Nahezu drei Jahre war er spurlos verschwunden: Der Frankfurter Dachdecker Daniell M.-D. hat als Kronzeuge des hessischen Landeskriminalamtes mit seinen Aussagen maßgeblich zu den Vereinsverboten gegen die Hells Angels beigetragen. Jetzt meldete er sich bei dieser Zeitung – aus Israel. Und redet erstmals. Auf die Polizei ist er gar nicht mehr gut zu sprechen.
Frankfurt. Da muss er doch laut lachen. Daniell M.-D. sitzt in seiner Wohnung in Israel, 3000 Kilometer entfernt von Frankfurt, nicht weit weg vom Gazastreifen, und liest via Internet eine Pressemitteilung des Landeskriminalamts (LKA) Rheinland-Pfalz. Dieser Satz amüsiert ihn: Niemals habe man ihm als Kronzeugen Luxusfahrzeuge zur Verfügung gestellt, wie die „Frankfurter Neue Presse“ geschrieben hatte. Sondern allenfalls „kleinere Fahrzeuge, z. B. einen Renault Scenic und einen Audi A 3.“
„Das stimmt“, sagt Daniell M.-D. (47). Als Kronzeuge habe er tatsächlich nur ein kleines Auto bekommen, übrigens jede Woche ein neues, wegen der Sicherheit. „Die Luxusschlitten – BMW, Mercedes, Porsche und so –, die bekam ich vom LKA Hessen. (…)“
Wir sind wieder mittendrin im wildesten Polit-Polizei-Krimi, den Hessen in den letzten Jahren erlebt hat: Das Wiesbadener LKA war Ende 2010 gegen die Hells Angels in Frankfurt vorgegangen, in zuvor nie da gewesener Weise, mit Riesen-Razzien, an denen mehrere tausend Beamte teilnahmen, und zum Finale mit zwei von Innenminister Boris Rhein unterzeichneten Vereinsverboten (über die noch in diesem Monat vor dem Verwaltungsgerichtshof Kassel entschieden werden soll).
Auslöser der Polizei-Aktionen damals waren Aussagen des Dachdeckers Daniell M.-D., der angeblich Informationen über kriminelle Machenschaften der Rocker wie auch über Korruption bei der Polizei, in der Justiz und im Ordnungsamt hatte. Allerdings brachten die Razzien so gut wie keinen Erfolg. Erst später kam heraus, dass Daniell M.-D. ein mit Haftbefehlen gesuchter Betrüger war. Gleichwohl hatte ihm die Polizei vertraut, man nahm ihn sogar ins Zeugenschutzprogramm auf: Er bekam Tarnpapiere („Daniel Messer“), eine neue Wohnung in Bad Kreuznach sowie Betreuung rund um die Uhr durch Mainzer Zeugenschützer. Dazu regelmäßig Geld und eben einen Leihwagen.
Monatelang wurde er in Irland versteckt, dann in Israel. Da verlor sich seine Spur. „Kronzeuge außer Kontrolle“, schrieb diese Zeitung letzte Woche. Nicht mal das LKA weiß, wo genau sich der Mann aufhält.
Jetzt meldete sich Daniell M.-D. überraschend in der Redaktion dieser Zeitung. Per Skype, der Video-Telefonie übers Internet. Er sagt: „Ich war nicht nur Kronzeuge. (…) „Ich habe zum Beispiel einen LKA-Beamten reingelegt, auf ausdrücklichen Wunsch seiner eigenen Kollegen. Die haben mich als Hells Angels verkleidet und mir genaue Anweisungen gegeben, wie ich dem Mann Bestechungsgeld zuschieben sollte.“ – Nur am Rande: Der LKA-Beamte wurde verurteilt, elf Monate zur Bewährung. Seit zwei Jahren sitzt er zu Hause, wartet auf das behördliche Disziplinarverfahren. Seine Zukunft: völlig ungewiss. Wir kommen noch darauf zurück.
Wenn denn stimmt, was Daniell M.-D. jetzt sagt, (…) dass er beste Kontakte zu Rockern aufgebaut hatte – dann hat das hessische LKA mit diesem Mann nicht nur seinen größten Feldzug geführt. Sondern auch sein größtes Waterloo erlebt: Denn am Ende war (…) der Kronzeuge enttarnt. Das ganze System von Verrat und Bespitzelung, über Jahre aufgebaut und mit Steuergeldern teuer finanziert: Es ist regelrecht implodiert.
Frage an Daniell M.-D.: Haben Sie Beweise, dass Sie wirklich Kronzeuge der Polizei waren(…)?
„Ich war damals total pleite“, sagt er. „Ich hatte überall Schulden. Ich musste Anfang 2010 sogar Privatinsolvenz anmelden. Und fuhr trotzdem immer Porsche. Hatte eine Luxuswohnung mitten in Frankfurt. Habe gekokst wie verrückt. Ich habe monatelang in einem Top-Hotel in Irland gelebt. Ich lebe heute in Israel. Woher soll ich das Geld für so ein Leben gehabt haben?“
Ja, woher nur?
„Vom hessischen LKA natürlich! Die haben alles finanziert. Das war alles für meine Legende, um an die Hells Angels ranzukommen zu können.“
Noch eine Frage, Herr M.-D.: Warum reden Sie jetzt mit einem Journalisten?
„Die haben mich gelinkt“, sagt er. „Die haben mir beim LKA versprochen, ich könne mir ein neues Leben aufbauen. Jetzt sitz‘ ich hier in Israel, muss dreimal am Tag mit meinem Kind in einen Luftschutzbunker. Hier ist Krieg, hier muss man Angst um sein Leben haben! Ich habe hier geheiratet, will mit meiner Familie nach Europa. Aber beim LKA sagten sie, dann würde ich sofort verhaftet.“
Kronzeuge außer Kontrolle: Das LKA hat jeden Zugriff auf den Mann verloren, und wohl auch sein Vertrauen. Frust, Enttäuschung, Unzufriedenheit – deshalb spricht er jetzt. Und gibt erstmals Einblick in die wirre, verworrene Welt der organisierten Kriminalität und dem unermüdlichen Kampf dagegen:
Daniell M.-D., unehelicher Sohn einer in Hessen lebenden Israelin, kriminell geworden schon als Jugendlicher, hat sich – so erzählt er – schon Mitte der 90er Jahre als „V-Mann“ der Polizei angedient. Als er eine kroatische Drogendealerin überwachen sollte, beklaute er sie – 100 000 D-Mark waren weg. „Ich hab‘ das ganze Geld auf‘n Kopp gehauen.“ Das war dann doch ein bisschen zu dreist: Wegen Diebstahl plus einiger Einbrüche kassierte er im Oktober 2000 vier Jahre und neun Monate Haft (Az KLS 22 Js 7881/99).
Im Nachhinein, so lässt sich feststellen, bildete das Urteil ein durchaus stabiles Fundament fürs weitere Spitzeldasein: „Mit Knasterfahrung wirst du von den Hells Angels wesentlich schneller akzeptiert“, sagt Daniell M.-D..
Drei Mal haben wir mit dem Mann via Skype telefoniert. Insgesamt mehr als zehn Stunden lang. Er erzählt und erzählt, als müsse er das alles endlich mal los werden: sein Leben im Zeitraffer, seine Erfahrungen mit Kriminellen und mit der Polizei.
Noch während der Haftzeit ergab sich eine Begegnung, die weitreichende Folgen haben sollte: Während eines Freigangs lernte er in einer Disco Uta H. kennen. Eine Polizeibeamtin aus Frankfurt, die sich nicht sonderlich daran störte, mit einem Knacki zu tanzen. Der Charming-Boy aus der Mainmetropole und die etwas spröde Ostdeutsche – „natürlich hat es mich gereizt, sie rumzukriegen“. Kaum entlassen, zog er mit ihr zusammen nach Bornheim. Er lernte ihre Kollegen kennen, darunter Kripomann Thomas, mit dem er sich anfreundete. Noch war alles ganz normal, 2003 heiratete er Uta, zwei Kinder wurden geboren.
2007 war die Beziehung am Ende. Es folgten turbulente Monate, die Geschäfte der Dachdeckerfirma liefen eher mau, der Handwerker liebte mehr die große Geste und viele Worte, das kam bei Kunden anfangs ganz gut an, aber weil die Arbeit oft Pfusch war, gab‘s jede Menge Ärger. Bei regelmäßigen Bordellbesuchen traf Daniell M.-D. die Prostituierte Sarah, mit der er sich anfreundete, und zufällig auch seinen Ex-Nachbarn Thomas, der die Karriereleiter bei der Kripo ein Stückchen höher geklettert war. Und der ihn eines Tages anhaute: ob man nicht zusammenarbeiten könne, wie damals, bei der kroatischen Drogendealerin…
(…) Über Sarah habe er die Prostituierte Steffi kennengelernt, die wiederum zu einem Michael G. gehörte, der zu den Frankfurter Hells Angels zählt. (…) Die Polizei hatte endlich eine Quelle in der Nähe der Rocker (…).
Lob vom Hells-Angels-Fahnder
Ein Zufall half: Frühjahr 2009 – Daniell M.-D. verunglückte am Gambacher Kreuz, verschrottete seinen silberfarbenen Porsche (Kennzeichen FB-MD 81). Ungefähr zur gleichen Zeit verunglückte Michael G. mit seinem Motorrad, kam schwer verletzt in die Unfallklinik Frankfurt. „Gleiches Schicksal, das verbindet“, sagt Daniell M.-D. Er machte sich (…) erst an Steffi ran: „Ich bin mit ihr nächtelang um die Häuser gezogen, sie hat gekokst wie verrückt. Ich hab‘ ihr das Zeug besorgt (…).“
Mit Steffi besucht er Michael G. im Krankenhaus, am Ende fast jeden zweiten Tag. Er bringt Fresspakete aus der Stadt mit („vom LKA bezahlt“), und als Michael G. aus dem Krankenhaus entlassen wird, sind beide nicht nur dicke Kumpel, sondern da steht auch ein knallroter Monster-Geländewagen vom Typ „Hummer“ auf dem Parkplatz. „Mein Auto“, sagt Daniell M.-D. stolz. „Leih ich dir.“
Die nächsten Wochen kurvt Michael G. mit dem Fahrzeug durch die Stadt. „Er wusste nicht, dass der Wagen voll verwanzt war“, sagt Daniell M.-D. Es sei natürlich nicht sein eigener Wagen gewesen, den hätte er sich gar nicht leisten können: Die Polizei habe die Leasingraten übernommen, sagt er, wie auch für den Porsche turbo, den er sich nach dem Unfall umgehend im Porschezentrum Hofheim besorgte.
Daniell M.-D. hat es geschafft, im LKA jubeln sie: Er ist ganz nah an den Rockern dran. Er hat inzwischen über Michael G. weitere Mitglieder der Hells Angels („Member“) kennen gelernt. „Es passte alles. Meine Knasterfahrung. Meine Autos. Mein Auftreten. Allein mit meiner Dachdeckerfirma hätte ich das nie finanzieren können. Die Hells Angels vermuteten, dass ich irgendwelche dunklen Geschäfte machte, und das gefiel ihnen natürlich.“
Ende 2009 meldete sich Andreas S. bei ihm. Der LKA-Mann aus der Abteilung Organisierte Kriminalität, später einer der führenden Hells-Angels-Fahnder (…) Daniell M.-D.: „Da war ich echt ein bisschen stolz.“
Erschienen in der FNP am 05.02.2013