Ein Frankfurter Mediziner ist von einer todkranken Krebspatientin angezeigt worden, weil er sie falsch behandelt und finanziell ausgebeutet haben soll. Der Arzt wiederum hat den neuen medizinischen Berater der Frau angezeigt – versuchte Erpressung, so sein schwerer Vorwurf. Der Fall wirft ein grelles Schlaglicht auf eine Medizin, die zur Geschäftemacherei verkommen ist.
Frankfurt. Jochen Thomas Brandt muss ein vielbeschäftigter Mann sein. Gerne sagt er, er sei Heilpraktiker, seit zwanzig Jahren schon, in Lübeck. Andererseits nennt er sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit „Fachjournalist“, natürlich für Medizinthemen, nebenbei fungiert er noch als selbst ernannter „Chefredakteur“ auf seiner eigenen Internetseite www.nordostreport.de, wo er Meldungen „vom Harz bis an das Meer“ nach unidentifizierbarer Methodik veröffentlicht (letzte News: „Mammut-Stoßzahn bei U-Bahn-Bau entdeckt“).
Gleichzeitig betreibt bzw. betreut der 56-Jährige noch ein halbes Dutzend Internetseiten, darunter naturheilkunde-heute.com, heilpraktikerlotse.de, praxen.galvanotherapie.info usw. Damit nähern wir uns seiner zentralen Mission, die er mit dem Vorsitz in dem Verein „Forum für biologische Krebstherapie“ krönte: Dort lässt er sich in vielsagender Selbsteinschätzung „Präsident“ titulieren.
Jetzt allerdings hat Herr Brandt, der früher Polizist gewesen sein soll, ein nicht zu unterschätzendes Problem: Ein Mediziner aus Frankfurt hat Strafanzeige gegen ihn erstattet – wegen versuchter Erpressung, Verleumdung und falscher Verdächtigung. Die Staatsanwaltschaft muss ermitteln.
Wir sind mittendrin in einem Kriminalfall im Weißkittel-Milieu: Es geht um einen Fall, der ein entlarvendes Licht auf die düstere Situation jener Menschen wirft, die unheilbar an Krebs erkrankt sind und die von unserer Schulmedizin aufgegeben werden mussten. Verurteilt zum Sterben: Wenn diese Kranken noch etwas Kraft haben, noch einen starken Willen und einen Funken Lebensmut, dann finden sie immer wieder einen Weg zu Ärzten, die ihnen trotz aller schulmedizinischen Aussichtslosigkeit Hilfe offerieren. Mit allerlei Substanzen, abenteuerlich gemixten Infusionen und jeder Menge pseudomedizinischen Gerätschaften. Gegen Bezahlung, natürlich, es ist nicht gerade billig.
Eine vielfach obskure, manchmal sogar dubiose Mediziner-Connection hat sich da gefunden, für Laien nur schwer zu unterscheiden von der Mehrzahl der Ärzte, die sich in den Grenzen der wissenschaftlich anerkannten Heilkunst bewegt. Wo Dr. Gerhard Siebenhüner (62) einzuordnen ist, der im Norden Frankfurts seine Praxis betreibt, wissen wir nicht. Auf 600 Quadratmetern, mit zwei Halbtagsärztinnen und acht Angestellten, widmet er sich seinen Patienten. Freundliche Rot-, Gelb- und Orange-Töne dominieren die Räume.
Es handelt sich nicht um eine schlichte Arztpraxis. „Zentrum der erweiterten Medizin“ steht auf dem Praxisschild. Nichts für Kassenpatienten. Nur für Selbstzahler.
Kratzer bekam die feine Fassade, als unlängst ein Fernsehbericht über den Arzt ausgestrahlt wurde. Dr. Siebenhüner soll einer schwerkranken Patientin Heilung in Aussicht gestellt, ihr eine Medikamentation aus zweifelhaften Substanzen verordnet und dafür unverschämt viel Geld kassiert haben. Der Arzt bestritt vehement, aber das ging in dem TV-Beitrag etwas unter.
Im Nachklapp zur Sendung erhielt Dr. Siebenhüner einen Brief aus Lübeck: „Imagepflege“ bot ihm ein gewisser Jochen Thomas Brandt an, der angeblich genau wisse, wie man einen lädierten Ruf wieder heilen könne. Ein Telefonat ergab Klarheit, sagt Dr. Siebenhüner heute: „Für die Imagepflege verlangte Herr Brandt 20.000 Euro.“ Das Geld sei vorab zu zahlen, und ohne Garantie auf Erfolg, natürlich.
Der Deal kam nicht zustande, dafür bekam Dr. Siebenhüner wenige Wochen später erneut Post von Herrn Brandt. Der hatte Kontakt gefunden zu einer krebskranken Frau aus Bayern, die bis Frühjahr dieses Jahres bei Dr. Siebenhüner in Frankfurt in Behandlung gewesen war. Die 72-Jährige leidet an Dickdarmkrebs. Endstadium, da ist medizinisch nichts mehr zu machen. Die Ärzte haben die Frau aufgegeben, eine Uniklinik hatte sie zum Sterben nach Hause geschickt. In dieser Situation habe sie sich mit ihrem Mann ins Auto gesetzt, sagt Dr. Gerhard Siebenhüner, und sei von München nach Frankfurt gefahren. Zu ihm in sein „Zentrum der erweiterten Medizin“.
„Sie flehte, sie weinte, sie bettelte, dass ich sie behandeln solle“, sagt Dr. Siebenhüner. „Was sollte ich tun? Ich konnte sie doch nicht aus meiner Praxis werfen.“ Er behandelte die Frau, fast ein Jahr lang, nahezu jeden Tag. Dr. Siebenhüner schaut in seinen Computer, zeigt eine Statistik: An 170 Tagen war die Frau in seiner Praxis, „sie kam morgens und ging erst abends“, bis zu zehn Stunden täglich saß sie da, „sie wollte alle Behandlungen, die möglich sind“.
Das Arsenal der Medizin ist bekanntermaßen imponierend: Ozon- und Hitzewellen-, Basen- und Galvanotherapie, dazu Aufbauinfusionen und Vitalkuren, lichtmikroskopische Untersuchungen, Laserblutbestrahlungen… Der Arzt stellte der Patientin seine Dienste, seine Zeit und die seiner Mitarbeiter, dazu Unmengen an Infusionen sowie den ganzen martialischen Geräteeinsatz in Rechnung. Am Ende betrug seine Forderung über 260.000 Euro, inbegriffen die zeitweilige Behandlung des Ehemannes. Da das Ehepaar dem Arzt eine Genehmigung zum Lastschrifteinzugsverfahren erteilt hatte, was dieser regelmäßig nutzte, ist die Rechnung heute weitgehend bezahlt, angeblich bis auf rund 30.000 Euro.
Die ganze Angelegenheit wäre vermutlich niemals bekannt geworden, hätte Frau Sch. nicht bei ihrer privaten Krankenversicherung, der Allianz, die Kosten eingefordert. Eine sechsstellige Summe aber zahlt nicht jede Versicherung freiwillig. In einem vierseitigen Brief listete denn auch ein Allianz-Mitarbeiter auf, was eine Übernahme der Kosten verhindere: Dr. Siebenhüner habe Therapien angewandt, die nicht zu den anerkannten Behandlungsverfahren zählten. Er habe Medikamente verordnet, die in Deutschland nicht mehr vertrieben würden, er habe Infusionen verschrieben, die heute sogar verboten seien. Er habe Insulin gegeben, obwohl wissenschaftlich nachgewiesen sei, „dass erhöhte Insulinspiegel eine krebsauslösende Wirkung haben“. Und überhaupt: Der Therapiemix, den der Arzt der todkranken Frau verordnet habe, den könne „selbst ein gesunder Organismus (…) kaum überstehen“.
Inzwischen rudert man bei der Allianz zurück. Die Formulierungen seien nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, es handele sich um ein Schreiben, in dem es um finanzielle Forderungen gehe, sagte der Sachbearbeiter dieser Zeitung. Die gesundheitliche Bewertung der ärztlichen Leistungen sei ein ganz anderes Thema, und überhaupt: Der Fall sei ja noch nicht endgültig geklärt, werde weiter geprüft.
Aber das Allianz-Schreiben wurde verschickt – an die Patientin, bei der prompt der Verdacht aufkam, im Endstadium ihres Lebens von einem Arzt ausgeplündert und betrogen worden zu sein. Sie wandte sich an Herrn Brandt, den „Präsidenten“ des Krebskranken-Forums, und der bot ihr nun seinerseits Hilfe an, zumindest in dieser unerfreulichen pekuniären Sache. Folgsam unterzeichnete die alte Dame ein Papier, mit dem sich Herr Brandt alle möglichen Rechte übertragen ließ.
Und mit dieser Vollmacht wandte sich der Mann dann erneut an Dr. Siebenhüner: Von Imagepflege für 20.000 Euro war jetzt nicht mehr die Rede – 150.000 Euro solle der Arzt zahlen, sagt Herr Brandt auch heute noch. „Ich wollte im Namen der Frau eine moralische Wiedergutmachung.“
Es ist nicht richtig auszumachen, ob sich Herr Brandt wirklich für die Patientin einsetzt – oder eine Verdienstchance für sich selbst sieht. Tatsächlich telefonierte er in der Folge mehrere Male mit dem Frankfurter Arzt, der die Gespräche allesamt protokollierte. Danach wollte Herr Brandt erstens das Geld, und zwar sofort, und zweitens die Unterlagen der Patientin, und zwar komplett, inklusive aller handschriftlichen Notizen. Andernfalls, so soll Herr Brandt gedroht haben, würde er „zum SWR gehen“ und dann „mit Mikrofon und Kamera“ in die Praxis kommen. „Da habe ich einen Anwalt eingeschaltet“, sagt Dr. Siebenhüner, „das war klare Erpressung.“
Der Arzt versichert im Gespräch wiederholt, er habe sich medizinisch und finanziell nichts, aber auch gar nichts vorzuwerfen – außer vielleicht, dass er der Patientin so lange zu helfen versucht habe, obwohl doch eigentlich keine Chance mehr auf Heilung bestand. „Aber sie kam immer wieder, sie wollte unbedingt behandelt werden, und sie sagte auch, meine Therapien täten ihr so gut.“ Es könne durchaus sein, sagt Dr. Siebenhüner auch, dass er der Frau wirklich geholfen habe, „vielleicht hätte sie ohne meine Hilfe gar nicht bis heute überlebt. Nach allen Prognosen hätte sie doch längst tot sein müssen“.
Hat der Arzt sich richtig verhalten? Oder hätte er die Behandlung einfach abbrechen müssen, da keine realistische Aussicht auf Heilung bestand? Hat er, da er trotzdem weitermachte, die Patientin getäuscht, sie finanziell ausgeplündert?
Das Ganze wird vielleicht ein Fall für die Ärztekammer – ganz bestimmt für Juristen. Da gibt es die Anzeige wegen Erpressung von Dr. Siebenhüner gegen Herrn Brandt, der wiederum sagt, er habe Frau Sch. zu einer Strafanzeige gegen den Arzt geraten: Vorwürfe wie Körperverletzung, Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz, arglistige Täuschung etc. werden darin aufgezählt. Ein entsprechendes Schreiben liegt angeblich bereits bei der Staatsanwaltschaft.
Herr Brandt sagt im Telefonat mit dieser Zeitung auch, Mediziner wie Siebenhüner müssten gestoppt werden. Er werde für öffentlichen Druck sorgen. Er werde HR, SWR und „Bild“ einschalten; es klingt, als wolle er die Medien auf seinem Feldzug gegen den Arzt vor seinen Karren spannen.
Wie auch immer das ausgeht: Frau Sch. dürfte das Ende der Schlammschlacht nach menschlichem Ermessen kaum erleben. Sie soll sich zwischenzeitlich einer Chemotherapie unterzogen haben, heißt es, sie sei vollkommen geschwächt, die Klinik hätte sie nach Hause entlassen müssen.
Erschienen in der FNP am 22.08.2012