Das Skandal-Amt

Seit Jahren sorgt ein hessisches Polizeipräsidium für negative Schlagzeilen. Von unkontrolliertem Geldausgeben ist 
die Rede, von schlampiger Organisation, sogar von grob rechtswidrigem Handeln. Jetzt reicht’s: Innenminister Boris Rhein will aufräumen. Nicht ausgeschlossen, dass die 400-Mann-Behörde dichtgemacht wird.

Wiesbaden. Letztens haben sie wieder ein Auto gekauft. Einfach so, ohne Ausschreibung. „Freihändig“ heißt im Verwaltungsdeutsch diese Form des flotten Behörden-Shoppens: Beim Nissan-Händler gleich um die Ecke, in unmittelbarer Nachbarschaft zur hessischen Bereitschaftspolizei, holten sie das Fahrzeug ab. 25.262,68 Euro blätterten sie dafür hin.

Zehn Tage vorher musste ein neuer VW her. Auch hier sparte man sich Preisvergleiche, „freihändig“ wurden mal eben 42.162,03 Euro fällig.

Am gleichen Tag wurde auch noch ein Mercedes-Benz-Kastenwagen gekauft. Netto-Preis: 56.368,66 Euro. Eine Ausschreibung, bei der zuvor die günstigsten Angebote eingeholt werden, gab’s auch diesmal nicht. Man kennt sich schließlich, das Autohaus in Wiesbaden liegt nur ein paar hundert Meter von der polizeilichen Beschaffungsbehörde entfernt…

Es ist die Polizei-Dienststelle mit dem sperrigen Namen „Präsidium für Technik, Logistik und Verwaltung“ (kurz „PTLV“ genannt), geleitet von Präsident Alfred Kayser („eine erfahrene Führungspersönlichkeit mit einem breiten Erfahrungsfundus“, so der damalige Innenminister Volker Bouffier), die seit Jahren berühmt-berüchtigt ist für hemmungsloses Geldausgeben bei gleichzeitig äußerst schlampiger Buchführung.

Bouffier hat als oberster Dienstherr den Laden nie in den Griff gekriegt; seinem Nachfolger Boris Rhein hinterließ er eine 400-Mann-Behörde, die sich immer wieder gebärdet, als stünde sie außerhalb jeder Kontrolle und weit über allen gesetzliche Vorgaben. Das hat der Rechnungshof wiederholt moniert, das hat ein Gericht beschäftigt und einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, und das empört regelmäßig die Opposition im hessischen Landtag. Genutzt hat’s wenig, das PTLV schien immun zu sein gegen alle Forderungen nach rechtmäßigem Handeln und Einhalten von Behördenvorschriften.

Boris Rhein will sich das offenbar nicht länger bieten lassen. In seinem Innenministerium liegen Pläne für eine großangelegte Untersuchung: Organisation, Arbeitsabläufe, Mitarbeiter – das ganze PTLV soll auf den Prüfstand gestellt werden. Auf Nachfrage dieser Zeitung erklärte der Minister: „Es stimmt. Wir werden die Behörde durchleuchten. Und am Ende ergebnisoffen entscheiden.“ Heißt: „Auch eine Schließung ist natürlich nicht ausgeschlossen.“

Ein endgültiges Aus – es käme nicht sonderlich überraschend. Erst vor wenigen Wochen hatte der Rechnungshof den Stab über die Behörde gebrochen: Bei der Vergabe von Aufträgen sei gegen rechtliche Vorgaben verstoßen worden – nicht ab und zu mal, nein: „Überwiegend“. Entscheidungen seien nicht korrekt und schon gar nicht vollständig dokumentiert, vielfach seien sie nicht mal ordnungsgemäß unterschrieben worden. „Grob rechtswidrig“ sei all das, tobte daraufhin die innenpolitische Sprecherin der SPD im Landtag, die Juristin Nancy Faeser.

Absatzweise liest sich der Rapport der Rechnungsprüfer wie ein übellauniger Bericht aus einer Bananenrepublik. Das PTLV habe auf Teufel-komm-raus bestellt: Motorradhelme, Autoreifen, Handschellen, Videorekorder, Schirmmützen, Laptoptaschen – stets ohne Ausschreibung, oftmals nur mit der lapidaren Begründung, zur Beschaffung komme nur ein einziges Unternehmen in Frage.

Eine Anwaltskanzlei wurde von der Behörde engagiert – ohne Vergleichsangebote einzuholen, dafür mit der Erklärung, die Kanzlei sei in der Vergangenheit stets „kooperativ und motiviert“ gewesen. Wen wundert’s? Der neue Auftrag brachte den Anwälten über 100.000 Euro netto ein…

In den polizeilichen Bekleidungslagern waren Unterlagen unvollständig, Unterschriften fehlten, einige Bedienstete überprüften regelmäßig sich selbst. Da kapitulierten selbst die Rechnungsprüfer: „Wegen der festgestellten Mängel war eine Überprüfung der Inventur nicht möglich.“

Und so weiter und so fort. Ein krasses Beispiel noch: Zwei Fahrzeuge wurden gekauft und sollten umgebaut werden. Die Autos kosteten 95.000 Euro. Ein „ortsnaher Betrieb“ legte ein Angebot für die Vorplanungen des Umbaus vor: 9.460,50 Euro sollte das kosten. Abrechnen tat der Betrieb 25.800 Euro, was eine satte Preissteigerung von 173 Prozent ausmachte. Der Umbau der Fahrzeuge sollte laut Angebot weitere 158.539 Euro kosten, einen Monat später legte der Fahrzeugbauer seine Rechnung vor: Jetzt verlangte er 243.600 Euro. Er hat sein Geld gekriegt, natürlich…

Konsequenzen aus dem Bericht der Rechnungsprüfer? Maßnahmen? Reaktionen? Unbekannt. Es geht bis heute weiter, immerzu: Ende Juni bekam ein Hofheimer Reifenhändler „freihändig“ den Auftrag, Reifen von Polizeifahrzeugen aus Frankfurt zu montieren, zu lagern und zu entsorgen. Dafür darf er 77.500 Euro in Rechnung stellen. Am 24. Juni bekam ein Unternehmen im westfälischen Münster vom PTLV Hessen gleich zwei dicke Aufträge: Erst wurden „freihändig“ 120 Kleinstfunkgeräte geordert – Wert: 54.354 Euro. Und dann wurden, am gleichen Tag, auch noch 120 Hör-Sprech-Garnituren angefordert – Wert: 93.943,80 Euro.

Schwer nachvollziehbar, warum sich die Behörde seit Jahr und Tag ungestraft mit derart undurchschaubarem Geschäftsgebaren durchwursteln kann. Nur einmal gab es ein böses Erwachen: Allzu dreist waren die Selbstbereicherungsaktionen eines Beamten vor exakt zehn Jahren. Der Schaden ging in die Hunderttausende, ein Gericht verhängte eine Haftstrafe von fast vier Jahren.

Um die Hintergründe des Korruptionsskandals aufzuarbeiten, wurde seinerzeit ein Untersuchungsausschuss eingesetzt. Es änderte sich nichts.

In den Jahren 2005 und 2008 schrieb der Rechnungshof vernichtende Kritiken: Keine geordnete Aktenführung, gravierende Mängel bei Ausschreibungen und Vergaben, keine nachvollziehbaren Anweisungen über Zeichnungsbefugnisse, eine katastrophale Lagerhaltung… Es änderte sich nichts.

Damals war Volker Bouffier Chef der übergeordneten Innenbehörde. Er hatte das PTLV ins Leben gerufen, Besserung war also unter ihm kaum zu erwarten. Zuletzt hatte er den jetzigen Präsidenten ins Amt gehievt: Alfred Kayser hatte zuvor für die CDU eine aussichtslose Kandidatur um das Amt des Offenbacher Oberbürgermeisters absolviert. Seine Beförderung ins lukrative Präsidentenamt wurde vielfach als Zeichen des Dankes seines späteren Ministerpräsidenten gewertet.

Jetzt ist Boris Rhein Innenminister. Kriegt er das Präsidium in den Griff, wird er es schaffen, in der Behörde aufzuräumen?

Im Ministerium überlegt man, eine externe Agentur mit der Untersuchung der Behörde zu beauftragen. „Wir werden die Arbeit in dem Präsidium genauestens analysieren“, sagte Rhein dieser Zeitung. Organisation, Arbeitsprozesse, Strukturen, Schwachstellen, Abgrenzung zu anderen Beschaffungs-Dienststellen in Hessen – das ganze Arsenal wird ausgepackt. Von wem? „Den Auftrag schreiben wir natürlich europaweit aus“, so Rhein, jeder einzelne Schritt werde transparent gemacht, „spätestens Mitte 2012 sollten Ergebnisse vorliegen.“

Und dann wird entschieden. „Vielleicht müssen wir umstrukturieren. Vielleicht müssen wir Aufgaben neu verteilen“, sagt Rhein. „Aber vielleicht brauchen wir die Behörde in dieser Form auch gar nicht mehr.“

Das Ende der Skandalbehörde – nichts ist jetzt mehr ausgeschlossen.

Erschienen in der FNP am 08.09.2011