Gut 100 Tage ist er im Amt: Jetzt nahm Landespolizeipräsident Udo Münch erstmals in einem Interview Stellung zur Aufarbeitung der diversen Polizeiskandale – und prophezeit mehr Frauen-Power auch in der Führung.
Wiesbaden. Udo Münch ohne Uniform – das konnte man sich bisher so wenig vorstellen wie Polizei ohne Blaulicht. Gut hundert Tage ist Hessens neuer Landespolizeipräsident im Amt, das erste Interview gab er jetzt dieser Zeitung, und natürlich sollte die erste Frage lauten: „Vermissen Sie eigentlich Ihre Uniform?“ Wir erinnern uns: „Die schwierigste Entscheidung des heutigen Tages war, meine Uniform im Schrank hängen zu lassen“, hatte er Anfang November bei der Amtsübernahme gesagt.
Ein Landespolizeipräsident ist ein politischer Beamter, muss keine Uniform tragen. Udo Münch sitzt, graues Jackett über weißem Hemd, in Büro Nr. 560 im Wiesbadener Innenministerium am Schreibtisch, steht plötzlich auf, öffnet eine Schranktür und holt – eine neue Uniform heraus. Noch nie hat in Hessen ein Landespolizeipräsident Uniform getragen! Vier goldene Sterne mit Eichenlaub auf den Schultern: „Ich trage die Uniform, um deutlich zu machen: Ich gehöre zur Polizei, ich stehe dazu“, sagt er. Aber gilt nicht die Vorschrift, dass zur Uniform eine Waffe getragen werden muss? Münch: „Ich habe eine Ausnahmegenehmigung bekommen.“
Es gibt in Hessen sieben Flächenpräsidien, das Landeskriminalamt, die Bereitschaftspolizei, eine Polizeiakademie – und alle haben eigene Präsidenten. Sind Sie als Landespolizeipräsident so eine Art Präsident der Präsidenten?
UDO MÜNCH (schmunzelt): Vor genau zehn Jahren wurde die hessische Polizei neu aufgestellt. Vorher gab es eine Polizeiabteilung im Innenministerium, mit der Neuorganisation im Jahr 2001 wurde das Amt des Landespolizeipräsidenten geschaffen. Der ist, wenn Sie so wollen, in der Hierarchie tatsächlich der Vorgesetzte der Präsidenten in den Ämtern draußen.
Wofür, bitte, brauchen wir einen Landespolizeipräsidenten?
MÜNCH: Hier werden zum Beispiel taktische Fragen zentral geregelt: Wir begleiten Großeinsätze bei präsidialübergreifenden Einsätzen, um einheitliche Strukturen zu haben. Und hier wird zum Beispiel der Einsatz neuer Technik geprüft, bewertet und zum Einsatz gebracht.
100 Tage sind Sie im neuen Amt – macht’s noch Spaß?
MÜNCH: Ja, absolut, wie die 36 Jahre vorher auch. Keinen Tag möchte ich missen.
Das überrascht ein wenig. Sie haben eine Polizei übernommen, deren Image von Ihrem Vorgänger Norbert Nedela gründlich ramponiert wurde. Beamte klagten über Mobbing, dirigistischen Führungsstil, schlechtes Betriebsklima, zweifelhafte Ermittlungsverfahren gegen unbescholtene Beamte – auf der Frust-Skala stand der Pegel zuletzt ganz weit oben.
MÜNCH: Zunächst einmal: Ich und mein Vorgänger hatten eine klare Aufgabentrennung – ich war für den strategisch-operativen Bereich zuständig, die Personalentscheidungskompetenz lag bei meinem Vorgänger. In der Nabelschau nach hundert Tagen kann man durchaus sagen, dass es die einen oder anderen Probleme gibt. Die packen wir jetzt an. Flächendeckende strukturierte Probleme gab’s aber nicht. Von einem ramponierten Image kann also bestimmt nicht die Rede sein.
Ihr Vorgänger musste aber doch nicht gehen, weil in der Polizei überwiegend Harmonie herrschte…
MÜNCH: Da muss ich mich auf das beziehen, was der Minister sagte: Es gab in Fragen der Führung unterschiedliche Auffassungen.
Bei Ihrem Amtsantritt gelobten Sie Besserung, auch Aufarbeitung aller Verfehlungen. Sie haben sogar zugestanden, Sie würden sich entschuldigen, sollte einem Beamten Unrecht geschehen sein – und davon soll’s ja eine ganze Reihe geben…
MÜNCH: Wir haben ein, zwei Fälle geklärt, in denen wir sagen müssen: Da sind Fehler gemacht worden. Wenn weitere Fälle unmittelbar an mich herangetragen würden, in denen wir uns entschuldigen müssten, wäre ich bereit, das zu tun.
Bisher ist das noch nicht geschehen?
MÜNCH: Wir haben die ein, zwei Fälle im Sinne der Kollegen positiv bereinigen können. Wir haben im direkten Dialog die Probleme aus der Welt geschaffen. Insofern war eine Entschuldigung nicht mehr notwendig. Die Kollegen haben erreicht, worum es ihnen ging und was ihnen zu Recht zustand.
Sie haben transparente Führungskultur versprochen, wollten Runde Tische einrichten, um die Probleme aufzuarbeiten. Wie steht’s damit?
MÜNCH: Wir haben inzwischen in allen Präsidien Runde Tische eingerichtet, die arbeiten bereits, da gab es schon mehrere Sitzungen. Wir haben auf meiner Ebene eine Koordinierungsstelle geschaffen, die landesweite Fragen und Standards klären soll, auch da sind wir gut weiter.
Der neue Polizei-Ansprechpartner Hennig Möller, an den sich Polizeibeamte mit Problemen wenden können: Hat der sich Ihrer Meinung nach bewährt?
MÜNCH: Herr Möller ist in seiner Funktion absolut unabhängig, das beweist er durch sein Tun. Er ist unmittelbar als Stabsstelle beim Minister angehängt, ist mir gegenüber nicht berichtspflichtig. Er hat mir ein, zwei Kollegen angetragen, um die wir uns gekümmert haben, deren Problem ist erledigt.
Kommen wir zu einem anderen Thema: Es gibt etliche neue, teilweise sehr personalintensive Aufgaben – etwa Internetkriminalität, islamistische Bedrohung, Wirtschaftskriminalität. Dafür, klagen viele Polizisten, sei die Basisarbeit ausgedünnt worden.
MÜNCH: Das ist so nicht richtig. Wir haben seit 2008 die Einstellungsrate um 150 erhöht: Wir haben rund 400 Pensionäre im Jahr und 550 Neueinstellungen. Die Zusatzprogramme, die wir gefahren haben – organisierte Kriminalität, Wirtschaftskriminalität, Internetkriminalität –, das sind Themen, die uns sicherlich personell gefordert haben, die aber auch mit Planstellen hinterlegt worden sind. Effektiv haben wir also einen Personalzuwachs, so dass die Basisdienststellen nicht belastet werden.
Ein Wort zur Frauenquote: Die einzige Frau, die es bei Hessens Polizei bis ganz nach oben geschafft hat, ist LKA-Präsidentin Sabine Thurau. Die hat das Amt aber ganz schnell abgeben müssen, weil die Staatsanwaltschaft gegen sie ermittelt. Jetzt sind die Herren Präsidenten wieder unter sich. Bleibt’s dabei?
MÜNCH: Ich muss Sie korrigieren: Es gibt auch heute schon Frauen in Spitzenpositionen – wir haben an der Polizeiakademie eine Vizepräsidentin, auch am Präsidium für Technik, Logistik und Verwaltung. Man muss sehen: Polizei war früher ein reiner Männerberuf. Wir haben erst in den 80er Jahren mit der Einstellung von Frauen angefangen. Heute haben Frauen bei uns einen Anteil von 20 bis 25 Prozent. Bis jemand durchwächst, dauert es eben eine gewisse Zeit.
Frauen also auf dem Vormarsch bei Hessens Polizei?
MÜNCH: Ganz bestimmt. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis wir die nächsten Spitzenfunktionen mit Frauen besetzt haben. Ich sehe einige Kolleginnen im Höheren Dienst, die in absehbarer Zeit die Führung einer Polizeidirektion übernehmen können oder andere Leitungsfunktionen, mit Sicherheit.
Erschienen in der FNP am 09.02.211