Der Untersuchungsausschuss zur Polizeichef-Affäre hat das Innenministerium Wiesbaden offenbar in eine Art Schockstarre versetzt: Wichtige Führungspositionen sind bei den hessischen Sicherheitsbehörden seit Wochen vakant – und keiner kann sagen, wann sie neu besetzt werden. Die Sache hat allerdings auch etwas Gutes: Überlegungen, einen Verwandten von Innenminister Bouffier mit einem Spitzenjob zu bedenken, haben sich ganz schnell erledigt.
Die Sicherheitslage in Hessen ist derzeit, glaubt man den Worten unseres Innenministers, dräuend düster: Die Gefahr durch islamistische Extremisten bleibe bedrohlich, sagte er unlängst, die Gefahr eines Anschlags sei hoch, die linksautonome Szene zeige sich immer gewaltbereiter, Angriffe Autonomer auf vermeintliche Rechte seien stark angestiegen, Neonazis würden zunehmend gewalttätig…
So präsentierte, es ist knapp drei Wochen her, Volker Bouffier seinen Verfassungsschutzbericht 2009, und wer darob in Sorge geriet, der muss sich jetzt erst recht Gedanken machen: Denn bei der Gelegenheit verabschiedete der Minister auch Hessens obersten Verfassungsschützer. Alexander Eisvogel wurde zum Vizepräsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz ernannt, arbeitet neuerdings in Köln. Angesichts der dargestellten Bedrohungslage ist nachvollziehbar, dass Bouffier auf schnelle Neubesetzung des Spitzen-Jobs drängte: Binnen vier Wochen, verkündete er, werde über die Nachfolge entschieden.
Das ist jetzt, wie gesagt, gut drei Wochen her, und noch immer ist kein Kandidat in Sicht. Nur ein Name kursiert beharrlich auf den Fluren des Wiesbadener Innenministeriums, und der ist nach Überzeugung von Sicherheitsexperten weitaus explosiver als die umstrittene Besetzung des Präsidentenamts bei der Bereitschaftspolizei, die immerhin den aktuellen Untersuchungsausschuss „Polizeiaffäre“ auslöste:
Als neuer oberster Verfassungsschutz-Chef Hessens wird Hans-Peter Stiller gehandelt. Der Mann ist derzeit Leitender Kriminaldirektor beim Landeskriminalamt, er führt den Staatsschutz bei der Polizei, gilt als anerkannter Experte in Fragen von Terrorismus und Extremismus. Ein echter Experte, ohne Zweifel. Was kaum einer in der Polizei und in den verantwortlichen politischen Gremien weiß: Der Mann ist verwandt mit Innenminister Volker Bouffier. Er ist sein Schwager.
Das Amt des Präsidenten des Verfassungsschutzes gilt als politisches Amt, es muss nicht per Ausschreibung ein Kandidat gesucht werden; hier reicht der Innenminister einen Vorschlag an das Kabinett, das ihn absegnen muss und in der Regel auch tut. Also eigentlich ein unkomplizierter Entscheidungsweg.
Doch ein Problem tut sich auf, es könnte Stillers letzte Beförderung torpedieren: Hessens Innenminister steht derzeit wegen seiner Personalpolitik massiv in der Kritik. Von Klüngelwirtschaft ist die Rede, von Parteienfilz, seit herauskam, dass Bouffier Parteifreunde in Top-Positionen der Polizei gehievt hat.
So wurde Hermann Josef Klüber, Jurist aus Thüringen und „zufällig“ Mandant der Bouffier-Kanzlei in Gießen, zum Vizepräsidenten der hessischen Polizei ernannt – übrigens ohne Ausschreibung. Für den Posten des Präsidenten der Bereitschaftspolizei wollte der Minister von Anfang an Hans Langecker, einen engen Parteifreund aus Gießen. Zwar gab’s in diesem Fall eine Ausschreibung und ein Auswahlverfahren. Doch die Art und Weise, wie Langecker dann am Ende zu seiner Ernennungsurkunde kam, war äußerst dubios, wurde von einem Gericht bereits als „grob rechtswidrig“ eingestuft. Die Umstände dieser Beförderung sind heute Gegenstand des politisch äußerst brisanten Untersuchungsausschusses „Polizeiaffäre“.
Ein bisschen viel Parteifreunde an der Polizeispitze – und jetzt auch noch Familienangehörige? Bouffier-Sprecher Michael Bußer gab sich gestern äußerst wortkarg: „Darüber reden wir überhaupt nicht“, war sein erster Kommentar zu Hinweisen auf eine geplante Stiller-Beförderung. Später, nach Rücksprache mit dem Minister, redete er Klartext: „Stiller wird es nicht. Seine Beförderung können Sie ausschließen, definitiv.“ Ob er denn sagen könne, wann der Verfassungsschutz einen neuen Chef bekäme? Bußers karge Antwort: „Zeitnah.“ Gibt’s schon Kandidaten? „Seien Sie sicher: Der Minister nimmt immer nur geeignete Kandidaten.“
Letzteres lässt hoffen. Denn nicht nur der Chefsessel des obersten Verfassungsschützers ist verwaist. Frankfurt, größte Stadt Hessens und gemeinhin als „Verbrechenshauptstadt Deutschlands“ verunglimpft, wartet seit Wochen auf einen neuen Vizepräsidenten im Polizeipräsidium. Mittelhessen ebenso.
Zwei Spitzenjobs vakant – kann sich Hessens Polizei solche Zustände in diesen bedrohlichen Zeiten erlauben? Michael Bußer konnte zu den Leerstellen in den Polizeipräsidien nichts sagen. Nur soviel: Im Innenministerium werde geprüft, ob eine Ausschreibung für die Stellen notwendig ist oder nicht.
Mit anderen Worten: Um solche zentralen rechtlichen Fragen bei hochrangigen Stellenbesetzungen hat man sich in Hessens Polizeiführung in der Vergangenheit nicht sonderlich gekümmert. Die Arbeit des Untersuchungsausschusses zeigt erste Wirkung…
Erschienen in der FNP am 14.05.2010