Jede Menge Skandale bei der Polizei in Hessen. Gesucht werden Erklärungen – und die Verantwortlichen. Eine Frage der Führung?
Wiesbaden/Frankfurt. Was ist nur los in Hessens Polizei? Kaum eine Woche, in der nicht neue Skandalgeschichten ans Licht kommen:
Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Präsidentin des Landeskriminalamtes wegen des Verdachts von Falschaussagen vor Gericht . Interne Ermittler haben offenbar Akten gefälscht. Unlängst klagten mehrere Beamte öffentlich über systemisches Mobbing. Ein früherer Top-Kriminalist streitet vor Gericht um Schmerzensgeld, nachdem er jahrelang zu Unrecht vom Dienst suspendiert worden war. Die Gewerkschaften bemängeln ein schlechtes Betriebsklima, ausgelöst durch dirigistischen Führungsstil. Dazu die umstrittene Personalpolitik des bisherigen Innenministers und heutigen Ministerpräsidenten, die den noch immer nicht beendeten Untersuchungsausschuss „Polizeiaffäre“ auslöste…
Selbst Boris Rhein, der neue Innenminister, spricht inzwischen so oft von der Notwendigkeit einer „neuen Führungskultur“, dass jedem klar sein muss: Mit der jetzigen kann’s wohl nicht allzu weit her sein.
Um zu verstehen, wie die hessische Polizei in diesen Sumpf aus Skandalen und Affären abrutschen konnte, ist eine Exkursion in die jüngere Vergangenheit unabdingbar – und vor allem ein Blick auf führende Köpfe der fast 18 000 Mitarbeiter zählenden Behörde.
Die Spur führt zwangsläufig zum obersten Polizeichef Hessens: Landespolizeipräsident Norbert Nedela, 59 Jahre alt, wird allgemein als Fachmann gelobt. Im krassen Gegensatz dazu steht die Bewertung seiner Charaktereigenschaften. Nedela gilt als egozentrisch, machtbewusst, kaltschnäuzig, selbstverliebt. Glaubt man seinen Kritikern, hat er die hessischen Polizeibeamten ebenso klar wie schlicht in drei Gruppen katalogisiert: Es gibt einen A-Kader – dazu gehören alle, die er für beförderungswürdig hält. Das sind die so genannten „Nedelaner“, ihr Weg nach oben ist vorbestimmt.
Zu Kader B zählen alle, die auch nur einmal Widerspruch wagten. Sie können sicher sein, dass ihre Karriere vorbei ist. Im Polizeijargon: Edeka. Ende der Karriere.
Wer in Kader C eingeordnet wird, sollte – nach Einschätzung der Nedela-Kritiker – besser gleich freiwillig gehen. Es gibt genügend Beispiele für Männer, die in den letzten Jahren weggejagt wurden. Verleumdet. Denunziert. Suspendiert. Sie leben in Frankfurt, in Ortenberg, in Hofheim, in Bernkastel-Kues und in Neu Isenburg. Ihre „Vergehen“: Sie bewiesen eigenen Willen. Sie gaben zu laut Widerspruch. Sie zeigten mangelnde Anpassungsfähigkeit. Wer mit den betroffenen Polizisten spricht – wir haben es getan –, trifft gebrochene, demoralisierte Männer, die das Vertrauen in die eigene Polizei verloren haben. Manche sind psychisch zerstört. Mit 50, 55 Jahren.
Nedelas Verantwortung. Konsequent hat er in der Vergangenheit versucht, Führungspositionen mit willfährigen Leuten zu besetzen – typisches Beispiel: Frankfurts Polizeipräsident Achim Thiel. Ein blasser, unauffälliger Bürokrat, ein Jurist, weitab von jedem Polizeigeruch. Er verwaltet Hessens größtes Präsidium, als wär’s die Gebühreneinzugszentrale. Die FAZ bezeichnete ihn noch am Sonntag als „Wegducker“; intern nennen sie ihn „Nick-August“. Thiels größtes Plus: Er kann sehr gut mit seinem Chef Nedela; beide Männer fahren angeblich schon mal gemeinsam in Urlaub, zum Segeln zum Beispiel, in die Karibik.
In Thiels Präsidium passieren – logisch, es ist ja das größte – die meisten Vorkommnisse, die das Ansehen der Polizei ramponieren. Vor ein paar Jahren war’s besonders schlimm, in kurzer Folge wurde bekannt: Personenschützer hatten rechtsradikale Sprüche abgesondert, Verkehrspolizisten hatten bei Autofahrern abkassiert und das Geld in die eigene Tasche gesteckt, im Bett einer Polizistin wurde ein Sex-Verbrecher entdeckt, eine Razzia wurde von einem Beamten verraten…
In dieser Situation schickte Nedela seine Geheimwaffe nach Frankfurt: Sabine Thurau, damals Ende 40, blond, ein echter Blickfang. Juristin, aber auch Polizistin von der Pike auf, zudem zum damaligen Zeitpunkt noch enge Vertraute des Landespolizeipräsidenten. Mangelndes Know-how, hieß es schnell über die neue Vizepräsidentin, mache sie mit emotionaler Härte wett. Sie solle Frankfurt aufräumen, so ihr interner Auftrag. Sie wolle den „Frankfurter Sumpf trockenlegen“, wurde kolportiert.
Frau Thurau betonte überall und jederzeit: „Nichts steht über dem Gesetz, auch nicht die Polizei.“ Mit diesem Leitspruch drang sie wie mit einer Machete in den Frankfurter Behördenapparat ein, zerschlug gewachsene Organisationsstrukturen, sprengte Männerfreundschaften. Ihr Jobverständnis erklärte sie später einmal so: „In dem Moment, wo wir Fehlverhalten in der Polizei feststellen, haben wir die Verpflichtung, diesem Fehlverhalten in aller Konsequenz entgegenzutreten.“
Sie übersah allerdings, dass Männerbündnisse bei der Polizei nicht zwingend kriminelle Kumpanei bedeuten und auch nicht in erster Linie als Täterschutz dienen, vielmehr oft die einzige Chance bilden, mit den speziellen Anforderungen eines extremen Joballtags klarzukommen. Und als Sabine Thurau dann auch noch dazu aufrief, man solle ihr Dienstvergehen persönlich melden, gerne auch vertraulich, da war das im Ansatz sicher nicht verwerflich – wenn sie nur nicht damit auch Spitzel und Denunzianten gelockt hätte. Das fatale Ergebnis: Ihr Vorgehen gegen Beamte wegen angeblicher Dienstvergehen basierte wiederholt auf Lügen und Intrigen.
Typisches Beispiel: der Fall Jochen Zahn. Der Chef der Personenfahndung war von drei Mitarbeitern bei Thurau schwerer Dienstvergehen beschuldigt worden. Als angeblichen Beweis legten die Männer Unterlagen vor, die sie widerrechtlich aus Zahns Schreibtisch genommen hatten. Die Papiere genügten Thurau für einen schnellen Rausschmiss Zahns. Drei Jahre lang saß der Mann zu Hause – dann stand fest: Alle Vorwürfe erlogen – Zahn ist unschuldig.
Nur nebenbei, denn das charakterisiert die Situation in der Polizei recht deutlich: Bis heute hat sich die Behördenleitung nicht bei dem Mann entschuldigt.
Der Weg, den Thurau in Frankfurt einschlug, sorgte quer durch alle Dienstgrade für Empörung. Aber es gab keinen, der sie stoppte; keinen, der ihr den Rat gab: Einen Polizeiapparat allein auf inneres Misstrauen und Verrat zu gründen, das kann auf Dauer nicht funktionieren!
Polizisten, die sich an die Öffentlichkeit wandten, wurden als querulatorische Nörgler abgetan. Innenminister Volker Bouffier pflegte Kritiker mit einem Totschlagargument zum Schweigen zu bringen: „Sie bringen einen ganzen Berufsstand in Misskredit.“
Womit zugleich klar war: Die innerbehördlichen „Säuberungsaktionen“ der Sabine Thurau waren von ganz oben abgesegnet. So hielt das Netzwerk der Polizei über Jahre – bis der Innenminister aufstieg zum Ministerpräsidenten.
Boris Rhein, der Bouffier-Nachfolger, erbte eine Behörde, die es heute zerreißt. Das ganze Dilemma spiegelt sich wider im Beziehungsgeflecht der führenden Köpfe: Thiel und Thurau – sie sind nur noch verbunden durch gegenseitige Abneigung. Thurau und Nedela – zwischen ihnen soll inzwischen blanker Hass herrschen.
Schon gibt es Hinweise darauf, Norbert Nedela habe frühzeitig um die angeblichen Machenschaften bei den Internen Ermittler gewusst – aber abgewartet, bis der Skandal die zuständige LKA-Chefin Thurau erwischte. Dass Nedela gar nichts gewusst haben will von den kriminellen Vorgängen in einem so sensiblen Bereich wie bei den Internen Ermittlern, das wird selbst in den zuständigen Dienststellen des Innenministeriums stark angezweifelt.
Nur einer kann jetzt den Knoten durchschlagen: Boris Rhein, 38 Jahre alt, jüngster Innenminister in Deutschland. Eine Herkules-Aufgabe wartet auf ihn. Noch keine 100 Tage im Amt, muss er eine Riesen-Behörde neu formatieren. Da könnte es, heißt es in der Innenbehörde, äußerst eng werden für Norbert Nedela.
Denn dass Boris Rhein, der einen transparenten Führungsstil wünscht, und sein oberster Polizeichef nicht miteinander können, auch das gilt als offenes Geheimnis.
Erschienen in der FNP am 01.11.2010