Die Festnahme eines LKA-Beamten, der geheime Dienstinterna an kriminelle Rocker verraten haben soll: Das galt bislang als der größte Erfolg der hessischen Polizei über die Frankfurter Hells Angels. Jetzt aber lassen Aussagen eines Kronzeugen sowie neu aufgetauchte Ermittlungsakten den Triumph in ganz anderem Licht erscheinen.
Wiesbaden. Es war unmittelbar nach der großen Razzia gegen die Hells Angels, im Dezember 2010, als Hessens Innenminister öffentlich Abscheu und Empörung zeigte: Ein Beamter des Landeskriminalamtes (LKA) habe mit den Hells Angels kooperiert, habe ihnen Dienst-Geheimnisse verraten und dafür 10 000 Euro kassiert! Unfassbar, so Boris Rhein, „dass ein Polizeibeamter für verhältnismäßig wenig Geld seine berufliche Existenz aufs Spiel setzt“.
Es war nicht ganz korrekt, was der Minister damals sagte. Ein Betrag von 10.000 Euro taucht bis heute in keiner Polizeiakte auf. Unklar, woher die Rheinsche Mär stammt; Fragen dazu beantwortete der Sprecher des Ministers nicht.
In den Polizeiakten ist nur von 1000 Euro die Rede, allenfalls 1400 Euro. Und das Geld, auch in diesem Punkt müsste sich der Minister korrigieren, zahlten nicht die Hells Angels an den Beamten. Die 1000 Euro stammten aus Polizeibeständen, ein LKA-Kronzeuge hat sie übergeben – nachweislich auf ausdrückliche Anweisung der Polizei.
Wir sind, nach zwei Jahren, dieser Geschichte nachgegangen, haben mit Beamten, die normalerweise gegenüber Medien verschwiegen sind, reden können, und haben Aktenordner eingesehen, die gemeinhin verschlossen bleiben. Und wir haben auch mit Daniell M.-D. gesprochen, der lange als der wichtigste Informant der hessischen Polizei gegen die Hells Angels eingestuft war, weshalb ihm Kronzeugenstatus verliehen wurde, mit allen Konsequenzen und vor allem hohen Kosten (wir berichteten).
Das Ergebnis der Recherchen: Die Ermittler wollten den Erfolg gegen die Rocker offenbar um jeden Preis. Am Ende haben sie sogar massiv nachgeholfen, um einem ihrer Kollegen eine Zusammenarbeit mit kriminellen Hells Angels vorwerfen zu können.
Nennen wir ihn Martin A., er ist 53 Jahre alt, er arbeitet als Erster Kriminalhauptkommissar im LKA. Privat ist er seit Jahren mit einem Wiesbadener Gastronom befreundet, sein Lebenstraum war ein kleines Weinbistro, das seine Lebensgefährtin führen sollte. Wiederholt hat er mit dem Gastwirt darüber diskutiert, sie hatten bereits ein konkretes Objekt ausgeguckt, als sich eines Tages – es war Mitte 2009 – Daniell M.-D. zu ihnen an den Tisch setzte. Der selbständige Dachdecker, ein etwas vorlauter Typ mit durchaus gewinnendem Auftreten, wollte sich an der Geschäftsidee beteiligen, sprach von einem Darlehen, vielleicht 15 000 Euro.
Man traf sich noch einige Male, und dabei fragte Daniell M.-D. den Kripobeamten en passant, ob er Personalien überprüfen könne, nichts Gravierendes, Geschäftskontakte. Martin A. tat ihm den Gefallen, schaute in den Polizeicomputer, es gab keine Auffälligkeiten, das teilte er auch mit, als er Daniell M.-D. Tage später den Entwurf für einen Darlehnsvertrag übergab.
Es ist absolut verboten, private Überprüfungen im Polizeicomputer vorzunehmen. Der Kripobeamte hatte sich angreifbar gemacht, auch strafbar. Aber hat er deshalb mit den Hells Angels kooperiert, wie der Innenminister später kolportierte? Hat er damit kriminellen Rockern vorsätzlich streng geheime Polizeiinterna verraten?
Wir haben Mitte 2009 – und erst einmal passierte: nichts. Daniell M.-D. meldete sich nicht mehr, die Bistro-Idee ruhte, zumal die avisierte Lokalität im Taunus nicht mehr zur Verfügung stand.
Erst ein gutes Jahr später, Anfang Mai 2010, gerät die Sache ins Rollen: Daniell M.-D. ist völlig pleite, wird von Gläubigern gejagt. Er flüchtet sich in die Arme der Polizei, er weiß, wie das geht, er ist mit einer Kriminalbeamtin verheiratet. Er wisse alles über die Hells Angels, erzählt er gleich in der ersten Vernehmung, er wolle auspacken über ihre Machenschaften, er erwarte im Gegenzug Schutz und natürlich Hilfe zum Lebensunterhalt.
Wie elektrisiert sollen die Beamten vom LKA und von der Staatsanwaltschaft reagiert haben, als er erzählte, er habe beste Kontakte zu einem LKA-Beamten. Heute sagt Daniell M.-D., er habe damals immer neue, immer wildere Storys erzählt (…).
Eine Personalien-Überprüfung reichte nicht? Kein Problem, also habe er erzählt: dass er mit einer Kreditkarte, die ihm die Hells Angels zur Verfügung gestellt hätten, Geld aus einem Automaten geholt und dem LKA-Mann 400 Euro gegeben habe, als Gegenleistung für die Personalien-Überprüfung. „Ich habe das Geld vor ihm auf den Tisch geworfen in einer Art und Weise, die meine Missachtung widerspiegeln sollte“, sagte er laut Polizei-Protokoll am 11. Mai 2010.
Das sei zwar nicht die Wahrheit gewesen, sagt Daniell M.-D. heute, (…) sonst könnten sie ihm keinen Zeugenschutz bieten.
Beim Lesen der Polizeiakten fällt auf, dass der Kronzeuge selbst kleinste Begebenheiten mit einer ausschweifenden Detailfülle ausschmückt. Dieser Stil prägte alle Vernehmungen. Erfahrene Kriminalisten hätten mit Misstrauen und Zurückhaltung reagiert; damals aber glaubten die Ermittler offenbar jedes Wort. Sie hofften auf den großen Coup: Ein Kronzeuge, der intimstes Wissen aus der streng abgeschotteten Welt der Hells Angels preis gibt – das gab‘s noch nie!
Wie phantasievoll Daniell M.-D. plauderte, zeigt ein kleiner Auszug aus der Vernehmung vom 17. Mai 2010:
„Frage: Konnten Sie eigenmächtig entscheiden, ob an bestimmte Polizeibeamte Geldzahlungen erfolgen sollten?
Antwort: Nein, eigenmächtige Entscheidungen zu allen Punkten wurden mit körperlicher Züchtigung bestraft. Ich habe immer mit dem Kassenwart Michael G. gesprochen und mich rückversichert. (…)
Frage: Wem gehörte das UBS-Konto?
Antwort: Dem Hells-Angels Charter Frankfurt (…) Die Deposit-Karte habe ich von Michael G. temporär zur Verfügung gestellt bekommen (…)
Frage: Was ist mit dieser Karte alles gemacht worden?
Antwort: Mit dieser Karte sind jegliche Schmiergeldzahlungen oder Aufwendungen für den Club getätigt worden. (…)
Frage: Wenn Sie sagen Aufwendungen für den Club, was meinen Sie damit?
Antwort: Bordellbesuche für Bullen wurden auch darüber finanziert.“
Körperliche Züchtigung! Schmiergelder! Bordellbesuche von Bullen! Was für Geschichten! Kleines Problem: Daniell M.-D. wusste den Namen des LKA-Mannes, den er doch bestochen haben wollte, nicht mehr. Ein Blick in den Computer, wer 2009 die Personalien überprüft hatte, beantwortete die Frage. Der Kronzeuge erkannte Martin A. danach auf Fotos wieder; auf die Frage, ob er sich ganz sicher sei, antwortete er nahezu prosaisch: „Mir sind die Augen in Erinnerung geblieben, er hat eine warme Ausstrahlung und sympathische Augen.“
Nach einem Monat intensiver Vernehmungen mussten die Ermittler feststellen, dass der Kronzeuge trotz aller Plauderfreudigkeit kaum Beweise für echte Schwerkriminalität geliefert hatte. (…) Tatsächlich schaffte er es, den LKA-Beamten zu einem Treffen zu überreden, im Restaurant Kronenschlösschen in Eltville. Daniell M.-D. sagt heute: „Ich wurde verkabelt, bekam richtig Regieanweisungen: Ich sollte möglichst über Waffen reden. Und über Rauschgift. Und natürlich über die Hells Angels.“
Die Ermittler zogen dem Kronzeugen auch noch eine schwarze Jacke mit der Hells-Angels-Aufschrift „Support 81 Frankfurt“ über, dazu hängten sie ihm eine Bauchtasche mit dem Totenkopf der Rocker um. Heimlich machten sie dann Fotos von den beiden Männern: So konnten sie später, dank der Maskerade des Kronzeugen, auch bildlich beweisen, dass sich ihr Kollege wirklich mit einem Hells Angels getroffen habe.
Wie besprochen, übergab Daniell M.-D. an diesem Abend eine abgerissene Ecke eines DIN-A4-Blattes aus Umweltpapier. Ein Ermittler hatte das Kennzeichen FB – HA 249 darauf geschrieben: Ob Martin A. feststellen könne, ob gegen den Halter was vorliege?
Tags darauf trafen sich die beiden Männer erneut. Diesmal bei Käfer‘S in Wiesbaden. Und diesmal schnappte die Falle zu: Martin A. sagte im Verlauf des Gesprächs, dass die Computer-Überprüfung nichts ergeben habe. Und irgendwann an diesem Abend nahm er von Daniell M.-D. 1000 Euro entgegen.
Damals behauptete Daniell M.-D., er habe das Geld für die Kennzeichen-Überprüfung gezahlt. In der Polizeiakte liest sich das so: „Ich griff danach in meine rechte Hosentasche und gab ihm die wie von ihm am vorangegangenen Tag verlangt 1000 Euro, die ich vorher von der Polizei zur Verfügung gestellt bekommen habe. Er nahm sie, ich glaube mit der linken Hand, und steckte sie ohne nachzuzählen in die Hosentasche.“
Heute sagt Daniell M.-D., das alles habe er nur erzählt (…). Die Wahrheit sei: Der LKA-Mann sei bei der Geldübergabe im festen Glauben gewesen, die 1000 Euro seien eine Anzahlung auf das vereinbarte Darlehen für ein Bistro.
Das Gespräch bei Käfer‘S sollte aufgezeichnet werden, auch das in Eltville. Doch jedes Mal versagte die Technik. Die Abschriften der Aufzeichnungen liegen vor, sie enthalten überwiegend Sprachfetzen, erlauben kein klares Bild.
Und so haben die Verantwortlichen im Innenministerium und LKA Wiesbaden ein Problem: Nur zu gerne würden sie heute die Aussagen von Daniell M.-D. als unglaubwürdig abtun. Aber dann müssten sie erklären, warum sie dem Mann jedes Wort geglaubt haben. Sie haben damals sogar zehntausende Euro in ihren Kronzeugen investiert: Warum haben sie das getan, wenn der Mann nicht glaubwürdig sein sollte? (…) Er sagt auch: Der LKA-Mann habe nie etwas mit den Hells Angels zu tun gehabt. „Der hatte doch nur sein Weinbistro im Kopf.“ Und die 1000 Euro für ein Kennzeichen? „Quatsch! So viel zahlt doch kein Mensch!“ Das Geld sei allein als Anzahlung auf das besprochene Darlehen gedacht gewesen.
Der angeblich größte Triumph der hessischen Polizei über die Rocker – war er in Wahrheit ein abgekartetes Spiel des LKA?
Der beschuldigte Beamte will mit dieser Zeitung nicht reden. Er wurde vor wenigen Wochen der Bestechlichkeit für schuldig befunden. Ohne Prozess, per Strafbefehl wurde ihm das Urteil zugestellt: elf Monate, mit Bewährung.
Das reicht nicht zur Entlassung, der Beamte bleibt aber suspendiert, bei vollen Bezügen.
Es bestehe „die ernste Besorgnis, dass Ihre weitere Dienstausübung dem Ansehen der Polizei erheblichen Schaden zufügen würde“, schrieb ihm Hessens kommissarischer LKA-Präsident, Gisbert Dölger.
Der LKA-Beamte wartet jetzt auf das Disziplinarverfahren, er hat allen Grund zu befürchten, dass man ihn dann feuern will.
Von alledem haben die Mitglieder des parlamentarischen Innenausschusses nichts erfahren, als sie von Innenminister Boris Rhein und Landespolizeipräsident Udo Münch letzte Woche über den Einsatz des Kronzeugen gegen die Hells Angels informiert wurden. Die Sitzung war nicht öffentlich; das Protokoll darüber wird gewöhnlich den Fraktionen direkt zugestellt.
Diesmal aber wurde auf Antrag von Innenminister Boris Rhein beschlossen, dass man zu dem Thema nichts Schriftliches mehr verschickt.
Das Protokoll darf nur im Sekretariat des Ausschusses ausgelegt werden, lesen dürfen es allein die Ausschussmitglieder. Die Botschaft ist klar: Ab sofort soll nichts mehr über diese Polizeiaffäre herauskommen, gar nichts mehr!
Erschienen in der FNP am 19.02.2013