Neues Kapitel in der Affäre um einen Kronzeugen des LKA Hessen: Die Staatsanwaltschaft Frankfurt ermittelt gegen einen Kriminalbeamten, der dieser Zeitung geheime Infos zugespielt haben soll. Das Telefon des Mannes wurde abgehört, er wurde vom Dienst suspendiert, er musste seine Waffe abgeben, er bekam Hausverbot. Es handelt sich um einen Justizirrtum; der Behörde droht jetzt eine teure Schadenersatzklage.
100.000 für den Kronzeugen
Der Mann lebt 3000 Kilometer von Frankfurt entfernt, sorgt aber trotzdem immer wieder für Schlagzeilen: Daniell M.-D. war Kronzeuge der hessischen Polizei gegen die Rocker und hatte dann über seine Erlebnisse in dieser Zeitung ausgepackt. Das sorgte für mächtig Ärger, auch für diese Zeitung.
Serie, Teil 5: Ein LKA-Mann in der Falle
Die Festnahme eines LKA-Beamten, der geheime Dienstinterna an kriminelle Rocker verraten haben soll: Das galt bislang als der größte Erfolg der hessischen Polizei über die Frankfurter Hells Angels. Jetzt aber lassen Aussagen eines Kronzeugen sowie neu aufgetauchte Ermittlungsakten den Triumph in ganz anderem Licht erscheinen.
Serie, Teil 4: Der letzte Trumpf des LKA
Er hat mit den Beamten des LKA Hessen zusammengearbeitet, hat sie (…) mit Infos versorgt und als Kronzeuge bei der Vorbereitung der Vereinsverbote gegen die Hells Angels unterstützt. Er hat dafür Geld bekommen, viel Geld – mit Dankbarkeit durfte er da wohl nicht mehr rechnen. Am Ende schoben sie ihn nach Israel ab, mit einem ganz billigen Trick.
Serie, Teil 3: Schlamperei im Amt
Daniell M.-D., der (…) Kronzeuge der hessischen Polizei gegen die Hells Angels, erzählte bisher vor allem über seine Erfahrungen mit dem hessischen Landeskriminalamt. Aber er erhebt auch schwere Vorwurfe gegen die Zeugenschützer aus Mainz: Sie würden durch Nachlässigkeit Zeugen unnötig in zusätzliche Gefahr bringen.
Frankfurt/Mainz. Zeugenschutz ist eine hochsensible Angelegenheit. Menschen, die in Gefahr sind, weil sie zum Beispiel als Zeuge gegen Schwerkriminelle aussagen, wird teilweise sehr weitreichender Schutz geboten. Rechtliche Grundlage dafür ist das Zeugenschutz-Harmonisierungsgesetz; für die praktische Umsetzung sorgen speziell geschulte Beamte: Sie betreuen die Zeugen rund um die Uhr, verhelfen ihnen bei Bedarf zu einer neuen Identität, besorgen ihnen eine Wohnung, einen neuen Job…
Auch die Zeugenschützer selbst geben sich Tarnnamen – zu ihrem eigenen Schutz, aber vor allem soll das den Zeugen mehr Sicherheit bieten.
Grundsätzlich gilt: Je mehr Details über die Arbeit der Zeugenschützer bekannt werden, desto gefährlicher ist es für die Zeugen.
Soweit die Theorie.
Daniell M.-D., der Kronzeuge der hessischen Polizei gegen die Hells Angels, wurde vom Zeugenschutzdezernat Mainz betreut. Die Abteilung gehört zum LKA Rheinland-Pfalz, sie untersteht Erwin Owtscharenko. Der Kronzeuge aus Hessen erhebt heute schwere Vorwürfe gegen das Dezernat: Die Beamten hätten elementare Regeln der Geheimhaltung missachtet, sie würden damit Zeugen unmittelbar gefährden. Dass sie Dienstwagen für Privatfahrten einsetzten, dass sie am liebsten mittags zu ihm kamen, um die eigene Bewirtung dienstlich absetzen zu können, das sind da nur noch Randnotizen.
Daniell M.-D. sagt, er habe binnen weniger Wochen die Klarnamen mehrerer Zeugenschützer erfahren. „Die haben einfach nicht aufgepasst.“ Schlampige Arbeitsweise hätte vertrauliche Informationen offen zugänglich gemacht.
Da ist zum Beispiel „Melanie Maus“. Das ist ihr Tarnname. Die Polizeibeamtin habe regelmäßig Dienstwagen für Privatfahrten genutzt, sagt Daniell M.-D., und eines Tages, als sie ihn zu einer Vernehmung nach Wiesbaden brachte, erzählte sie, sie sei gerade beim Röntgen gewesen, habe die Aufnahmen hinten im Auto.
Auf der Rückfahrt habe er seine Jacke in den Kofferraum gelegt, dabei die Arztdokumente gesehen: Natürlich stand ihr echter Name darauf. Melanie heißt sie wirklich mit Vornamen, ihren Nachnamen wollen wir hier nicht verraten. Melanie sollte nur wissen: Sie ist enttarnt. Nach der Logik des Zeugenschutzes ist jetzt nicht nur sie selbst gefährdet. In Gefahr sind auch und vor allem die von ihr betreuten Zeugen.
Und dann erzählt Daniell M.-D. eine Geschichte, die so unglaublich klingt, dass kaum denkbar ist, dass er sie ausgedacht haben könnte:
Während seines Irland-Aufenthalts sei er zu einer Vernehmung eingeflogen worden. Am Flughafen Frankfurt-Hahn habe, wie abgesprochen, ein Leihwagen für ihn bereitgestanden. Auf der Fahrt zu seiner Wohnung in Bad Kreuznach habe in dem Auto plötzlich ein Handy geklingelt. „Es lag zwischen den Sitzen. Offenbar hatte es jemand vergessen.“ Er sah nach: Es war das Handy von Chefzeugenschützer Owtscharenko.
Daniell M.-D. weiter: „Da waren alle Daten drin: Adressen und Telefonnummern von Zeugenschützern, von Polizeibeamten – und auch von gefährdeten Zeugen.“ Er habe sich die Daten kopiert, „sicherheitshalber“, sagt er, man wisse ja nie, wozu man die brauchen könne. Dann habe er Owtscharenko angerufen. Der sei sofort gekommen, habe sich das Telefon abgeholt.
Erwin Owtscharenko nennt sich im Dienst – auch das ist jetzt kein Geheimnis mehr – „Wilhelm Baumann“ oder „Ferdinand Berger“. Unter diesen Tarnnamen, sagt Daniell M.-D., habe ihm der Chefzeugenschützer regelmäßig Geld überwiesen. Die Namen hätten auf den Bankbelegen gestanden.
Im übrigen sei seine Post – wie auch die des ganzen Dezernates – unter den Namen „Baumann“ und „Berger“ abgewickelt worden. Dafür habe das Dezernat geheime Brief kästen eingerichtet – unter der Adresse, auf der auch seine Tarnpersonalien angemeldet wurden.
Eine Überprüfung dieser Angaben ergab: Daniell M.-D. sagt die Wahrheit. Dokumente, die dieser Zeitung vorliegen, verraten die Namen der Zeugenschützer. Und wir finden auch, im Mehrfamilienhaus an der Sophie-Cahn-Straße 3 in Mainz, die geheimen Briefkästen der Zeugenschützer. Einer ist mit „Wilhelm Baumann“ ausgeschildert, der benachbarte mit „Ferdinand Berger“. Dabei leben diese Herrschaften offensichtlich nicht in dem Haus. Wer genauer hinschaut, sieht sofort: Die Namen Baumann und Berger fehlen auf den Klingelschildern. Das wurde von den Zeugenschützern wohl vergessen…
Dagmar Meyer, Sprecherin des LKA Mainz, versuchte gestern, die Aussagen des Kronzeugen herunterzuspielen. Es sei bekannt, dass sich die Zeugenschützerin „Melanie“ selbst enttarnt habe, das sei „Anlass für eine interne Nachbereitung“ gewesen. Eine Gefährdung für die Beamtin werde nicht gesehen, auch nicht für andere Schutzpersonen.
Die Sache mit dem verlorenen Handy war offenbar noch nicht bekannt. Alle Handys seien PIN-gesichert, sagt Meyer. Hätte ein Zeuge darauf Zugriff, „würde das keine Sicherheitslücken nach sich ziehen“. Es sei auch „nicht erinnerlich“, dass ein Handy längere Zeit in den Händen des Zeugen gewesen sei.
Erschienen in der FNP am 07.02.2013
Serie, Teil 2: Der Kronzeuge packt aus
Der Kronzeuge gegen die Hells Angels erzählt (…) Heute: Wie er zum Kronzeugen der Anklage aufstieg. Und sogar das Gericht belog – mit Hilfe der Ermittler vom LKA.
Serie, Teil 1: Ich, der Kronzeuge
Nahezu drei Jahre war er spurlos verschwunden: Der Frankfurter Dachdecker Daniell M.-D. hat als Kronzeuge des hessischen Landeskriminalamtes mit seinen Aussagen maßgeblich zu den Vereinsverboten gegen die Hells Angels beigetragen. Jetzt meldete er sich bei dieser Zeitung – aus Israel. Und redet erstmals. Auf die Polizei ist er gar nicht mehr gut zu sprechen.
Die Kripo sucht das Leck
Aufregung bei der Polizei: Gleich drei Behörden nahmen gestern Stellung zu den Berichten dieser Zeitung über den Kronzeugen der Polizei gegen die Hells Angels. Zumindest inhaltlich gab‘s kaum was zu mäkeln.
Wiesbaden/Mainz/Frankfurt. Die Situation ist nun doch ein wenig verworren: Da bittet im Mai 2010, das Schreiben liegt dieser Zeitung vor, die hessische LKA-Präsidentin Sabine Thurau ihren Kollegen in Rheinland-Pfalz, den Kronzeugen gegen die Hells Angels in das Zeugenschutzprogramm aufzunehmen. Daniell M.-D. wird daraufhin in eine neue Wohnung in Bad Kreuznach einquartiert. Er bekommt, wie es das Zeugenschutzgesetz vorsieht, einen neuen Namen („Daniel Messer“), dazu passende Papiere, er wird unter neuem Namen bei der Führerscheinstelle, beim Arbeitsamt und bei der AOK angemeldet, er wird von Mainzer Zeugenschützern betreut…
Kronzeuge außer Kontrolle
Der Frankfurter Dachdecker Daniell M.-D. hatte 2010 die hessische Polizei in ihren größten Feldzug gegen die Frankfurter Hells Angels geführt. Dann kam heraus, dass der Mann ein Hochstapler und ein mit Haftbefehlen gesuchter Betrüger ist. Trotzdem blieb er im Zeugenschutzprogramm, behielt seine Tarnidentität, eine geheime Wohnung… Zweiter Teil unseres Reports über einen Polizei-Skandal, der von den Behörden unter der Decke gehalten wird – aus gutem Grund.
Wiesbaden/Mainz/Frankfurt. Daniell M.-D., der Kronzeuge der hessischen Polizei gegen die Hells Angels, lebte in einer kleinen Ferienwohnung im Herzen von Bad Kreuznach. Auf Bitte des Landeskriminalamtes (LKA) Hessen hatte das LKA Rheinland-Pfalz den Mann in einer Art Nachbarschaftshilfe in der Kurstadt untergebracht: In einem gelbfarbenen Gebäudekomplex an der Badeallee mieten Mainzer Zeugenschützer regelmäßig Wohnungen an, in denen sie gefährdete Zeugen aus Deutschland wie auch aus dem benachbarten Ausland verstecken.
Der Hells-Angels-Informant aus Frankfurt, für den man umgehend eine komplette Tarnidentität auf den Namen „Daniel Messer“ besorgt hatte, sollte bei Laune gehalten werden, um jeden Preis, damit er weiter aussagt. Deshalb bekam er auch, was er wollte. Ein Auto? Kein Problem! Ein richtig schickes Auto sollte es sein? Auch kein Problem: Zeugenschützer buchten mit einer Behördenkreditkarte beim Autoverleih „Europcar“ mal einen Porsche, mal ein Cabrio, und stellten dem Zeugen die Fahrzeuge vor die Tür.
Dass in den bundeseinheitlichen Bestimmungen zur Aufnahme in das Zeugenschutzprogramm „aus Sicherheitsgründen“ und „grundsätzlich“ davon abgeraten wird, „ein auffälliges Kraftfahrzeug an den neuen Aufenthaltsort mitzunehmen“, störte offenbar keinen.
„Anfangs haben wir für den Kronzeugen regelmäßig Bargeld in Mainz abgeliefert“, erinnert sich ein Wiesbadener Beamter. Später wurde das Geld zur freien Verwendung der Mainzer Zeugenschützer auf ein Konto überwiesen. Auf diese Weise konnten die ihrem Schützling regelmäßig etwas „Taschengeld“ zukommen lassen. Mal gab’s 100, mal 200 Euro auf die Hand – so stockte man sein karges Hartz-IV-„Gehalt“ etwas auf, verstieß aber zugleich gegen Bestimmungen der Arbeitsagentur: Zusatzverdienste müssen nun mal gemeldet werden.
Als verantwortlich für all die Freigiebigkeit und Nachlässigkeiten, die jeder erfahrene Kripobeamte als unkalkulierbares Sicherheitsrisiko einstuft, wird der Chef des Mainzer Zeugenschutzdezernats genannt. Erwin Owtscharenko, lange Jahre CDU-Bürgermeister in einem 2700-Seelen-Dörfchen namens Weiler, ein Drei-Tage-Bartträger mit öffentlich erklärten und durchaus ernst gemeinten Ambitionen auf einen Platz im Bundestag, mindestens aber im Landtag. In vertrauter Runde gab der begeisterte Büttredner schon mal zum Besten, er müsse einen äußerst wichtigen Zeugen betreuen, dem er immer neue Aussagen entlocke, was seinem Ruf als erfolgreichen Kriminalisten nur förderlich sein könne.
Anfangs kümmerte sich der Dezernatsleiter persönlich um den Kronzeugen. Das ging dann so: Daniell M.-D. erzählte, ein Gastwirt aus Wiesbaden-Nordenstadt – nennen wir ihn hier Gerd K. – sei der Waffenlieferant der Hells Angels, habe ihm schon mal ein Kleinkalibergewehr mit 15 Schuss Munition für 1200 Euro verkauft.
Die Ermittler glaubten die heiße Story und leiteten umgehend ein Ermittlungsverfahren gegen den Gastwirt ein: Aktenzeichen 6310 Js 226898/10 – Verdacht des Verstoßes gegen das Waffengesetz.
Um die etwas dürftige Info wasserdicht zu machen, wurde Daniel M.-D. noch einmal in das Restaurant geschickt – unsichtbar verkabelt von den Spezialisten des LKA: Er sollte den Gastwirt zu weiteren Waffengeschäften animieren, während draußen Beamte jedes Wort mithören wollten. Für seinen Einsatz (…) kassierte der Kronzeuge nach Informationen dieser Zeitung 3000 Euro „Honorar“. Leider brachte die Lausch-Aktion nicht den gewünschten Erfolg: Die Übertragungsqualität war miserabel. Dafür wusste Daniell M.-D. hinterher eine spannende Geschichte zu erzählen: Gastwirt Gerd K. habe ihm eine Waffe gezeigt.
Hier ein Auszug aus dem polizeilichen Vernehmungsprotokoll:
Frage: Hat Gerd die Waffe aus der Schublade herausgeholt und sie ihnen gezeigt?
Antwort: Nein, er hat nur die Schublade aufgemacht, so dass ich die Waffe sehen konnte.
Frage: War auch Munition in der Schublade?
Antwort: Ich weiß es nicht, ich habe nicht darauf geachtet?
Frage: Wie sah die Waffe aus?
Antwort: Es war ein schwarzer Revolver, neuartiges Aussehen, komplett schwarz, auch die Griffstücke. Der Revolver hatte einen langen Lauf und sah aus wie eine ,Westernwaffe’. Ich glaube, es war eine Waffe mit dem Kaliber 45. Zu Gerd sagte ich noch, ,mit dem Ding kannst du doch nicht zielen’. Er antwortete, er würde auf das Knie zielen und den Oberkörper treffen.
Diese Aussagen des Kronzeugen führten dazu, dass die Frankfurter Amtsrichterin Gudrun St. einen Durchsuchungsbefehl unterzeichnete. Wörtlich heißt es darin: „Nach den bisherigen Ermittlungen ist zu vermuten, dass die Durchsuchung zur Auffindung folgender Beweismittel führen wird: Revolver Long Colt, Kaliber 45, ,Long John“, über den der Beschuldigte illegal verfügt, weitere Schusswaffen, Unterlagen und sonstige Hinweise auf den Waffenlieferanten R. etc.“
Mit diesem richterlichen Papier ging’s dann zur Sache: Zu nachtschlafender Stunde stürmten schwerbewaffnete Polizisten das Restaurant und die Wohnung des Gastwirts und durchsuchten alle Räume. Der Sachschaden war enorm, der Erfolg gleich null: Zwar fand man ein längliches Lederfutteral auf einem Schrank. Da aber waren nur Angelruten drin. Das Verfahren gegen den Gastwirt musste komplett eingestellt werden.
Auch in diesem Fall, sagt ein Beamter, hätten die Kollegen in Mainz gegen eine zentrale Vorschrift des Zeugenschutzes verstoßen (…).
Aber bei Daniell M.-D. waren offensichtlich sämtliche Regeln und Vorschriften außer Kraft gesetzt. „Er fuhr nachts nach Frankfurt und traf sich mit seinen Kumpeln“, erzählt ein Kripo-Mann. Dabei war die Main-Metropole als „Gefährdergebiet“ eingestuft, wo einem Zeugen Gefahr droht und das er deshalb unbedingt zu meiden hat.
Daniell M.-D. störte sich nicht darum. Er übernachtete in seiner alten Wohnung, er traf sich mit seiner Mutter, die in Bad Vilbel lebt. „Bei jedem anderen Zeugen hätte ein einziger Verstoß gereicht, und er wäre aus dem Programm gefeuert worden“, sagt ein Beamter. „Hier drückte man beide Augen zu. Man wollte mit dem Zeugen ja den ganz großen Schlag landen.“
Erst nach Monaten dämmerte den Ermittlern, dass der Informant sie wohl gelinkt hatte: Fast alle seine Informationen hatten sich als heiße Luft entpuppt. Und nun? Den Mann umgehend aus dem Zeugenschutzprogramm entlassen, wie es die Bestimmungen vorsehen?
So einfach ging das nicht: Viel zu lange war der Mann bereits als Zeuge betreut worden – dies gegen den erklärten Willen der Staatsanwaltschaft. Zudem wurde er von Gläubigern gejagt: Würde man ihn laufenlassen, würde er nicht lange dicht halten, würde plaudern und nicht nur die Ermittlungen gegen die Hells Angels verraten, sondern auch die nicht genehmigten Zeugenschutzmaßnahmen…
Anfangs versuchten die Ermittler, die Staatsanwaltschaft von der Notwendigkeit eines offiziellen Zeugenschutzes zu überzeugen. Am 24. August sprachen sie noch einmal in der Frankfurter Behörde vor. Vergebens: Die Vertreter der Anklagebehörde wollten sich nicht auf Daniell M.-D. einlassen.
Am 25. August 2010 traf man sich im Wiesbadener LKA zu einer Krisensitzung. Das „Ergebnisprotokoll“ nennt als Teilnehmer neun Kripobeamte aus Wiesbaden und Mainz, ihr Gespräch dauerte von 10.20 bis 12.40 Uhr. Unisono beklagten sie eine „brisante Situation mit dem Kronzeugen“, der „immer noch nicht führbar“ sei. Die Arbeit mit ihm bringe die Ermittlungen nicht voran, „der Mehrwert der durchgeführten Vernehmungen habe mit zunehmender Zeit abgenommen“. Ein Kassenbuch der Hells Angels, das er vorgebe zu besitzen und mit dem man den Rockern schwere Verbrechen nachweisen wollte, existiere nur in „Erinnerungen und eigenen Aufzeichnungen“.
Kurzum: Der Mann sei „äußerst labil“, er drohe immer wieder, sich abzusetzen, unterzutauchen, sich zu offenbaren. Er sei in dieser Verfassung eine „akute Gefahr“ für das Ermittlungsverfahren gegen die Hells Angels. In dem LKA-Protokoll, das dieser Zeitung vorliegt, spiegelt sich das ganze Dilemma der Beamten wider: Da führten sie seit Monaten einen Mann im Zeugenschutzprogramm – und dann erklärt die Staatsanwaltschaft, er eigne sich nicht als Zeuge. Und nun?
Erwin Owtscharenko wusste Rat: „Formal“ befinde sich Daniell M.-D. eigentlich gar nicht im Zeugenschutzprogramm, erklärte der Mainzer Zeugenschutzchef der verdutzten Ermittler-Runde. Er sei „im Status eines gefährdeten Zeugen“.
Diese ebenso unsinnige wie juristisch fragwürdige Darstellung muss die Teilnehmer der Geheim-Besprechung völlig überraschend getroffen und letztlich auch nicht sonderlich überzeugt haben. Am besten, so überlegten die Kripobeamten schließlich allen Ernstes, stecke man Daniell M.-D. ins Gefängnis: „Oberstes Ziel ist die Erlangung eines Haftbefehls gegen den Kronzeugen, um einer Eigengefährdung und/oder Verfahrensgefährdung entgegen zu wirken“, notierten sie in ihrem Protokoll. Das Papier stuften sie sodann als derart geheim ein, dass es nicht einmal in die Ermittlungsakten gelegt werden darf. Inhaftierung als „beste Alternative“, wie die Beamten formulierten? So weit kam es dann doch nicht. Es gab bald einen neuen Plan.
Daniell M.-D. alias Daniel Messer wurde vorübergehend außer Landes gebracht. Nach Irland. Die hessische Behörde bezahlte den Flug, finanzierte auch einen Sprachkurs. Und sie zahlte auch, als ein hessischer Rocker-Fahnder den Zeugen auf der Insel vernehmen wollte. In Irland war’s inzwischen recht kalt geworden, der Zeuge brauchte warme Kleidung – kein Problem: Die Zeugenschützer schickten ihm via „Western Union“ Geld, Hessen zahlte ja alles.
In Wiesbaden und Mainz wurde unterdessen an einer finalen Lösung gearbeitet. Israel war das nächste Ziel, dass sich der Zeuge gewünschte hatte. Nach seiner Rückkehr aus Irland ging’s dann schnell weiter. Der Tarnname „Daniel Messer“ war Vergangenheit – Daniell M.-D. nannte sich nunmehr „Daniel Ben Ami“. Er bekam neue Flugtickets und wurde in Frankfurt in den Flieger gesetzt. In Israel muss es dem Mann schon bald recht langweilig geworden sein: Er verschickte Mails, aus denen man dummerweise herauslesen konnte, dass er sich in der Stadt Kfar Saba versteckt hielt.
Spätestens jetzt, nach seiner eigenen Enttarnung, hätte jeder weitere Kontakt mit dem Zeugen eingestellt werden müssen. Das sehen die Bestimmungen des Zeugenschutzes vor. Erwin Owtscharenko aber, der Mainzer Dezernatsleiter, hält angeblich weiterhin unverdrossen Kontakt. Er besuchte „seinen“ Zeugen im Gelobten Land, zusammen mit seinem damaligen Stellvertreter Thomas B., natürlich auf Staatskosten. Noch heute telefoniert man hin und wieder miteinander.
Neuerdings quengelt Daniel M.-D. allerdings ein bisschen viel herum: Er möchte heim. Nach Hause! Nach Hessen! Jüngst soll er in einem Telefonat wie beiläufig daran erinnert haben: Man wisse doch, er wisse viel! Es klingt, als wolle er die Polizei erpressen (…)
Aber er lässt nicht locker. Verlangt jetzt, man solle ihn in die Schweiz bringen. Da würd’s ihm gefallen, da spricht man deutsch, und es ist nicht ganz so weit weg. Zwischen Wiesbaden und Mainz laufen bereits Überlegungen: Kriegt man das hin?
Inzwischen sind’s allerdings nicht mehr nur die alten Geschichten, die Sorgen machen. Neuerdings kursiert ein Gerücht – wenn es denn wahr ist, könnte es für die Ermittler noch brenzlig werden: Es heißt nämlich, Daniell M.-D. habe in Israel eine Frau kennengelernt, eine Bankangestellte. Er habe schon ein Kind mit ihr, er sei mit ihr umgezogen, in eine neue Stadt, er habe die Frau geheiratet und ihren Namen angenommen.
Die Zeugenschützer sind elektrisiert: Sie haben keinen Zugriff mehr auf den Mann! Sie kennen seinen Namen nicht und auch nicht seine neue Adresse. Der Kronzeuge außer Kontrolle – das kann ja noch richtig spannend werden!
Erschienen in der FNP am 29.01.2013
Ein Zeuge namens Messer
Der Kronzeuge gegen die Frankfurter Hells Angels hat offenbar versucht, die Kripo zu erpressen: Er verlangte ein neues Versteck im Ausland und bevorzugte Behandlung – andernfalls werde er sein Wissen über geheime Polizeiaktionen preisgeben. Dokumente, die dieser Zeitung vorliegen, belegen: Kripobeamte haben tatsächlich massiv gegen Vorschriften und Gesetze verstoßen. Einblicke in eine Polizei-Affäre, die von den Behörden bis heute unter Verschluss gehalten wird.