Hat Innenminister Volker Bouffier die Bevölkerung und die ihm unterstellte Polizei Hessens wissentlich getäuscht? Wie jetzt bekannt wurde, hat er bei der Vorstellung seines designierten Polizeivizepräsidenten wichtige Informationen zurückgehalten: Der Mann hat nur begrenzte Polizei-Erfahrung, außerdem hat er seinen Arbeitgeber, das Land Thüringen, verklagt. Warum Bouffier das alles verschwiegen hat? Vielleicht deshalb: Weil Hessens künftiger Polizeivizepräsident sich anwaltlich von einer Kanzlei vertreten lässt, der Bouffier angehört…
Es war der große Tag des Innenministers. Endlich mal keine Rede von Mobbing-Vorwürfen in der Polizei, keine Frage zu ungeklärten Todesschüssen aus Polizeipistolen. Nein, Volker Bouffier hatte wichtige Führungspositionen neu besetzt und verkündete stolz, „dass die nunmehr getroffenen Entscheidungen für die hessische Polizei ein Gewinn seien“. Seinen Frohsinn ließ der Minister im ganzen Land per Pressemitteilung verbreiten, in der ein merkwürdig verschwurbelter Satz stand, dessen tiefere Bedeutung sich allenfalls Eingeweihten erschloss: Hessens künftiger Polizeivizepräsident Hermann-Josef Klüber (54) werde „die Sichtweise eines Menschen in die Waagschale werfen, der bislang die Polizei aus einem anderen Blickwinkel kennengelernt hat“.
Ja, da ist was dran! Hermann-Josef Klüber hat die Polizei tatsächlich aus einem anderen Blickwinkel kennengelernt. Er hat erfahren müssen, wie bissige Kollegen-Kämpfe innerhalb der Polizei eine Karriere kaputt machen können. Er hat allerdings auch erlebt, wie Beziehungen in höchste politische Kreise für allerbeste berufliche Absicherung bei der Polizei sorgen können.
Hermann-Josef Klüber war mal Polizeichef in Thüringen. Allerdings nur drei Jahre lang, und auch nur kommissarisch: Kaum hatte ihn Mitte 2005 der damalige thüringische CDU-Innenminister Karl Heinz Gasser zum Polizei-Abteilungsleiter befördert, meldete sich ein ranghoher Beamter und beanspruchte den Job für sich. Es kam heraus, dass der Innenminister die Beförderung des bis dato polizeilich ziemlich unbekannten Juristen Klüber ohne das vorgeschriebene Auswahlverfahren hatte durchziehen wollen.
Im Klartext: Der Minister hatte an geltendem Recht vorbei gehandelt, „nach Gutsherrenart“, wie mehrere Zeitungen schrieben, derart offensichtlich rechtswidrig, dass es dazu keiner weiteren Ausführungen bedürfe, wie ein Gericht feststellte.
Hermann-Josef Klüber übte daraufhin zwar de facto den Job eines Polizeiführers aus. Doch mit immer neuen Konkurrenzklagen verhinderten Kollegen, dass der Jurist auch de jure jemals ihr Chef wurde.
2008 warf Innenminister Gasser seinen Job hin (im Landesparlament gab es massive Widerstände gegen eine von ihm geplante Polizeireform). Mit seinem Rücktritt endete auch die Polizei-Karriere seines Spezis Klüber: Innerhalb kürzester Zeit wurde der Mann abgeschoben, zur Generalstaatsanwaltschaft nach Jena.
Ab nach Jena, in dieses Provinzstädtchen, das den meisten Menschen allenfalls als passabler Ort für eine Pinkelpause auf halber Strecke zwischen Berlin und Frankfurt bekannt ist – für einen Juristen mit ausgeprägten Karriere-Ambitionen muss es eine bittere Verbannung gewesen sein.
Daraus erlöste ihn Hessens Innenminister Bouffier; zum 1. März tritt Klüber in Wiesbaden an. Da drängt sich doch die Frage auf: Wie hat der Minister ausgerechnet in der ostdeutschen Provinz einen Vizepräsidenten für Hessen entdecken können?
Die Antwort findet sich in Gießen, in der Friedrichstraße 17: Hier ist der Sitz einer vierköpfigen Anwaltskanzlei, die Hermann-Josef Klüber bei seinem juristischen Feldzug gegen die Landesregierung Thüringens beisteht. Er verlangt nämlich, nachträglich als Abteilungsleiter eingestuft und honoriert zu werden.
Zur Anwaltskanzlei in Gießen gehört, das macht die Sache politisch interessant, Klübers politischer Förderer, Thüringens Ex-Innenminister Karl Heinz Gasser. Richtig brisant und politisch äußerst heikel wird die ganze Angelegenheit dadurch, dass zu der Anwaltskanzlei auch Hessens Innenminister Volker Bouffier (ebenfalls CDU) gehört. Dessen Name steht auf dem Hausschild, ist auch auf der Kanzlei-Homepage zu finden, nebst Konterfei und gerafftem Lebenslauf. Nur wer bis zum letzten Satz durchliest, erfährt: Bouffier lässt, seit er Minister ist, seine anwaltliche Tätigkeit ruhen.
Rechtlich ist damit, natürlich, alles in Ordnung. Doch Fragen bleiben: Warum gibt Bouffier den wichtigen Job eines Polizeivizepräsidenten ausgerechnet einem Mandanten seiner Anwaltskanzlei, der nur über begrenzte Polizei-Erfahrungen verfügt? Und: Gibt’s in ganz Hessen wirklich keinen einzigen Beamten, der für diese Führungsaufgabe qualifiziert ist?
Der Verdacht, dass hier ein parteipolitisches Beziehungsnetz gepflegt wird und durch Verdrängen und Verschweigen die Öffentlichkeit getäuscht werden sollte, drängt sich auf. Hessens Minister erneut in der Jobfalle: Schon einmal hatte Bouffier Probleme wegen der Arbeit in seiner Kanzlei – „Verdacht auf Parteiverrat“ hieß das damals. Er hatte in einem Ehescheidungsverfahren sowohl Ehemann wie Ehefrau juristisch beraten. Gegen eine Geldbuße wurde das Verfahren eingestellt.
Bouffiers Kollege und Parteifreund Karl Heinz Gasser sagte gestern gegenüber dieser Zeitung, er sehe keinen Interessenkonflikt. Wichtige Personalentscheidungen würden intensiv vorbereitet. Auf gemeinsamen Konferenzen treffe man sich, oft Länder übergreifend, lerne sich kennen, tausche sich aus – vielleicht bei einer solchen Gelegenheit hätte das hessische Innenministerium den Namen Klübers erfahren, das sei schließlich auch ein ausgezeichneter Mann.
Im übrigen, so Gasser, habe sich die Klage Klübers mit dessen bevorstehendem Wechsel nach Wiesbaden erledigt. Aber er könne natürlich nicht ausschließen, dass Klüber eine Schadensersatzklage nachreiche. Es geht um einen fünfstelligen Betrag, „mindestens“.
Michael Bußer, Sprecher im Wiesbadener Innenministerium, sagte, Bouffier habe über den Posten des Polizeivizepräsidenten als Minister entschieden. Seine Tätigkeit als Anwalt ruhe seit Jahren. Es habe klare Empfehlungen für Klüber gegeben, der Minister habe seinen Vorschlag dem Kabinett vorgelegt, das zugestimmt habe.
Ob Minister Bouffier dem Kabinett alle Hintergründe seiner Entscheidung dargelegt habe, konnte Bußer nicht sagen.
Erschienen in der FNP am 25.02.2010