Es sollte der größte Schlag gegen die Hells Angels werden, es wurde ein Riesen-Flop: Hessens LKA-Chefin wurde von einem Kronzeugen gelinkt – Report über ein polizeiliches Desaster.
Wiesbaden. Boris Rhein war, mal wieder, in seinem Element. „Ich bin entsetzt“, diktierte der hessische Innenminister einem Redakteur der F.A.Z. in den Block. „Das haben wir so noch nicht erlebt“, durfte ihn die linke Berliner Tageszeitung „taz“ zitieren. Und auch für „Bild“ fielen noch ein paar markige Worte ab: Man werde sehen, „ob es zu einem landes- oder gar bundesweiten Verbot der Hells Angels als kriminelle Vereinigung kommt“.
Was war geschehen? Ende letzten Jahres, draußen war’s klirrend kalt, starteten mehr als tausend Polizeibeamte eine Großrazzia gegen die Hells Angels in Frankfurt und Umgebung. Es war innerhalb kurzer Zeit der zweite Schlag gegen die Rockerbande: Drei Wochen zuvor waren bei einer Durchsuchungsaktion über 2000 Beamte im Einsatz gewesen.
Beide Male wurden Häuser und Bordelle von Hells Angels gestürmt. Bei der zweiten Razzia standen zudem die Privatadressen und Büros von Polizisten auf der Liste. Fünf Beamte wurden festgenommen. Der Vorwurf: Sie sollen sich auf kriminelle Geschäfte mit Rockern eingelassen haben. Ein Kripomann soll für den Verrat geheimer Polizei-Infos sogar 10 000 Euro kassiert haben.
Die Razzien sorgten für Aufsehen. Es ging schließlich nicht nur um Vorwürfe, wie sie im Zusammenhang mit Rockerbanden regelmäßig erhoben werden – um Waffen und Drogen, brutale Gewalt und Prostitution. Diesmal machte Innenminister Rhein das ganz große Fass auf: Die bundesweite Strategie der Hells Angels sei „das Einsickern in die öffentliche Verwaltung, in Polizei und Justiz“, gab er zu Protokoll, das habe „glasklar mit organisierter Kriminalität zu tun“.
Heute, fast ein Jahr später, will zu den Razzien und zum Stand der Ermittlungen keiner offiziell mehr etwas sagen. Angeblich laufen die Ermittlungen noch, hochgeheim, äußerst sensibel, heißt es.
Doch der wahre Grund ist wesentlich banaler: Die Polizei-Aktionen Ende letzten Jahres waren ein Desaster für das hessische Landeskriminalamt (LKA). Ein Riesen-Flop. Der Vorwurf, Rocker hätten die Sicherheitsbehörden unterwandert, ist vom Tisch. Der Verdacht, die Frankfurter Hells Angels würden eine zu verbietende Vereinigung bilden, kann bis heute nicht erhärtet werden.
Monatelange Ermittlungen unter strengster Geheimhaltung – alles für die Katz’. Eine bittere Schlappe für Hessens Polizei.
Wie konnte das geschehen?
Die Spur führt, einmal mehr, zu Sabine Thurau, inzwischen gefeuerte Präsidentin des Hessischen Landeskriminalamtes.
Es war am 9. Februar 2010, als der damalige Innenminister Volker Bouffier die Beförderung der heute 56-Jährigen zur LKA-Chefin unterschrieb. Zum 1. April trat sie ihren Dienst in Wiesbaden an. Im Gepäck hatte sie eine heiße Nachricht: Ein Hells Angels wolle sich als Kronzeuge zur Verfügung stellen, werde gegen seine Rockerbande umfassend aussagen.
Ein Hells Angels packt aus – das ist wirklich eine Sensation! In der Rockerszene gilt absolutes Schweigegebot: Wer mit der Polizei paktiert, heißt es, müsse um sein Leben bangen.
Thuraus Informant versprach mehr: Er könne organisierte Kriminalität „in der obersten Ebene“ beweisen, sagte er, also Verbindungen von Hells Angels zu Polizei, Wirtschaft und Politik aufdecken.
Thurau im Glück: Als Vizepräsidentin in Frankfurt waren ihr zuletzt übles Mobbing und massives Führungsversagen vorgeworfen worden. Kripobeamte gingen juristisch gegen sie vor, die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen sie. Jetzt sollte alles besser werden: Ein erfolgreicher Schlag gegen die Hells Angels, vertraute sie Freunden an, würde ihren Ruf aufpolieren, deutschlandweit, für immer.
Thurau wollte, sagen heute ihre Kollegen, den totalen Triumph, und vor allem wollte sie ihn für sich allein. Nur so wird ihre erste Amtshandlung verständlich: Sie bootete Dirk Engelhard aus, den Chef der LKA-Abteilung Organisierte Kriminalität (OK).
Engelhard , der als der Rocker-Experte schlechthin gilt, war genau zu Thuraus Amtsantritt ins nahe Innenministerium abgeordnet worden. Ein notwendiger Baustein für seine nächste Beförderung – für Thurau die Begründung, weshalb sie den erfahreneren Kollegen von allen Informationen abschnitt. Außerdem, notierte sie allen Ernstes, belasteten ihn Sorgen um seine schwerkranke Mutter.
Vielleicht hätte der Mann der neuen LKA-Chefin helfen können – bei behördeninternen Stolperfallen in einem so komplexen Verfahren. Vielleicht hätte er sie auch gewarnt – vor allzu großes Vertrauen zu einen Informanten, der als äußerst zwielichtig bekannt war.
Aber Thurau weigerte sich, den OK-Fachmann in ihre Pläne einzubeziehen. Sie vertraute lieber dem Informanten, der immer wüstere Geschichten auftischte. Sie sicherte ihm zuletzt umfassenden Schutz zu, machte ihn zum Kronzeugen.
Er hat sie wohl gelinkt.
In einem vertraulichen Papier notierte Thurau später: „Von den Korruptionsvorwürfen waren zu diesem Zeitpunkt u.a. hochrangige Polizeibeamte (PP Ffm und LKA) betroffen, auch das Ordnungsamt Frankfurt am Main und das Ministerium waren mutmaßlich tangiert. Da die StA ( Staatsanwaltschaft, die Red. ) die Ermittlungshoheit innehat, hatte ich durch eine konsequente Festlegung der Informationswege Sorge zu tragen, dass nur diejenigen Personen informiert wurden, die unmittelbar mit dem Ermittlungsverfahren betraut waren.“
Sie gründete die Arbeitsgruppe (AG) „Pueblo“. Und holte jenen Mann, der als ihr enger Freund gilt und dem sie absolut vertraut: Wolfgang W.
Der Hauptkommissar, von Kollegen „Chefchen“ gerufen, arbeitete zuvor bei den Internen Ermittlern. Aus dieser Zeit rührt ein wunder Punkt in seiner Vita, der kaum bekannt ist: Der 52-Jährige war vor Jahren als Ermittler in Verfahren wegen „Rechtsradikaler Tendenzen“ bei der Frankfurter Polizei eingesetzt. In einer Vernehmung soll er dem beschuldigten Beamten Oliver D. gedroht haben: „Wenn du nicht aussagst, stecken wir dich in den Knast. Du weißt ja, was sie dort mit Typen wie dir anstellen.“
Oliver D. erstattete umgehend Anzeige („Aussageerpressung“), und Wolfgang W. nahm sich einen Rechtsbeistand. Warum seine Wahl ausgerechnet auf Dr. Ulrich Endres fiel, ist sein Geheimnis. Endres ist einer der bekanntesten Frankfurter Strafrechtler – und genießt in Rockerkreisen als Verteidiger von Hells Angels einen legendären Ruf.
Eine solche Verbindung wird bei OK-Ermittlern überhaupt nicht gerne gesehen. Thurau störte sie nicht: Auf ihr ausdrückliches Geheiß hin führte Wolfgang W. die ersten Vernehmungen des Kronzeugen durch.
Und tatsächlich konnte der einiges berichten. Er kannte Namen und Adressen aus der Rocker-Szene, und vor allem erzählte er über Kontakte von Polizisten ins Rocker-Milieu. Zwei drogensüchtige Kripobeamte nannte er. Einen LKA-Beamter, dem er selbst Geld gegen Infos geboten habe. Und ein Ehepaar, das Sex-Geschäfte mit Rockern mache.
Beweise? Die hatte der Informant nicht. Also schwärmten die Ermittler aus, holten Genehmigungen, um Telefone abzuhören – die polizeiliche Maschinerie lief wie geschmiert. Irgendwann hörten die Ermittler auch, wie sich zwei Rocker am Telefon offen über „Bullen-Aktionen“ unterhielten.
Da war wohl was durchgesickert. Die geheime „AG Pueblo“ war offenbar nicht richtig dicht.
Ende letzten Jahres überschlugen sich bei Hessens Polizei die Ereignisse:
Am 1. November enttarnte diese Zeitung ein Netzwerk aus Intrigen und Mobbing bei der Hessischen Polizei, das sein Zentrum ganz oben in der Führungsspitze habe.
Einen Tag darauf feuerte Innenminister Boris Rhein seinen Landespolizeipräsidenten Norbert Nedela.
Am 8. November berichtete diese Zeitung, dass gegen Thurau ein weiteres Ermittlungsverfahren, diesmal wegen des Verdachts der Verfolgung Unschuldiger, eröffnet worden sei: Sie habe wider besseres Wissen zwei Beamte mit Strafverfahren überzogen. Innenminister Boris Rhein reagierte nach Erscheinen des FNP-Artikels binnen Stunden: Er stellte Thurau vor die Wahl: sofortige Suspendierung oder freiwillige Niederlegung des LKA-Chefposten und Abordnung ins Innenministerium.
Thurau wählte die Abordnung. Und brachte die AG „Pueblo“ in eine brenzlige Situation: Die Vorbereitungen für einen gewaltigen Schlag gegen die Rocker befanden sich im Endstadium. In mehreren Bundesländern waren Polizeikräfte alarmiert, aus ganz Deutschland waren Sondereinheiten angefordert worden.
Zwei Wochen später, Ende November, rückten 2000 Polizisten an und durchsuchten Dutzende Objekte der Frankfurter Hells Angels. Gefunden wurde, im Verhältnis zum Aufwand, enttäuschend wenig: ein paar Waffen, ein bisschen Rauschgift. Am 10. Dezember folgte die zweite Razzia, diesmal wurden die Polizisten festgenommen. Und Innenminister Rhein schwang die ganz große verbale Keule…
Tage später sagte die Sprecherin der Frankfurter Staatsanwaltschaft, dass kein einziger Durchsuchungsbeschluss „auf dem Vorwurf einer kriminellen Vereinigung“ basiert habe. Eine enge Verzahnung der Rocker mit dem Rotlichtmilieu sei auch nicht zwingend strafbar. Und: Die Ergebnisse der Razzien, also die gefundenen Drogen und Waffen, bewegten sich „hart an der Grenze der Belanglosigkeit“.
Bleibt der Verdacht, Hells Angels hätten die Polizei unterwandert. Immerhin wurden fünf Beamte festgenommen. Rocker-Komplizen? Inzwischen hört man Geschichten, die klingen ganz anders als vor einem Jahr:
Der LKA-Beamte Michael N. (50) soll von einem Rocker 10 000 Euro kassiert und dafür Dienstgeheimnisse verraten haben. So lautete der Vorwurf. Heute heißt es: Der Hauptkommissar wollte für seine Frau ein Cafe einrichten. Ein Bekannter – ausgerechnet Thuraus Kronzeuge – habe ihm 1000 Euro als Starthilfe angeboten, leihweise. Bei der Übergabe des Geldes fragte der Mann, ob man ein Kfz-Kennzeichen überprüfen könne: Ein Auto habe ihn angefahren, der Fahrer käme ihm suspekt vor. Michael N. filterte den Namen des Kfz-Besitzers aus dem Computer – das ist sicher nicht rechtens, aber wohl kaum eine schwere Straftat.
Auch Tanja L. vom Betrugs-Kommissariat konnten bis heute keine engeren Kontakte ins Rocker-Milieu nachgewiesen werden. Wahr ist jedoch: Die 34-Jährige Oberkommissarin ist rauschgiftabhängig. Kollegen sagen, das hätten viele in der Behörde gewusst, seit Jahren, aber keiner sei eingeschritten. Tanja L. hat inzwischen ein Geständnis abgelegt, eine Entziehungskur gemacht und wartet auf ihr Verfahren.
Tex B., bekannt als „der einzig bekennende Kiffer bei Hessens Polizei“, hat ebenfalls mit Rockern nichts am Hut. Der Computerspezialist nahm leichte Drogen, das war bekannt, das ist jetzt aktenkundig, er wartet auf seinen Prozess.
Und schließlich gibt’s da noch ein Beamten-Ehepaar, bis vor einem Jahr eingesetzt auf einem Frankfurter Revier. Sie 33, er 36. Sie soll Sex im Internet angeboten, er soll ihr dabei geholfen haben. Außerehelicher Sex ist jedoch für Polizisten nicht verboten, auch nicht mit Rockern. Das Ehepaar arbeitet wieder, wenn auch auf einem neuen Revier.
Erschienen in der FNP am 20.09.2011