Gestern berichteten wir, warum die großen Polizeirazzien Ende letzten Jahres gegen Rockerbanden im Rhein-Main-Gebiet ein Flop waren. Heute: Die Wahrheit über den Mann, der als Informant und Kronzeuge das Vertrauen von LKA-Präsidentin Thurau fand.
Wiesbaden/Frankfurt. Sein Name: Michael N. (von der Redaktion geändert). Alter: 42 Jahre. Letzte bekannte Wohnadresse: Frankfurt, Nieder-Eschbach. Derzeitiger Aufenthaltsort: unbekannt.
Gegen den Mann liegen mehrere Haftbefehle vor. Die Personenfahnder der Kripo Frankfurt sollten ihn suchen, aber sie haben keine Ahnung, wo er ist. Dabei müssten sie nur ihre Kollegen im Wiesbadener Landeskriminalamt (LKA) fragen, die könnten nämlich Auskunft geben: Sie halten Michael N. versteckt. Er ist ihr Informant, ihr Kronzeuge gegen die Frankfurter Rockerbande Hells Angels. Sie haben ihn bereits ins Ausland gebracht, in Sicherheit, er lebt jetzt unter der Sonne, in einem Land am Mittelmeer.
Michael N. gilt als äußerst gefährdet. Er ist der Mann, mit dem Hessens Sicherheitsbehörden glaubten, der durchorganisierten Rocker-Kriminalität in Frankfurt auf die Schliche kommen zu können. Michael N. hatte versprochen auszupacken, er wollte erzählen, wie Hells Angels angeblich bereits ganz tief in die Spitzen unserer Gesellschaft, in Politik und Wirtschaft, Medien und Verwaltung eingedrungen sind.
Und beim Landeskriminalamt hat man ihm blindlings vertraut. Die ermittelnden Beamten beachteten nicht seine Vorstrafen, sie übersahen seine kriminelle Laufbahn.
Monatelang hatte, wie gestern berichtet, die Arbeitsgruppe AG Pueblo beim Hessischen Landeskriminalamt unter größter Geheimhaltung aufgrund von Hinweisen dieses Michael N. gegen die Hells Angels ermittelt. Dann wurden Ende letzten Jahres mit Riesen-Aufwand und Tausenden Polizisten – geschätzte Kosten: Mehrere hunderttausend Euro – zwei Razzien in Frankfurt und Umgebung gemacht. Das Ergebnis: Ein Flop. Nur wenige Waffen wurden sichergestellt, nur wenig Rauschgift wurde gefunden. Von einer Unterwanderung der Sicherheitsbehörden durch kriminelle Rockerbanden, wie damals laut proklamiert, spricht heute niemand mehr.
Es gibt nur eine Erklärung für dieses Polizei-Desaster: Die damals verantwortliche Präsidentin des Landeskriminalamtes, Sabine Thurau, ist auf ihren angeblichen Top-Informanten hereingefallen. Er hat sie gelinkt, sagen ihre Kollegen.
Andere sagen: Sie hat sich von ihm linken lassen. Thurau habe den Erfolg gewollt, um jeden Preis – und hat nicht gemerkt, dass ihr Informant ein Schwadroneur ist. Einer, der redet und redet – und doch nichts sagt. Ein Blender eben. Ein Hochstapler. Sie glaubte ihm offenbar jedes Wort – erfahrene Kriminalisten, hören sie seine Geschichte, schaudert es. „Unfassbar, dass Thurau diesem Typen vertraut hat“, sagt ein Fahnder.
Michael N., gelernter Dachdecker, groß, durchtrainiert, ein Möchte-gern-Rocker, der ständig vor der Tür der Hells-Angels-Zentrale („Angels Place Westend“) an der Mainzer Landstraße in Frankfurt herumlungerte, weil er nur zu gerne Vollmitglied geworden wäre. Doch die bulligen Kutten-Männer ließen ihn auf der untersten Stufe ihrer strengen Hierarchie sitzen: „Hangaround“ soll er gewesen sein, also nicht mal „Prospekt“, wie Anwärter auf eine Mitgliedschaft heißen.
Er streunte durch ihre Bordelle, versuchte Fuß zu fassen in ihrer Brutalo-Welt. Ein schmieriger Typ sei er, heißt es, der sich überall ranwanzt. Andere sagen: Er habe durchaus eine gewinnende Art, mit der er Menschen für sich einnehmen kann.
Vor allem ältere Menschen sollen darauf reingefallen sein. Michael N. betrieb zeitweise Dachdeckerfirmen, in Frankfurt und Karben, er soll Hausbesitzer beschwatzt haben, sie müssten ihr Dach reparieren lassen, und habe dann billigste Leistung gegen teures Geld geliefert. Bei der Polizei sollen etliche Anzeigen wegen Betrugs gegen ihn vorliegen.
Mit seinem Geld kam er nie aus, erzählen Bekannte. Er protzte mit dicken Autos (gerne Porsche, noch lieber Hummer), und immer häufiger habe er sich Geld leihen müssen – im Milieu, das ist verdammt gefährlich, wenn man’s nicht zurückzahlt. Einer seiner Gläubiger holte ihm über Nacht alle Baumaschinen vom Hof: Aus war’s mit der Dachdeckerei. Michael N. schlüpfte bei einem Bekannten unter und verschwand auch hier wieder – angeblich unter Mitnahme aller Möbel.
So einer hat keine Freunde mehr. Er muss gewusst haben, dass er keine Chance mehr hatte. Dass er in Gefahr war. Er sah am Ende wohl nur noch diesen einen Ausweg: Er ging zur Polizei. Diente sich als Informant an. Versprach auszupacken. Und verlangte nur eine Gegenleistung: den Status als Kronzeuge.
Schon an dieser Stelle wären erfahrene Kripobeamten misstrauisch geworden. Ein solcher Informant gilt als Schwätzer, den man erst reden – und dann laufen lässt. Sabine Thurau aber, die von etlichen Affären gebeutelte LKA-Chefin, witterte die Gelegenheit, den ganz großen Schlag zu machen.
In einer vertraulichen Aktennotiz dokumentierte sie ihr Vorgehen: „In Absprache mit der StA Frankfurt und Herrn B. als Generalstaatsanwalt persönlich war höchste Geheimhaltung geboten.“ Heißt im Klartext: Nur sie wollte bestimmen können, wer in die Ermittlungen eingeweiht würde.
Dann drängte sie erfahrene Ermittler weg. Später, als es längst zu spät war, kritisierte die Innenbehörde schriftlich, sie habe den Chef der Organisierten Kriminalität, Dirk Engelhard, „nicht über geplante Maßnahmen von hessenweiter Bedeutung und bundesweiter Beachtung gegen Mitglieder der Rockerorganisation Hells Angels in Kenntnis gesetzt, obwohl diese zu seinem originären Zuständigkeitsbereich gehörten“.
Auch einer Juristin im Landeskriminalamt, Ruth H., die für die geplanten Ermittlungen ideale Voraussetzungen mitgebracht hätte, sperrte Thurau aus. In einem internen Vermerk notierte die LKA-Chefin, sie habe gegenüber Kollegen „im Kontext von Bestechungsvorwürfen innerhalb der gerade im Aufbau befindlichen AG Pueblo zu Bedenken gegeben, dass ich eine ,undichte’ Stelle bei Frau H. befürchte“.
Ein schwerer Vorwurf! Frau H. erfuhr davon und schrieb ihrerseits einen Vermerk: „Mit dieser unwahren Behauptung hat sie (Thurau, die Red.) mich als Juristin und Führungskraft bei der Hessischen Polizei erheblich diskreditiert. Mein guter Ruf, den ich mir in neun Jahren bei der Hessischen Polizei erarbeitet habe, ist in Mitleidenschaft gezogen worden. Ich muss davon ausgehen, dass sie auch gegenüber weiteren Führungskräften und Bediensteten der Hessischen Polizei diese unwahre Tatsache behauptet hat.“
Ruth H. erstattete inzwischen Anzeige wegen Beleidigung gegen Thurau, die Ermittlungen laufen (Az. 3460 Js 243419/10).
Sabine Thurau hätte noch die Kurve kriegen können auf ihrem kriminalistischen Irrweg. Mehrere Kollegen wiesen nachweislich darauf hin, dass polizeiintern eindringlich vor Michael N. gewarnt werde: Der Mann sei nicht zuverlässig, nicht vertrauenswürdig.
Aber Sabine Thurau und ihre Mitarbeiter in der AG Pueblo wussten es besser.
Michael N. befindet sich derzeit in Sicherheit. Neues Land, neuer Name, neue Papiere – ihn aufzustöbern dürfte nicht einfach sein. Das Landeskriminalamt schützt ihn. Geht das immer so weiter? „Im Prinzip ja“, sagt ein Ermittler. „Aber wenn bewiesen ist, dass er uns alle belogen hat, wird er kaum im Status eines Kronzeugen bleiben können.“
Erschienen in der FNP am 21.09.2011