Die Kripo sucht das Leck

Aufregung bei der Polizei: Gleich drei Behörden nahmen gestern Stellung zu den Berichten dieser Zeitung über den Kronzeugen der Polizei gegen die Hells Angels. Zumindest inhaltlich gab‘s kaum was zu mäkeln.

Wiesbaden/Mainz/Frankfurt. Die Situation ist nun doch ein wenig verworren: Da bittet im Mai 2010, das Schreiben liegt dieser Zeitung vor, die hessische LKA-Präsidentin Sabine Thurau ihren Kollegen in Rheinland-Pfalz, den Kronzeugen gegen die Hells Angels in das Zeugenschutzprogramm aufzunehmen. Daniell M.-D. wird daraufhin in eine neue Wohnung in Bad Kreuznach einquartiert. Er bekommt, wie es das Zeugenschutzgesetz vorsieht, einen neuen Namen („Daniel Messer“), dazu passende Papiere, er wird unter neuem Namen bei der Führerscheinstelle, beim Arbeitsamt und bei der AOK angemeldet, er wird von Mainzer Zeugenschützern betreut…

…und jetzt kommen die Behörden plötzlich an und sagen: Nein, nein! Der Mann war gar nicht im Zeugenschutzprogramm! Das hat der Staatsanwalt ja gar nicht genehmigt! Daniell M.-D. war nur ein „gefährdeter Zeuge“!
So steht‘s, sinngemäß, in den Presseerklärungen, die gestern die Landeskriminalämter in Mainz und Wiesbaden verschickten. Wortklauberei? Oder klare Rechtslage? Frage an den Juristen Dr. Ulrich Endres, einen der profiliertesten Strafverteidiger der Region: Was ist von dieser Darstellung zu halten?
„Wenn der Staatsanwalt einer Aufnahme in das Zeugenschutzprogramm nicht zustimmt, gibt es kein Zeugenschutzprogramm. Punkt.“ Dann aber dürfe die Polizei natürlich auch nicht hingehen und exakt all die Maßnahmen umsetzen, die ausdrücklich fürs Zeugenschutzprogramm vorgesehen seien.„Was mit diesem Zeugen gemacht wurde“, sagt Endres, „hat mit unseren Gesetzen rein gar nichts mehr zu tun.“ Der Anwalt spricht von „streng rechtswidrigem Verhalten“ der Polizei; die Landeskriminalämter hätten „gegen jede Strafprozessordnung agiert“.
 
Damit nehmen die Geschichten um den Kronzeugen inzwischen gespenstische Züge an. Diese Zeitung hatte enthüllt, dass Daniell M.-D. mit Geld, mit Leihwagen und mit Irland-Urlaub „gepampert“ wurde: Er sollte bei Laune gehalten werden, sollte weiter gegen die Hells Angels aussagen. Dass eine Kriminalpsychologin den Mann als unglaubwürdig eingestuft hatte, störte die ermittelnden Beamten in Wiesbaden offenbar nicht. Sie wollten den Erfolg gegen die Rocker, sie wollten ihn um jeden Preis.
Seit Ende letzter Woche liegen Hessens Innenministerium Fragen dieser Zeitung zu der Polizeiaffäre vor. Sie wurden bis heute nicht beantwortet. Erst gestern Nachmittag kam eine dürftige Mail: Der Landespolizeipräsident sei beauftragt, den Vorgang „lückenlos“ aufzuklären. Alle beteiligten Polizeibeamten „müssen dazu Erklärungen abgeben“. Die Staatsanwaltschaft möge prüfen, „inwieweit sie Handlungsbedarf sehe“. Und dann noch dieser Satz: „Die verantwortliche Behördenleiterin“ habe sich „unaufgefordert zu den Vorgängen eingelassen“.
Gemeint ist Sabine Thurau. Auf den Fluren der Behörde wisperte man gestern, Thurau habe umgehend jede Verantwortung für den Umgang mit dem Kronzeugen von sich gewiesen. Was in den letzten Jahren beim LKA passiert sei, dafür könne sie nicht verantwortlich gemacht werden.
Das Landeskriminalamt Mainz reagierte wesentlich ausführlicher: In einer dreiseitigen Erklärung bestätigte man die Berichterstattung dieser Zeitung weitgehend. Lediglich einige Details wurden korrigiert: So sei z. B. die „Tarnidentität“ von Daniell M.-D. nicht auf Dauer angelegt gewesen. Auch habe der Mann keine Luxusautos zur Verfügung gestellt bekommen, sondern „kleinere Fahrzeuge, z.B. einen Renault Scenic und einen Audi A3“.Fettgedruckt findet sich in dieser LKA-Erklärung ein Satz, der vermuten lässt, dass man in Mainz auf die hessischen Kollegen nicht mehr so gut zu sprechen ist. „Mit den eigentlichen Ermittlungen“, betonen die Mainzer ausdrücklich, seien sie „zu keiner Zeit“ befasst gewesen. Also waren‘s die Hessen…
Dazu passt, was die „Allgemeine Zeitung“ in Mainz gestern berichtete: „Gut informierte Kreise“ seien überzeugt, dass der Zeuge den Rheinland-Pfälzern von den Hessen „untergejubelt“ worden sei.
Spätestens jetzt konnte auch das LKA Hessen nicht mehr schweigen. Gestern Abend, nach 20 Uhr, wurde eine zweiseitige Presseerklärung verschickt. Auch darin wird die Darstellung in den Berichten dieser Zeitung weitestgehend bestätigt. Ansonsten geht‘s jetzt offenbar nicht in erster Linie darum, möglicherweise gesetzwidriges Verhalten einer Polizeibehörde aufzuarbeiten. O-Ton LKA Hessen: „Die Darstellungen der letzten Tage in der Frankfurter Neuen Presse sind für das Hessische Landeskriminalamt Anlass zu umfangreichen internen Ermittlungen.“
Klarer Fall: Das innerbehördliche Leck, das stört, das muss gefunden und dicht gemacht werden. Da der Verdacht des Verrats von Dienstgeheimnissen begründet sei, so heißt es in der Pressemitteilung, „wurde eine Strafanzeige gestellt“.
Erschienen in der FNP am 30.01.2013