Polizeivizepräsidentin Sabine Thurau hat massiv versucht, einen Top-Beamten zu kriminalisieren. Das ist die Erkenntnis nach einer fast sechsstündigen Verhandlung vor dem Frankfurter Landgericht.
Frankfurt. Bittere Tage für Sabine Thurau: Erst leitete die Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen Falschaussage vor Gericht gegen sie ein. Dann noch zweites, wegen Verfolgung Unschuldiger. Woraufhin sie am Montag dieser Woche ihren Präsidentensessel im Landeskriminalamt in Wiesbaden räumen musste.
Gestern sollte sie im Schmerzensgeldprozess des früheren Personenfahnders Jochen Zahn als Zeugin aussagen – und erlebte ein Desaster. Von höhnischem Gelächter vieler Zuschauer im proppevollen Gerichtssaal begleitet, gab sie ein ums andere Mal Gedächtnislücken zu Protokoll: „Ich kann mich nicht erinnern.“
Dafür sagten gleich acht Polizeibeamte übereinstimmend aus, was sich vor viereinhalb Jahren im Frankfurter Polizeipräsidium abgespielt hatte – und was für Jochen Zahn, gegen den drei Jahre lang erfolglos Ermittlungen geführt wurden, Anlass für seine Klage auf Schmerzensgeld ist:
Am 29. März 2006 wurde die gesamte Personenfahndung vormittags in ihren Besprechungsraum zusammengetrommelt. Sabine Thurau, damals Vizepräsidentin in Frankfurt, kam; zeitweise waren auch ein Staatsanwalt im Raum, der Kripochef sowie vier bis fünf LKA-Beamte aus Wiesbaden.
Thurau ergriff das Wort. Der Chef der Abteilung, Jochen Zahn, sei in „schwere kriminelle Machenschaften verwickelt“, soll sie gesagt haben. Sie werde deshalb dafür sorgen, dass der Mann nie wieder zur Polizei zurückkehren dürfe. Und natürlich dürfe ab sofort keiner mehr mit dem Mann reden.
Noch einmal: Acht Polizeibeamte sagten dies gestern in stundenlangen Zeugenbefragungen übereinstimmend aus. Es handelt sich um erfahrene Kriminalbeamte, frühere Personenfahnder, echte Cops. Sie sind zwischen 36 und 64 Jahre alt, zwei sind inzwischen außer Dienst, einer wollte eigentlich noch ein Jahr dranhängen, „aber nach diesem Erlebnis habe ich den Antrag zurückgezogen“.
Der damalige Auftritt der Frau Thurau, die Art, wie sie über Zahn herzog – das muss die Männer tief ins Mark getroffen haben, sie berichteten es gestern. „So etwas habe ich in 30 Jahren bei der Polizei noch nie erlebt“, sagt einer. Ein anderer sagt: „Wir waren geschockt, regelrecht gelähmt.“
Einer sagt, Frau Thurau habe im barschen Ton gesprochen, ein anderer nennt es „Brachialgewalt“. Wieder ein anderer sagt, er habe gewagt, in dieser Runde etwas zu sagen, nämlich dass er sich das alles nicht vorstellen könne, was seinem Chef da vorgeworfen werde, „das hat mir wahrlich nicht zum Vorteil gereicht“, sagt er auch, dass sei ihm später dienstlich angelastet worden.
Ungefähr zur Hälfte des Prozesses: Auftritt der Zeugin Thurau. Sie kommt in Begleitung eines Rechtsbeistands, wie später auch ein LKA-Ermittler aus Wiesbaden, was den Vorsitzenden Richter zur Bemerkung verleitet, so etwas habe er in seinem langen Richterleben noch nie erlebt, dass ein Zeuge im Zivilprozess mit Rechtsanwalt aussagt.
Egal. Viel zu sagen hatte Sabine Thurau nicht. Sie habe damals die Suspendierung Zahns ganz sachlich dargestellt, sagt sie. Wenn sie vor seinen Kollegen gesagt habe, dass er nicht zurückkehren werde, dann habe sie natürlich nur die Abteilung gemeint; sie sagt allen Ernstes, das gebiete doch „die fürsorgliche Pflicht“.
Ansonsten: keine Erinnerungen. Sie wird gefragt, was sie von den anderslautenden Aussagen der Polizeibeamten halte. Die dementiert sie nicht – kann sein, kann nicht sein –, „ich erinnere mich nicht“.
Es werden an diesem Prozesstag noch der LKA-Beamte und auch der damalige Kripochef gehört. Es sind Zeugen, die man eher der Führungsetage zurechnen möchte, sie tragen nicht viel Erhellendes bei: Auch bei ihnen haben sich inzwischen große Erinnerungslücken aufgetan.
Erst Zeuge Nr. 12 weiß noch was Neues: Richter Justus Koch leitete damals als Staatsanwalt die Ermittlungen. Er habe sich den Aktenordner angesehen, sagt er, in dem die Unterlagen abgeheftet waren, die Zahns Dienstvergehen beweisen sollten: angeblich falsch abgerechnete Überstunden, angeblich falsch abgerechnete Dienstfahrten… Schnell sei ihm klar gewesen, dass strafrechtliche Vergehen nur mit sehr großem Ermittlungsaufwand herausgefunden werden könnten – wenn überhaupt. Das habe die Staatsanwaltschaft der Frankfurter Polizeiführung mitgeteilt – wo man das aber nicht hören wollte…
Erschienen in der FNP am 11.11.2010