Sex, Drugs & Rock’n’ Roll in der Landesbank Hessen-Thüringen: Eine Mitarbeiterin der exklusiven Chefetage hoch oben im Frankfurter Main Tower wird als Drogendealerin enttarnt. Ein Sparkassenpräsident versucht recht stümperhaft, ein Vorstandsmitglied zu feuern. Und jetzt werden diese Geschichten auch noch an die Öffentlichkeit gezerrt, kommen vor Gericht. Spurensuche in einer Welt, die sich gewöhnlich abschottet und viel auf Diskretion und Seriosität gibt. Normalerweise…
Frankfurt. Den 5. Februar 2009 – ein tristkalter Donnerstag, dicke graue Regenwolken hängen über der Skyline – möchten die Verantwortlichen der Helaba am liebsten aus dem Kalender streichen. Der Tag wird in keinem Jahresbericht des Instituts jemals vermerkt werden, obwohl er doch so weitreichende Bedeutung hat, bis heute.
Es war gegen 18 Uhr, als eine Handvoll Männer Zutritt zur Vorstandsetage begehrte, und zwar unverzüglich. Sie zückten Dienstausweise und legten einen Durchsuchungsbeschluss vor: Kriminalpolizei!
Der Aufzug katapultierte die Männer in Sekunden nach oben. Minuten später herrschte auf dem vornehm grauen Teppich im 47. Stock des Main Towers aufgeregte Betriebsamkeit. Dr. Dietrich Rethorn und Dr. Michael Frese, der eine Syndikus der Landesbank, der andere sein Stellvertreter, eilten herbei; Hans-Dieter Brenner, der Vorstandsvorsitzende, kam aus seinem Büro, gerötetes Gesicht, er wankte leicht, erinnert sich noch heute eine Mitarbeiterin, vor Erschrecken, völlig entgeistert habe er gewirkt:
Da hatte man doch tatsächlich eine seiner Empfangsdamen verhaftet, Nadja A., die nette Blonde, die ihn morgens, wenn er aus dem Aufzug kam, stets mit freundlichem Lächeln begrüßt hatte. Verhaftet wegen Drogenhandels! Drogenhandel in seiner Helaba!
Und als wäre das nicht genug – die Kripomänner nannten in dieser unschönen Angelegenheit auch noch den Namen eines Vorstandskollegen: Stefan Bungarten, heute 46 Jahre alt, ein international anerkannter Finanzexperte, sein Top-Mann fürs globale Kapitalmarktgeschäft. Der Mann solle Nadja A. kennen, sei vielleicht sogar, so ein Gerücht, ihr Lebensgefährte, weshalb die Polizei auch seine Wohnung durchsuchen wolle.
Unfassbar, fürwahr: Eine Drogendealerin Tür an Tür mit den Helaba-Bossen. Und ein Vorstand soll ihr Lebensgefährte sein? Was ist da dran? Ist das wirklich wahr?
Ein paar Meter hinterm Empfangstisch, wo Nadja A. immer gesessen hatte, wo sie die Gäste begrüßt und manchmal bis in die Nacht ausgeharrt hatte, wenn wieder irgendeiner im Vorstand bis in die Puppen durcharbeiten musste, also dahinter liegt das Büro von Dr. Norbert Schraad, Vorstand Corporate Finance, und nächste Tür rechts, da ist das Büro von Stefan Bungarten. Rund 40 Quadratmeter, brauner Schreibtisch, schwarze Sitzgruppe, ein großer Flachbildschirm, alles recht unprätentiös, nur die gerundete gigantische Fensterfront verschlägt Besuchern regelmäßig den Atem.
Die Bank-Justiziare versuchten, den Kapitalmarktvorstand schnellstens zu informieren. Kleines Problem: Der Mann war nicht in seinem Büro. Man fand ihn schließlich, er saß im Sitzungszimmer, führte ein Vorstellungsgespräch. Als er vom Kripo-Besuch erfuhr, da wirkte der Mann genauso irritiert und geschockt wie seine Kollegen:
Was lief da ab? Was war passiert?
Stefan Bungarten, 2006 aus Berlin zur Helaba gekommen, seit Mitte 2008 Kapitalmarktvorstand, geschätztes Jahreseinkommen 350 000 Euro plus Bonus, ist heute ohne Job. Gefeuert, fristlos, von Gerhard Grandke, dem Präsidenten des Sparkassen- und Giroverbandes Hessen-Thüringen, der damit Dienstherr des Helaba-Vorstandes ist. Grandkes Bemühungen, sich des profilierten Finanzexperten zu entledigen, gingen aber keineswegs, wie üblich, still und leise vonstatten, im Gegenteil. So machten sie aus einer unauffälligen Polizeiaktion eine veritable Helaba-Affäre.
Die nahm ihren Anfang mit der Enttarnung von Nadja A. Die rund 30-Jährige, offiziell eine Mitarbeiterin der Sicherheitsfirma „Securitas“, hatte eine auffallend fixe Karriere bei der Helaba hingelegt. Eben noch kleine Empfangsdame im Erdgeschoss – jetzt wichtige Gruppenleiterin auf der Vorstandsetage. Wer hat sie befördert? Insider sagen: Dafür sei der Vorstand Personal zuständig. Andere halten den Vorstand Immobilienmanagement für verantwortlich. Wieder andere verweisen auf den „Hofmarschall“, den sich die Helaba leistet, eine Art Maitre de plaisir, der darauf zu achten hat, dass es den Vorstandsmitgliedern an nichts fehlt.
Dass eine Drogendealerin ins Allerheiligste des Main Towers vordringen konnte, will Helaba-Sprecher Wolfgang Kuß heute äußerst ungern kommentieren. Nur so viel: „Da ist was schief gelaufen.“
Das kann man wohl sagen: Denn wer immer Nadja A. derart protegiert hatte – hat er wirklich nichts von ihrer kriminellen Ader gewusst? Angeblich soll die Dame auch ein dickes Vorstrafenregister haben. Zuletzt wurde sie wegen Drogenhandels von der Kripo observiert und abgehört. Bei einem der belauschten Telefonate prahlte sie gegenüber einer Freundin, sie kenne den Helaba-Vorstand Bungarten sehr gut.
Durch diesen läppischen Zufall geriet der Mann ins Fadenkreuz der Ermittler. Das sollte ihn den Job kosten, und das ist der eigentliche Skandal dieser Bankenaffäre. Polizeiliche Ermittlungen sind in unserem Rechtssystem in keinster Weise ein Beweis von Schuld. Dennoch wurden eben diese Anfangsermittlungen mit als Grund dafür angeführt, dass der Kapitalmarktvorstand für untragbar erklärt wurde.
Folgen wir der Chronologie: Drei Wochen waren seit der Polizeiaktion im Main Tower vergangen, längst war wieder Normalität eingekehrt, Business as usual.
Dann kam der 24. März: Um 8.30 Uhr begann, wie jeden Dienstagmorgen, eine Sitzung des Helaba-Vorstandskreditausschusses. Nach wenigen Minuten bekam Stefan Bungarten von einer Sekretärin einen per Computer ausgedruckten Zettel zugesteckt: Herr Grandke vom Sparkassenverband wünsche ihn zu sprechen. Umgehend!
Gerhard Grandke residiert unweit der Helaba mitten in Frankfurt. Ein kurzer Fußweg, und dann erfuhr Bungarten an diesem Morgen erstmals, dass man sich von ihm trennen wolle. Und zwar auf die unfeine Tour.
„Sex, Drugs und Rock’n’ Roll bei uns im Haus – so geht das nicht, wir müssen einen Auflösungsvertrag machen“, soll Grandke im Beisein eines Geschäftsführers und eines Justiziars gesagt haben. Polizeiliche Ermittlungen gegen ein Vorstandsmitglied seien nicht hinnehmbar, Bungarten solle unterschreiben, sofort, ein paar Monatsgehälter könne er noch bekommen, aber keinen Bonus, und die Sache wäre vom Tisch.
Die Sache wäre vom Tisch? Welche Sache?
Bungarten wehrte sich. Ja, er habe Nadja A. mehrmals privat getroffen, aber das liege gut zwei Jahre zurück, da war er als Vorstand noch nicht einmal im Gespräch. Von einer engeren Beziehung könne überhaupt keine Rede sein, und von Drogengeschäften habe er nie etwas auch nur geahnt. Die Sachlage sei im Übrigen derart eindeutig, dass die Kripo auf eine Durchsuchung seines Büros und seiner Wohnung verzichtet habe.
Er habe sogar, sagte Bungarten auch, auf Anraten seines Anwalts eine Haarprobe abgegeben. Ergebnis: Nicht die kleinste Spur von Drogen wurde gefunden, heißt es im Bericht eines Medizinischen Labor aus Ludwigsburg.
Und dann gibt’s auch noch ein Schriftstück aus dem Landgericht Frankfurt: Bungarten hatte sich freiwillig den Fragen der Ermittler gestellt, ohne zuvor Einsicht in die Akten bekommen zu haben. Dreieinhalb Stunden habe die Vernehmung gedauert, notierte hinterher Oberstaatsanwalt Dr. Körner in einem internen Vermerk unter Geschäftszeichen 5102 Js 249282/08. Danach seien die Ermittlungen gegen Bungarten „auf Grund seiner unwiderlegbaren und glaubwürdigen Antworten“ umgehend eingestellt worden.
Die Einlassungen Bungartens sorgten an jenem 24. März dafür, dass sich die Herren vertagten. Grandke, der mächtige Sparkassenboss, der damals gerade erst drei Wochen im Amt war, wollte sich angeblich noch einmal beraten.
Bungarten erzählte später, als er zurück zur Helaba gegangen sei, da habe er auf der Straße reflexmäßig auf seinen Blackberry geschaut, um die neuesten Nachrichten zu lesen. Just in diesem Moment wurden, wie von unsichtbarer Hand gesteuert, alle Daten auf seinem Gerät gelöscht. Mails, Adressbuch, Kalender – alles weg.
Die Systemadministratoren in der Bankzentrale koppelten ein amtierendes Vorstandsmitglied vom System ab! Einfach so, ohne dessen Wissen! Dafür gibt es nur eine Erklärung: Der Rauswurf war minuziös geplant, aber dann dummerweise ganz anders gelaufen…
Es gibt noch eine weitere Szene, die das Vorgehen der Sparkassen-Führung in dieser pikanten Personalsache kennzeichnet: Anderntags, am 25. März, fanden in Erfurt eine Verwaltungsratssitzung und eine Trägerversammlung statt. Bungarten fuhr hin, in seinem schwarzen Mercedes 400, mit seinem Fahrer, der ihm wie jedem Vorstand zusteht. In Erfurt aber hatte man offenbar nicht mehr mit ihm gerechnet, man wähnte ihn wohl schon gefeuert. Eilends mussten Stuhl und Namensschild für ihn herbeigeholt werden . . .
An diesem Nachmittag beobachteten Mitglieder des Trägerrates, wie Bungarten „in die Mangel genommen wurde“, wie sie heute sagen. Unmissverständlich sei dem Mann deutlich gemacht worden, dass man durchaus Druck aufbauen könne, wenn er den Auflösungsvertrag nicht unterschreibe.
Bungarten weigert sich. Am Abend ruft ihn Grandke an: Er erteile ihm Hausverbot. Und stelle ihn von allen Dienstpflichten frei. Grandke sagt angeblich auch, wenn der Auflösungsvertrag nicht bis zum anderen Morgen neun Uhr unterschrieben sei, gehe die fristlose Kündigung raus.
Bis zu diesem Zeitpunkt war der Versuch der Entlassung eine interne Personalie, nur wenige Eingeweihte wussten davon, es lag nicht mal eine schriftliche Kündigung vor. Trotzdem: Keine zwei Tage später weiß die „Börsenzeitung“ Bescheid. Die Helaba habe sich „Knall auf Fall“ von ihrem Kapitalmarktvorstand getrennt, berichtet das Zentralorgan der Banker am 27. März. Ganz offen wird spekuliert, dass die Gründe für Bungartens Ausscheiden „im persönlichen Bereich“ liegen müssten: „Anscheinend gab es in diesem Fall eine gewisse Inkompatibilität zwischen den Aufgaben eines Vorstandsmitglieds und dem von ihm erwarteten Auftreten einerseits sowie der privaten Lebensführung andererseits.“
Woher diese diskreditierenden Informationen stammten, wer bei der Landesbank solch windige Details ausgeplaudert hat, darüber kann bisher nur spekuliert werden. Aber die Masche ist hinlänglich bekannt: Mit dem Streuen von Gerüchten, Halbwahrheiten und Andeutungen versucht man, den Gegner mürbe zu machen.
14 Tage lässt die Helaba ihren Vorstand zappeln. Bungarten kann nichts machen, ihm sind arbeitsrechtlich die Hände gebunden. Erst am 6. April 2009, exakt zwei Monate nach der Polizeiaktion, schickt ihm der Sparkassen- und Giroverband die fristlose Kündigung.
Warum solch unwürdiges Schauspiel? Helaba-Sprecher Kuß windet sich, möchte nichts sagen, gibt dann doch einen Satz, einen einzigen nur, zu Protokoll: „Die Bank kam nach Würdigung aller Umstände im März 2009 zu dem Ergebnis, dass eine kurzfristige Trennung die einzig angemessene Lösung darstellte.“
Der Rest ist Schweigen. Doch auf diese Weise wird die Helaba ihre Affäre wohl kaum los. Der geschasste Kapitalmarktvorstand besteht auf Erfüllung seines Fünf-Jahres-Vertrags. Und vor allem will er seine Reputation wieder haben.
Morgen, 29. April, wird der Fall Stefan Bungarten gegen Helaba vorm Arbeitsgericht verhandelt. Landgericht Frankfurt (Raum 114 in Haus B); als Zeuge geladen: Helaba-Vorstandschef Brenner. Die Sitzung ist öffentlich.
Erschienen in der FNP am 28.04.2010