Der Kronzeuge gegen die Hells Angels erzählt (…) Heute: Wie er zum Kronzeugen der Anklage aufstieg. Und sogar das Gericht belog – mit Hilfe der Ermittler vom LKA.
Frankfurt/Wiesbaden. Daniell M.-D., der Dachdecker aus Frankfurt, der Porsche fährt und vor den Hells Angels große Sprüche klopft, der nahezu täglich Koks schnupft (…) – er steht unter Druck (…), die Ermittler vom LKA Wiesbaden verlangen immer neue Informationen von ihm, (…) dafür soll er versuchen, möglichst dicht an die Hells Angels ranzukommen. Er hat einige „Member“ (Mitglieder) kennengelernt, die misstrauischen Rocker scheinen ihm zu vertrauen…
Jetzt redet er erstmals. Aus Israel hat er sich gemeldet, in mehreren Video-Telefonaten erzählte er dieser Zeitung ausführlich, wie er (…) zum wichtigsten Kronzeugen der hessischen Polizei aufstieg. Und auch, wie die Ermittler ihn am Ende austricksten. Wegschickten, abschoben.
Der bullig wirkende Mann, der früher viel Sport trieb, taucht voll ins Milieu ein, um an die Rocker ranzukommen. Er raucht bis zu 40 Zigaretten am Tag, säuft jede Nacht, kokst. Und: Es funktioniert! Er rückt näher an die Hells Angels heran, sie geben ihm sogar Aufträge: „Ich sollte die Dächer ihrer Häuser im Bahnhofsviertel sanieren – natürlich waren das nur Scheingeschäfte.“ Es ging um Geldwäsche und Steuerhinterziehung, er informiert die Ermittler (…).
Er wurde, im April 2010, ganz offiziell, Geschäftsführer der „MilesMedia Communications GmbH“, Sitz in Hofheim am Taunus. „Das war ein Autoverleih der Hells Angels“, sagt er. „Die Firma leaste teure Autos, vermietete sie an Hells Angels.“ So konnten die Rocker protzen, die Polizei konnte nichts dagegen machen. Einige der Luxusfahrzeuge seien hier als gestohlen gemeldet und in Serbien verhökert worden, erzählt Daniell M.-D., „die Versicherung musste zahlen“.
Für die Ermittler muss (…) ein Glücksgriff gewesen sein. Noch nie waren sie so dicht an den Hells Angels dran gewesen. Sie bekamen Infos über Beziehungen und Verbindungen, manchmal auch über Straftaten. Kleine Puzzlestückchen, die, richtig zusammengesetzt, eines Tages das wahre Gesicht der Rocker zeigen sollten.
Doch der andauernde Druck machte (…) mürbe. Frühling 2010: Daniell M.-D. war am Ende, er stand vorm Kollaps. „Ich konnte einfach nicht mehr.“
Er informierte Andreas S. vom LKA Wiesbaden, und der sei umgehend mit ihm zur Staatsanwaltschaft, Abteilung Organisierte Kriminalität, gefahren. Daniell M.-D.: „Unterwegs sagte er, ich solle alle Geschichten richtig erzählen.“ Der Beamte habe mehrmals betont: „richtig erzählen“. (…)
Staatsanwalt Martin L. aber fragte als erstes nicht nach den Rockern in Frankfurt. Nicht nach den Hells Angels im Bahnhofsviertel. Er fragte nach Usingen: Im Hintertaunus sei auf einen Rocker geschossen worden, im Oktober 2009. Ob er darüber etwas wisse?
Ja, natürlich, sagte Daniell M.-D., er habe was gehört, und zwar von seinem Freund Michael G., der inzwischen zum Kassierer („Treasurer“) bei den Hells Angels aufgestiegen sei, also der Michael G. habe ihm erzählt, ein Uwe habe geschossen…
In diesem Augenblick katapultiert sich Daniell M.-D. in ein neues Leben: Seine Aussage wird sich zwar später als falsch herausstellen (der Rocker hatte sich selbst angeschossen, weil er Gelder seiner „Brüder“ veruntreut hatte und deren Rache fürchtete), aber das weiß noch keiner; jetzt elektrisiert die angebliche Insider-Information den Staatsanwalt. „Er rannte raus, kam dann wieder rein und sagte, man wolle mich in das Zeugenschutzprogramm aufnehmen.“
Es ist Montag, 3. Mai 2010: (…) Jetzt will auch die Staatsanwaltschaft alles wissen, und zwar ganz genau. Daniell M.-D. muss seine Schlüssel abgeben. Er steigt in ein ziviles Polizeifahrzeug und wird in ein Sporthotel nach Wiesbaden gebracht. Unterwegs halten sie noch an, die Beamten gehen mit ihm einkaufen: Socken, Unterwäsche, Sweatshirts – „ich hatte ja nichts dabei, und in meine Wohnung durfte ich nicht mehr“.
Zeugenschützer aus Mainz kommen, sie sollen für seine Sicherheit sorgen. Sie bringen ihn nach Bad Kreuznach in eine Zwei-Zimmer-Wohnung. Sie stellen ihm ein Auto vor die Tür. Und sie geben ihm Geld. „Von da an bekam ich jede Woche 500 Euro in bar.“
Die Zeugenschützer erstatten ihm zudem alle Ausgaben, die er mit Quittungen belegen kann: Fitness-Club, Telefonate, Restaurantbesuche, selbst Maniküre – alles wird bezahlt. „Regelmäßig gingen Beamte mit mir einkaufen. Nur Erwin, der Chef der Zeugenschützer, hatte keine Lust. Er drückte mir ab und zu ein paar Hunderter in die Hand und sagte, ich solle mir was kaufen, das Geld habe er den Hessen aus den Rippen geleiert.“
In Hessen, beim LKA in Wiesbaden und bei der Staatsanwaltschaft in Frankfurt, liefen unterdessen die Ermittlungen auf Hochtouren. Der Kronzeuge wurde vernommen, täglich, stundenlang, vier Wochen lang. Anfangs sei das noch ganz gut gelaufen, erzählt Daniell M.-D. Aber dann sei ihm kaum noch was eingefallen.
(…) Also habe er weiter erzählt: Von Polizisten, die er koksen gesehen habe. Von Kripobeamten, die verbotene Geschäfte mit Rockern machen würden. Von einem Beamten im Frankfurter Ordnungsamt, der illegale Puffs akzeptiere. Von Hells Angels, die sich Kinderpornos angeschaut hätten. Von einem Gastwirt, der mit Waffen handle . . .
In einem geheimen Polizei-Protokoll notierten die Ermittler, dass „der Mehrwert der durchgeführten Vernehmungen mit zunehmender Zeit abgenommen“ habe. Nach vier Wochen drückten sie ihrem Kronzeugen ein Ticket in die Hand: Er solle nach Irland fliegen, sich ein paar schöne Wochen machen. Sie reservieren ein Zimmer für ihn im „Temple Bar Hotel“, mitten in Dublin (70 Euro/Nacht). „Da kennt man mich heute noch“, grinst Daniell M.-D., „das gab‘s noch nie, dass ein Gast fast drei Monate blieb.“
Er belegt Sprachkurse in der Horner School of English, die Kosten (1400 Euro) übernimmt Hessen. Er kriegt weiterhin Woche für Woche 500 Euro überwiesen, jetzt per „Western Union“. (…)
Am 14. September 2010 hätte der Kronzeuge in Frankfurt vor Gericht erscheinen müssen – als Angeklagter, wegen einer alten Betrugsgeschichte mit seiner Dachdeckerfirma. Es ist gut zehn Wochen vor den großen Razzien gegen die Hells Angels. Den Ermittlern gefällt es gar nicht, dass ihr Kronzeuge erscheint, er könnte sich verplappern, Details erzählen, die die geplanten Polizeiaktionen gefährden. (…)
Er schickt das Attest per Mail an das Amtsgericht Frankfurt – dann setzt er sich in einen Bus: Seine Sprachschule hat zu einer (kostenpflichtigen) Whiskey-Tour eingeladen. Unterwegs macht er ein Foto, schickt es als Beleg für seine Teilnahme (und wg. der Kostenerstattung) ans LKA. In Frankfurt muss derweil Richter Justus K. den Prozess vertagen: „wegen Erkrankung des Angeklagten“.
Erschienen in der FNP am 06.02.2013