschützern versteckt und betreut, zwischendurch in Irland untergebracht und zuletzt nach Israel ausgeflogen, wo er heute lebt. Inzwischen steht fest: In anderthalb Jahren gab das LKA Hessen nahezu 100.000 Euro für den Mann aus.

In einer mehrteiligen Artikelserie, gestützt auf Aussagen von Beamten des Innenministeriums und geheimen Polizei-Papieren, deckte diese Zeitung die dubiosen Vorgänge auf. Die Behörden reagierten umgehend: Sie wollten herausfinden, wer die Zeitung informiert hatte. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt leitete ein Ermittlungsverfahren ein, das Bundeskriminalamt wurde eingeschaltet…

So geriet Thomas B. ins Visier. Der als sehr erfahren und umsichtig geltende Kriminalbeamte hatte sich als stellvertretender Leiter des Zeugenschutzdezernats zeitweise um den hessischen Kronzeugen gekümmert. Allerdings soll er, so ist im Mainzer LKA zu hören, schon damals Missstände in der Abteilung kritisiert haben. Unter anderem habe er wiederholt angeprangert, dass der schwatzhafte Zeuge aus Hessen, dem eigentlich nur Hartz IV zustünde, allzu großzügig alimentiert werde.

Mit so einem Verhalten macht man sich nicht unbedingt Freunde. Anfang 2012 verließ der Beamte zermürbt die Dienststelle, monatelang war er krank geschrieben. Als er im Oktober 2012 ins LKA zurückkehrte, stand sein Schreibtisch in einem anderen Dezernat.

Monate später, im Januar/Februar 2013, erschien die Artikelserie über das Leben und Treiben des hessischen Kronzeugen. Die Berichterstattung, so heißt es heute im Durchsuchungsbeschluss gegen Thomas B., habe auf exaktem Wissen um polizeiliche Interna basiert, auf vertraulichen Unterlagen der Ermittlungsbehörden, auf geheimen Dienstpapieren usw. usf.

Tatsache ist: Die geheimen Behörden-Dokumente liegen dieser Zeitung vor. Tatsache ist auch: Sie stammen nicht von Thomas B.

Der Autor der FNP-Artikel hat inzwischen an Eides Statt versichert, er kenne den Beamten nicht persönlich, er habe auch niemals Informationen von ihm erhalten, weder mündlich noch schriftlich. Die im richterlichen Beschluss geäußerte Vermutung(!), man könne bei einer Durchsuchung des Beamten Quittungen und Kontoauszüge finden, „aus denen sich Geldzahlungen des Redakteurs Thomas Ruhmöller oder der Frankfurter Neuen Presse an den Beschuldigten ergeben“, diese Vermutung wird sich nicht bestätigen: Es gab im Zusammenhang mit der Berichterstattung über den Kronzeugen niemals und an niemanden eine Geldzahlung von dieser Zeitung.

Natürlich haben wir die Behörden gefragt, wie es passieren konnte, dass gegen einen Unschuldigen auf diese Weise ermittelt wird. Man gibt sich wortkarg: Das LKA Mainz will überhaupt nichts sagen. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft bestätigt Ermittlungen gegen den Beamten; ansonsten: keine weitere Auskunft.

Thomas B. will sich jetzt juristisch wehren. Sein Anwalt Johannes Hock sagt: „Ich habe noch nie einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss gesehen, der auf derart dünner Grundlage basiert.“ Solch schwere Anschuldigungen stigmatisierten jeden Beamten, „das hätte man bei den Ermittlungen, die offenbar nur auf Vermutungen basieren, berücksichtigen müssen“. Sein Mandant jedenfalls leide unter dem Vorgehen der Staatsanwaltschaft „wie in der Vorhölle“.

Der Anwalt sagt auch, er erwarte, dass die dienstrechtlichen Maßnahmen gegen seinen Mandanten umgehend zurückgenommen werden. Und dass die Staatsanwaltschaft Frankfurt ihre Ermittlungen sofort einstelle. Der Justizirrtum könnte ansonsten noch teure Folgen haben: Man werde natürlich genauestens prüfen, sagt der Anwalt, ob in diesem Fall nicht eine Schadenersatzklage angeraten sei.

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Nachtrag in eigener Sache: Die eidesstattliche Versicherung wurde vom Autor abgegeben, um einem zu Unrecht verdächtigten Menschen beizustehen. Die Informanten zur Kronzeugenaffäre bleiben geschützt; weitere Auskünfte zur Herkunft der Informationen wird es nicht geben.

Erschienen in der FNP am 27.09.2013