Heute wollen wir uns noch einmal im Oppenheimer Nachbarstädtchen Nierstein umschauen. Vor einiger Zeit hatten wir uns den heiligen Zorn des dortigen Stadtbürgermeisters zugezogen: Thomas Günther hatte sich damit gebrüstet, chinesische Firmen in sein Städtchen geholt zu haben – und wir hatten uns erdreistet, das kritisch zu hinterfragen. Seither ist viel Wasser durch den Rhein geflossen, und der Mann tönt wieder überall herum, seine China-Reise zeige großartige wirtschaftliche Erfolge. Grund genug, genauer hinzuschauen – und das fanden wir diesmal heraus: CDU-Mann Günther hat mit einer eigenen Firma begonnen, selbst im China-Geschäft mitzumischen. An seiner Seite: Ex-SPD-Landrat Claus Schick.
Warum der Stadtbürgermeister einen cholerischen Anfall kriegte
Beginnen wir, frei nach Heinrich Heine, mit Erinnerungen aus Niersteiner Schreckenstagen: Thomas Günther läuft, wenn Räsoneure seinen Weg kreuzen, bekanntlich schnell zur Höchstform auf. Der CDU-Stadtbürgermeister droht dann nicht, wie weiland der Dichter, mit Füsilierung, sein Ding scheint eher die Diffamierung zu sein: „Lüge“ schleudert er Kritikastern entgegen, auch „verdrehen“, „umdrehen“, „falsch darstellen“. Und dazu noch „unsachlich“, „geschäftsschädigend“, „persönlich diffamierend“.
Mit solch brachialer Anmache soll, die Taktik ist bekannt, jeder Ansatz von Kritik schon im Keim erstickt werden. Da schwingt sich einer auf wie ein Gorilla im tiefsten Urwald, breitbrustig trommelnd: Ich hab’ recht! Ich! Ich! Ich!
Thomas Günther in Action: In einem Bericht auf dieser Webseite hatten wir seine vollmundigen Ankündigungen zu hinterfragen gewagt. Mit Hilfe einer Chinesin, die in Nierstein ein Restaurant betreibt, hatte er eine China-Reise unternommen, auf der er – so ließ er hinterher die Lokalzeitung berichten – die Manager großer Konzerne getroffen habe, die in Nierstein investieren wollten.
Da wird man schon mal ungläubig staunen dürfen – in Rheinland-Pfalz Lewentzscher Prägung zumal: Ein kleiner rheinhessischer Lokalpolitiker akquiriert auf die Schnelle ein paar China-Firmen, siedelt sie vorgeblich in seiner Kleinstadt an und lässt auf diese Weise allenthalben die Hoffnung auf neuen Wohlstand und Reichtum erblühen…
Zweifel kamen auf, weil die Lokalzeitung die Firmennamen ständig anders schrieb. Auch tat es der Glaubwürdigkeit der Güntherschen Erzählungen nicht sonderlich gut, als wir herausfanden: Die chinesischen GmbHs, die angeblich schon Niederlassungen in Nierstein gegründet hatten, waren im Handelsregister nicht auffindbar, mussten mithin als nicht existent gelten.
Der CDU-Stadtbürgermeister fühlte sich von derlei Recherche-Ergebnissen, die wir im Bericht „Knall in Nierstein: Wo sind nur die China-Firmen?“ publizierten, persönlich angefasst. Ihn anzweifeln? Geht gar nicht! Da greift er an. Und macht den Affen.
Er schaltete umgehend einen Anwalt ein. Der erwirkte allerdings keine Unterlassung, was bei erwiesener Falschberichterstattung eine normale Reaktion wäre. Nein, der Anwalt des Stadtbürgermeisters – einer aus der Kanzlei von Franz-Peter Gallois, der wie Günther für die CDU als Kommunalpolitiker unterwegs ist – prüfte unseren Text sehr intensiv (vermuten wir) und schrieb sodann handzahm, der Text lese sich, frei übersetzt, gar nicht nett. Wie man den armen Thomas Günther nur so behandeln könne! Man möge sich bitte bei ihm entschuldigen, der Mann leide schließlich!
Derweil traktierte Günther seine WhatsApp-Gruppe mit einem seiner cholerisch anmutenden Anfälle. Wir zitieren aus einer seiner Rundmails:
Ruhmöller verdreht die ganze Sache und versucht mit Unwahrheiten wieder einmal Schmutz zu werfen. Auf andere Unterstellungen des Berichtes gehe ich gar nicht ein, weil hier nur das bekannte Ziel verfolgt wird, weiter zu beschmutzen.
Unwahrheiten? Schmutz werfen? Dann schauen wir noch einmal kurz auf die Fakten:
Am 28. September 2017 hatte die „Allgemeine Zeitung Landskrone“ berichtet, dass „zwei gerade neu gegründete Deutschland-Niederlassungen“ in Nierstein investieren wollten. Es handele sich um die Tochterunternehmen chinesischer Konzerne; das Lokalblatt schrieb wörtlich: „Günther verspricht sich von den Ansiedlungen natürlich Gewerbesteuereinnahmen, ‚das ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für unsere Stadt’. Die Firmen wollten einen Teil ihrer Mitarbeiter aus China mitbringen, aber auch Arbeitsplätze für einheimische Arbeitnehmer schaffen.“
In dem Artikel heißt es auch, eine „Delegation der Stadt Nierstein“ plane eine China-Reise, um Wirtschaftskontakte aufzubauen und zu vertiefen. So geschah es auch: Im Oktober 2017 flog Thomas Günther für zehn Tage nach Asien; begleitet wurde er unter anderem von Ex-SPD-Landrat Claus Schick sowie Pierre Boos, dem Geschäftsführer der Wein- und Sektkellerei Jakob Gerhardt.
Am 7. November 2017, nach seiner Rückkehr, ließ der Stadtbürgermeister Günther über die Zeitung verbreiten, dass der Trip durch das Reich der Mitte ein voller Erfolg gewesen sei: Die chinesischen Firmen hätten „bereits Niederlassungen in Nierstein gegründet, ‚das ist notariell unter Dach und Fach’, so Günther“.
Am 15. November 2017 enthüllten wir auf dieser Webseite, dass beide Firmen beim Handelsregister nicht bekannt seien. Woraufhin Günther frühmorgens besagte WhatsApp-SMS verschickte, die so begann:
„Ach der Ruhmöller. Er behauptet ständig etwas, was leider nicht der Wahrheit entspricht. Das einzige was er kann, ist Sachverhalte umzudrehen und falsch darzustellen.“
Am 24. November 2017 bekamen wir Post von Günthers Anwalt. Der Jurist schrieb auf zweieinhalb DinA-4-Seiten viel nichtssagendes Zeug, bestätigte aber ausdrücklich, dass die chinesischen Firmen noch nicht beim Amtsgericht registriert seien:
„Die Eintragung in das Handelsregister kann und wird also in Kürze vorgenommen werden.“
Tatsächlich ging plötzlich alles ganz schnell: Zwei Tage nach unserem Bericht wurde das Stammkapital für die beiden Firmen eingezahlt. Mit der üblichen Verspätung schrieb dann das Lokalblatt am 28. November 2017: Das Stammkapital der beiden chinesischen Firmen sei laut Niersteins Stadtbürgermeister eingegangen. „Deshalb stehe nun auch der vom Notar beim Amtsgericht zu beantragenden Eintragung im Handelsregister nichts mehr im Weg“.
Womit wir das schon mal geklärt hätten: Günthers China-Firmen dürften tatsächlich in Nierstein angekommen sein!
Dann müsste es ja bald losgehen: Neue Jobs! Neue Steuereinnahmen! China goes Nierstein – der Aufschwung kann kommen!
Gut hundert Tages sind seit unserem ersten Bericht vergangen. Schauen wir einfach mal nach, was sich seither getan hat.
Niersteiner Leben: Behüte mich Gott vor meinen Freunden…
Zum besseren Verständnis von Thomas Günther und auch zur Einordnung seiner Persönlichkeit müssen wir an dieser Stelle einen schnellen Sidestep machen, der die Einbettung Günthers in den Oppenheim Skandal vor Augen führt:
In den letzten Monaten hatte sich Niersteins CDU-Stadtbürgermeister in schier unverbrüchlicher Treue hinter Marcus Held gestellt. Was auch immer auf dieser Webseite an neuen dubiosen Amtsgeschäften des Oppenheimer SPD-Stadtbürgermeisters enthüllt wurde: Es mutete nahezu verhaltensauffällig an, wie eng sich Günther an Helds Seite drängte.
Auch nachdem der Landesrechnungshof unsere Berichte vollauf bestätigt und weitere rechtswidrige Geschäfte der Oppenheimer Stadtführung aufgedeckt hatte: Günther & Held waren, so sagt man, wie ein „Kopp un Arsch“. Zwei, die nebeneinander im Gleichschritt marschierten. Beste Buddys über trennende Parteigrenzen hinweg, die sich blindlings verstanden.
Selbst als die Staatsanwaltschaft immer mehr Ermittlungsverfahren gegen Held einleitete, dröhnte Günther: Auch für Held gelte die Unschuldsvermutung. Rechtswidriges Verhalten, gar strafrechtlich relevante Vorgänge im Oppenheimer Rathaus? Das müsse erst einmal nachgewiesen werden! Und, bittschön, der bösartige Whistleblower müsse endlich zur Verantwortung gezogen werden.
Es schien, als schnüre Günther und Held ein unsichtbares Band ganz eng zusammen.
Der Schulterschluss zwischen den beiden Lokalpolitikern, die sich in der politischen Couleur unterscheiden mögen, in ihrem rabauzigen Auftreten allerdings wie eineiige Zwillinge gleichen, war eine Dauer-Provokation für alle Christdemokraten der Region. Ein Beispiel aus jüngerer Vergangenheit: Günther ging Anfang dieses Jahres nicht zum alternativen Neujahrsempfang seiner Parteifreunde in Oppenheim – er zeigte sich lieber Seit’ an Seit’ mit seinem skandalumtosten Amtsbruder bei dessen städtischen Neujahrsempfang in der Landskronhalle. Hier schlürfte er den Gratis-Wein, den ihm sein Freund Maggus einschenkte, und er soll begeistert mitgejohlt haben, als Ex-Landrat Claus Schick (SPD) die Medienkritik an Held als „Pogrome“ bezeichnete.
Erst als Marcus Held von der eigenen Partei fallengelassen wurde, weil er bei Immobiliengeschäften in die eigene Tasche gewirtschaftet hatte, da muss Günther geahnt haben, dass er vom Sog des Held-Untergangs mitgerissen werden könnte. Schleunigst suchte er das Weite: Held, so tönte er fortan, habe eine rote Linie überschritten (wohlgemerkt: für Günther erst jetzt)! „Ich war schockiert, als ich das gelesen habe, das ist für mich unfassbar“, heuchelte er und tat ganz entsetzt: „Die heute bekannt gewordenen Vorwürfe sind so schwerwiegend, dass hier schnellstens Konsequenzen gefordert werden müssen.“
Behüte mich Gott vor meinen Freunden, mit den Feinden will ich schon allein fertig werden – so lautet ein geflügeltes Wort, das in Nierstein mit Leben gefüllt wird. Der CDU-Stadtbürgermeister Thomas Günther zeigte uns sein wahres Gesicht, als er Held via Presse die Freundschaft aufkündigte. Angesichts der jahrelang offen zelebrierten Kumpanei mit dem SPD-Mann wirkte seine öffentliche Entrüstung nur aufgesetzt und unglaubwürdig.
Ein CDU-Mitglied in Nierstein sagte: „Ziemlich verlogen, diese Nummer.“
Schmuddel-Herberge dient Chinesen als Briefkastenfirma
Und damit sind wir angekommen: Herzlich willkommen in Nierstein unter CDU-Stadtbürgermeister Thomas Günther im Jahr 2018!
Vor kurzem legte ein Schiff am Flussufer des rheinhessischen Städtchens an und setzte eine Reisegruppe Chinesen an Land ab. Günther und der Geschäftsführer der Wein- und Sektkellerei Jakob Gerhard, Pierre Boos, luden die Reisegruppe zu einem Empfang ein, bei dem auch Ex-Landrat Claus Schick und der kommissarische Bürgermeister der Stadt Oppenheim, Helmut Krethe, aufkreuzten.
Und wieder verkündete Günther lauthals, was die lokalen Blättchen prompt nahezu wortgleich wiedergaben:
„Es zeigt sich immer mehr, dass unser damaliger Besuch in China Nachhall in Form von wirtschaftlichen und touristischen Erfolgen findet.“
Das hört man doch mit Freude! Nachhall in Form wirtschaftlicher Erfolge – das schauen wir uns gerne etwas genauer an:
„Germany Hong GmbH“ nennt sich die eine Firma, die Günther nach Nierstein gelotst haben will, die andere nennt sich in einem merkwürdigen Gemisch aus Deutsch und Englisch „Germany Motion Technologie GmbH“. Es handelt sich angeblich um Unternehmen „mit mehreren hundert Mitarbeitern, die laut Günther Module für Motoren und elektrische Kleinteile herstellen und Zulieferer für große internationale Firmen wie Audi, VW, Apple oder Samsung sind“. So stand’s in der Zeitung, die vom Stadtbürgermeister direkt informiert wurde und deren Berichterstattung er bisher nicht kritisiert hat. Man will uns wohl glauben machen: Günther hat richtig potente Firmen geholt!
Frage: Hat wer die Firmen schon gesehen in Nierstein? Beide sollen bereits vor Monaten Niederlassungen gegründet haben, hatte der Stadtbürgermeister gesagt. Sind sie eigentlich schon irgendwo aufgetaucht?
Wir haben sie entdeckt, und wenn Sie mehr wissen wollen, die ganze Wahrheit, dann seien Sie gewarnt: Dann müssen Sie ganz tapfer sein!
Kennen Sie das Hotel-Restaurant „Alter Vater Rhein“? Es liegt in der Großen Fischergasse, einer engen Einbahnstraße, die von der Mainzer Straße (B 9) aus einfahrbar ist. Linker Hand, Hausnummer 4, da liegt das Gasthaus: Zweistöckig, die Hausfassade war einstmals kitschig-bunt bemalt, jetzt wirkt alles ziemlich heruntergekommen, verwahrlost, schmuddelig.
Wir haben versucht, das Hotel bzw. Restaurant aufzusuchen. Geht nicht! Das Telefon: seit Wochen nicht besetzt. Die Eingangstür: seit Wochen abgeschlossen. Mails werden nicht beantwortet. Als wir unlängst klingelten, erschien ein Asiate an der Tür, lugte durch einen schmalen Spalt, verstand kein Deutsch, wollte kein Englisch sprechen, schloss die Tür wieder zu. Auf dem Parkplatz stapelt sich Leergut, wuchert Unkraut.
Links neben der Eingangstreppe hängt die Speisekarte in einem Kasten, das Glas so verdreckt, dass man das „kulinarische“ Angebot kaum lesen kann. Rechts vor der Treppe steht ein Schild: „Echt geile rheinhessische Küche“. Auf der obersten Stufe, direkt neben der Eingangstür, stinkt ein übervoller Zigaretteneimer, darüber hängt ein Stahlblech-Briefkasten mit eingestanztem Posthorn…
Das ist das Traditions-Gasthaus „Alter Vater Rhein“. Und hier finden wir sie allesamt, Günthers Chinesen-Firmen, die für ihn „wirtschaftlichen Erfolg“ symbolisieren. Die Namen der Unternehmen stehen auf einem ausgerissenen Zettel, der mit durchsichtigen Tesa-Streifen auf die dunkelbraune Postbox geklebt wurde:
Die „Germany Hong GmbH“ und die „Germany Motion Technologie GmbH“, die angeblichen Niederlassungen internationaler Automobil-Zulieferkonzerne, haben ihren Firmensitz in diesem heruntergekommenen Niersteiner Gasthof gefunden.
Dazu gibt es hier – das mag noch durchaus naheliegend sein – eine Firma mit dem Namen „Alter Vater Rhein GmbH“.
Außerdem haben unter dieser Adresse eine „ASAP Global GmbH“ und eine „BBG Germany GmbH“, eine „Juncun Global GmbH“ und noch eine „L.Rhein GmbH“ ihren Firmensitz.
Soll das der versprochene „wirtschaftliche Erfolg“ nach Günthers China-Reise sein? Ein leerstehendes Schmuddel-Hotel mit geschlossenem Restaurant als Briefkasten-Adresse für Dependancen großer chinesischer Unternehmen?
Neue Arbeitsplätze und höhere Steuereinnahmen hatte Thomas Günther versprochen – mit diesen Firmen?
Wir würden gerne detailliertere Informationen über die GmbHs verraten, aber das gestaltet sich äußerst schwierig. Bei den meisten der genannten Firmen hat eine Frau Xinru Großkopf ihre Finger mit im Spiel. Sie ist die Betreiberin des Gasthauses „Alter Vater Rhein“. Als sie das traditionsreiche Geschäft im Jahr 2015 übernahm, vermeldete die Lokalzeitung happy:
„Ich liebe dieses Haus, egal wie alt“: Xin Ru Fang sitzt unter Holzschnitzarbeiten und Wandmalereien mit zünftigen Trink- und Lebensweisheiten. Die zierliche junge Frau vermittelt auf den ersten Blick nicht den Eindruck, als ob rheinhessische gefüllte Klöße auf Rahmkraut oder ein kräftiger Schluck vom Roten Hang zu ihrem regulären Speiseplan gehört. Doch das täuscht: Die seit vielen Jahren in Deutschland heimische Chinesin und ihre Familie übernehmen zum 1. März die Geschicke des Niersteiner Traditionshauses „Alter Vater Rhein“. Und Carl Zuckmayers Leibgericht, eben jene gefüllten Klöße, bleiben ebenso auf der Speisekarte wie so mancher gute Tropfen aus der Region.
Es waren wohl eher fromme Wunschgedanken, die der Redakteurin den Text diktierten. Binnen kurzer Zeit entfernte sich das Traditionshaus weitestmöglich von jedweder Gastlichkeit: Küche und Hotellerie – wenn es sie denn noch gibt, worauf nichts hindeutet – dürften selbst Menschen in bitterster Not nicht zu locken vermögen.
Die Pächterin, die in der Zeitung – wie später auch von Stadtbürgermeister Günther – stets mit dem Namen Xinru Fang vorgestellt wurde, ist eine Chinesin, die laut Lokalzeitung seit 2003 in Deutschland lebt und 2008 einen Niersteiner heiratete, mit dem sie in Frankfurt wohnen soll. Nachweislich heißt sie seither Xinru Großkopf, nennt sich jedoch offenbar immer wieder Frau Fang. Warum sie unter zwei Namen auftritt? Als wir sie am Handy erreichten und danach fragen wollten, legte sie gleich wieder auf. Unsere Mails beantwortete sie nicht. Sie wird ihre Gründe haben.
Spuren dieser Frau entdecken wir in Mecklenburg-Vorpommern, wo die heute 41-Jährige vor gut zehn Jahren zeitweilig einen Handel mit bunt gemischtem Allerlei (Souvenirs, Möbel, Schmuck, Baumaterial, Stahl und Schrott, Autos und Reisen) leitete. 2011 wurde die Firma gelöscht.
Die Frau tauchte dann in Eschborn vor den Toren Frankfurts auf, wo sie in einem der großen Bürohäuser eine kleine Firma („G&P UG haftungsbeschränkt“) für Damenbekleidung und Hochzeitsbedarf eröffnete. Laut Handelsregister nannte sie sich jetzt Xinru Großkopf. Die Firma gibt es seit 2013 nicht mehr.
Anfang 2015 gründete sie als anteilige Gesellschafterin und Geschäftsführerin für den Betrieb des Niersteiner Hotel-Restaurants die „Alter Vater Rhein GmbH“ (AG Mainz HRB 46189).
Wenig später wurde unter derselben Adresse die „ASAP Global GmbH“ (HRB 46441) gegründet: Xinru Großkopf ist eine von drei Geschäftsführern – das Unternehmen, das in Rodgau-Dudenhofen eine Niederlassung betreibt, handelt laut Internet-Darstellung mit gebrauchten Straßenbau-Maschinen.
Es folgte wenig später die Gründung der „BBG Germany GmbH“: Geschäftsführende Gesellschafterin ist auch hier Xinru Großkopf, in diesem Unternehmen handelt sie mit Lebensmitteln.
Und schließlich sitzt die Frau in den beiden neu gegründeten Niederlassungen der chinesischen Konzerne: Bei „Germany Hong GmbH“ ist sie Miteigentümerin. Bei der „Germany Motion Technologie GmbH“ sitzt sie mit in der Geschäftsführung. Thomas Günther weiß, was die Firmen machen – sagte er jedenfalls der Zeitung: „Die Germany Hong GmbH stellt Lagerprodukte für Autos, Flugzeugteile und Maschinen her.“ Die Germany Motion Technologie GmbH habe sich „auf den Bau von elektronischen Messgeräten und Modulen spezialisiert“.
Frau Xinru Großkopf muss wirklich ein unternehmerisches Multi-Talent sein! Von Hochzeitskleidung über schwere Baufahrzeuge und Lebensmitteln bis hin zu elektronischen Messgeräten und Lagerprodukten für Autos und Flugzeuge – sie kann offenbar alles.
Ob wirklich alles mit rechten Dingen zugeht? Das weiß derzeit nur sie allein.
Günthers Geheimnis: Chinesen-Firma mit dem Ex-Landrat
Als wir vor vier Wochen beim alten Gasthaus an der Großen Fischergasse in Nierstein anklopften, wies das Briefkasten-Namensschild noch auf eine Firma namens „L.Rhein GmbH“ hin, die laut Handelsregister mit Instrumenten und Gerätschaften für Mess- und Regeltechnik handelt und inzwischen nach Frankfurt umgesiedelt sein soll.
Ein weiterer Name am Briefkasten nannte eine „Juncum Global GmbH“, die im Handelsregister leider nicht aufzutreiben ist, weshalb wir konstatieren müssen, dass es sich um eine Fake-Firma handelte.
Die beiden Firmennamen „L.Rhein GmbH“ und „Juncum Global GmbH“ sind inzwischen vom Briefkasten verschwunden, dafür hat jetzt neben dem „Deutschland HBR E.V.“ (ein eingetragener Verein dieses Namens findet sich keinem der uns zugänglichen Vereinsregister) ein neues Unternehmen seinen Sitz in der Großen Fischergasse 4 gefunden: die „Germany Rhein Building and Trading GmbH“.
Als wir im Handelsregister nach Eigentümern und Geschäftsführern nachschauten, erlebten wir eine Überraschung:
Die Gründungsgesellschafter sind:
➜ ein Chinese namens Zhigang Chen (22,5%);
➜ die uns inzwischen bestens bekannte Betreiberin des Gasthauses „Alter Vater Rhein“, die chinesische Multi-Unternehmerin Xinru Großkopf (20%);
➜ der Weinhändler Pierre Boos aus Weinolsheim (22,5%).
und – jetzt kommt’s:
➜ Claus Schick, der ehemalige SPD-Landrat von Mainz-Bingen (20%);
sowie
➜ Thomas Günther, der CDU-Stadtbürgermeister von Nierstein (15%)
Die Namen dieser Fünf erscheinen in der Gründungsurkunde vom 19. Dezember 2017 (UR.Nr. 400/2017 der Notarin Maike Strömer, Frankfurt). Beim Gründungsakt ließ sich Thomas Günther noch von Xinru Großkopf vertreten. Am 27. Dezember 2017 reiste er dann eigens nach Frankfurt, um den Gründungsakt bei Notarin Strömer rechtsförmlich zu genehmigen (UR.Nr. 408/2017).
Da fragen wir uns doch: Welches unternehmerische Interesse hat die fünf Gründungsgesellschafter – vor allem auch die Herren Günther und Schick – geleitet? Aufschluss bietet der Gesellschaftszweck der am 1. März 2018 unter HRB 47991 in das Handelsregister beim Amtsgericht Mainz eingetragenen Gesellschaft:
„Im- und Export von Lebensmitteln aller Art, insbesondere von Wein- und Likörspezialitäten, Spirituosen und nicht alkoholischen Getränken. Ferner die Planung, Beratung und Umsetzung von Bauprojekten sowie die Durchführung von Veranstaltungen und Events im In- und Ausland.“
Ein ziemlicher Gemischtwarenladen. Sicher darf man Thomas Günther, von Hause aus Vertriebler von Solinger Klingen, zutrauen, auch Lebensmittel an den Mann oder die Frau zu bringen. Brisant aber eher – Oppenheim lässt grüßen – das Standbein im Immobiliengeschäft:
Wollen sich die Herrschaften – namentlich der CDU-Stadtbürgermeister und der EX-SPD-Landrat – etwa unternehmerisch am Rhein-Selz-Park beteiligen? Interessant in diesem Zusammenhang: Der Gesellschaftsvertrag der „Germany Rhein Building and Trading GmbH“ gibt Günther und Schick mit ihrem Beteiligungspaket von zusammen 37,5% eine Sperrminorität, also nicht unerheblichen Einfluss.
Immerhin: Bei Gründung der Gesellschaft zeigte Günther – der aktive Kommunalpolitiker – noch eine gewisse Scham. Den Außenauftritt des Unternehmens, nämlich die Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft, überließ er Xinru Großkopf – und Claus Schick.
Mit dem Wissen um die Firmenneugründung am 19. Dezember 2017 wird uns heute so einiges klar:
- Claus Schick war lange Jahre Landrat von Mainz-Bingen, ein strammer SPD-Mann. Bevor er Ende September letzten Jahres in den Ruhestand trat, machte CDU-Mann Günther den Genossen zum Ehrenbürger von Nierstein. Wirklich wegen seiner Verdienste für Nierstein? Oder plante man damals schon die gemeinsame Firma, und wollte Günther seinem alten Kumpel einfach mal was Gutes tun, gerne auch auf Kosten seines Städtchens?
- Nachdem Claus Schick beim Oppenheimer Neujahrsempfang die Pressekritik an seinen Parteifreund Marcus Held als „Pogrome“ bezeichnet hatte, empörten sich selbst führende Genossen über diese ungeheuerliche Entgleisung. CDU-Mann Günther dagegen schwieg. Jetzt wissen wir warum: Er war bereits mit Schick unternehmerisch aktiv. Private Geschäfte scheinen diesem Mann wichtiger zu sein als politische Moral.
- Im ganz neuen Licht erscheinen auch Günthers Ausfälligkeiten, nachdem wir im letzten November seine China-Darstellungen kritisch hinterfragt hatten. Seinen Anwalt ließ er schreiben: „Ihr Artikel „Knall in Nierstein: Wo sind nur die China-Firmen?“ erschöpft sich also in einer reißerisch dargebrachten, bloßen Vermutung Ihrerseits, die jegliches journalistische Niveau vermissen lässt und offenbar nur dazu dienen soll, Herrn Thomas Günther in der Öffentlichkeit zu diskreditieren.“
Schon damals wusste Günther, dass er mit Schick, Großkopf & Co. eine eigene Firma gründen wollte. Nur einen Monat später unterschrieb er die Gründungsurkunde mit dem Gesellschaftsvertrag…
Heute dürfen wir vermuten, dass Thomas Günther mit seiner maßlos überzogenen Reaktion und Attacke gegen einen Journalisten nur verhindern wollte, dass das Geheimnis seines privaten Geschäfts jemals publik würde. Beinahe wäre es ihm gelungen: Wer ahnt auch schon, dass ein schlichter Zettel am Briefkasten eines heruntergekommenen Gasthofs zur Gesellschaftsgründung des Stadtbürgermeisters führt?
Und in der Tat: Günther muss die Gesellschaftsgründung im Nachhinein als hochgradig brisant empfinden. Nicht zuletzt, nachdem seinem Ex-Kollegen und Ex-Buddy Held im benachbarten Oppenheim die Verquickung von privaten Interessen und öffentlichem Amt zum Verhängnis geworden war und sich gerade Günter darüber medienwirksam entrüstet gezeigt hatte. Er – Günther – muss wohl gespürt haben, dass er selbst mit der GmbH-Gründung die von ihm vollmundig propagierte „rote Linie“ überschritten hat:
Nur so ist zu erklären, dass Notarin Maike Strömer unlängst, unter dem Datum vom 1. März 2018, eine neue, geänderte Gesellschafterliste beim Handelsregister hinterlegte. Danach hat Günther seine Gründungsbeteiligung von 15 Prozent zu gleichen Teilen an die Mitgesellschafter Chen, Großkopf und Boos abgegeben. Ob die darüber auch wirtschaftliche Eigentümer der Beteiligung geworden sind oder nur als Treuhänder Günthers fungieren, ist nicht überliefert und anhand des Handelsregisters auch nicht zu verifizieren.
Nicht nur Oppenheim, nein, erkennbar auch in Nierstein gibt es nichts, was es nicht gibt.
Erschienen am 15. März 2018 auf www.der-oppenheim-skandal.de