Ein Frankfurter Luxus-Hotel als Schauplatz eines hochkriminellen Deals: Hier verkaufte ein ehemaliger Schweizer Bank-Mitarbeiter für mehr als 100.000 Euro die Kontodaten von tausenden Privatleuten, darunter auch die Finanzunterlagen des früheren Präsidenten des deutschen Geheimdienstes BND. Inzwischen beschäftigt der Fall die Staatsanwaltschaft. Unterlagen, die dieser Zeitung vorliegen, beweisen nicht nur, dass mit vertraulichen Bankdaten offenbar ein schwunghafter Handel betrieben wird. Sie geben zugleich Einblick in die Dunkelwelt privater Geheimagenten, die am Rande der Legalität operieren – vermutlich auch im Dienste großer Geldhäuser.
Frankfurt. Die ersten Bargeld-Bündel wechselten ihren Besitzer am Dienstag, 21. Oktober 2014. Treffpunkt war eine Suite im zweiten Stock des Frankfurter Luxus-Hotels „Intercontinental“, gelegen mitten in der City zwischen Bahnhofsviertel und Mainufer. Es war kurz nach 13 Uhr, „die Atmosphäre war privat“, notierte später Wilhelm Dietl, der das Zimmer angemietet hatte, „es gab keine eventuellen Zuschauer“.
Es gab allerdings unsichtbare „Zuhörer“: Dietl hatte im Zimmer Abhörgeräte versteckt, sie liefen die ganze Zeit, nahmen jedes Geräusch auf…
Gegen 11.45 Uhr hatte Daniel M. die Suite betreten. Der Deutsch-Schweizer, heute 56 Jahre alt, mittelgroß, stets teuer gekleidet, wird als charmant und wortgewandt beschrieben. Er war mal bei der Züricher Polizei in einer Spezialeinheit gegen die organisierte Kriminalität eingesetzt, hatte dann zehn Jahre lang im weltweit agierenden Schweizer Bankhaus UBS eine Top-Position im Bereich Sicherheit inne. 2010 machte er sich selbstständig; es heißt, er berate Finanzorganisationen in Sicherheitsfragen und agiere im Regierungsauftrag weltweit in Sachen Islamismus, Extremismus, Terrorismus.
Jetzt, zur Mittagszeit an diesem 21. Oktober 2014, brachte er ein kleines Päckchen mit in die Frankfurter Hotelsuite. Es enthielt mehrere DinA-4-Seiten von größter Brisanz: die privat-vertraulichen Finanzdaten von August Hanning, dem früheren Präsidenten des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND).
Das „Dossier August Hanning“: „Darin waren seine Bankkonten in Deutschland, in Luxemburg, Norwegen und der Schweiz aufgelistet, insgesamt neun“, notierte Dietl später in einer Aktennotiz. „Aktuell befinden sich auf den Konten 1,7 Millionen Euro, der höchste Betrag in Norwegen (knapp über 600.000 Euro).“
Geld gegen Ware: Nach Erhalt des Päckchens übergab Dietl einen Umschlag mit 42 000 Euro an Daniel M. „Auf meinen Wunsch zählte er den Betrag. Die Summe stimmte. Damit war das Dossier Hanning bezahlt“, heißt es in Dietls Aktennotiz.
Wir sind mittendrin in einem Agentenkrimi, in dem es um massenhaft geklaute Bankdaten geht und ganz viel Geld, um private Geheimdienstler und staatliche Ermittler, um Banker und Staatsanwälte. Ein Aktenordner voll Unterlagen, der dieser Zeitung vorliegt und in dem die meisten Seiten mit „Streng vertraulich“ überschrieben sind, verrät die Details eines kriminellen Geschäfts, das bis heute nicht vollständig aufgeklärt ist.
Wilhelm Dietl, Journalist aus Bayern mit einem ausgeprägten Faible für Geheimdienst-Themen, hatte – das ist nach Aktenlage unstrittig – den ehemaligen UBS-Mann Daniel M. beauftragt, ihm die Kontodaten privater Bankkunden zu besorgen. Wie sich die Männer kennengelernt hatten? Die Unterlagen verraten es:
Im Frühjahr 2014 hatte Dietl zwei hauptberufliche Mitarbeiter des schweizerischen Nachrichtendienstes NDB getroffen. Sie nannten sich Urs Steiner und Laurenz Bürgli und wiesen ihn auf die kriminellen Aktivitäten von Daniel M. hin: Der habe über korrupte Hintermänner bei Schweizer Banken Zugang zur Swift-Organisation, dem globalen Datennetzwerk Tausender Banken. Deshalb könne er alle gewünschten Kontodaten beschaffen, weltweit und auch rückwirkend.
Dietl nahm Kontakt zu Daniel M. auf, man traf sich erstmals im August 2014 im 4-Sterne-Hotel St. Gotthard in der Bahnhofstraße in Zürich. Dietl, so ist es den Aufzeichnungen zu entnehmen, sagte zu Daniel M., er benötige die Kontodaten von Privatleuten – für einen Auftraggeber, den er allerdings nicht nennen dürfe
Daniel M. soll geantwortet haben, das sei für ihn kein Problem: Er habe Mittelsmänner, die ihm zuarbeiten würden; so kenne er einen Mann in Israel, der könne Transaktionen eines jeden Kontos zurückverfolgen, bis zu zehn Jahre, weltweit.
Dietl notierte später, Daniel M. müsse leitende Angestellte bei Banken seit Jahren korrumpiert haben, er sei „der Kopf einer kriminellen Vereinigung“.
Seite für Seite ist in dem Aktenordner nachzulesen, wie Dietl in etlichen Telefonaten und bei mehreren Treffen in Frankfurt das Vertrauen von Daniel M. gewann. Wie er dann zur Sache kam: Er benötige die Kontodaten von den deutschen Kunden der russischen Gazprombank, möglichst viele.
Kein Problem, sagte Daniel M., alles nur eine Frage des Preises: Die normalen Unterlagen enthielten Namen, Adresse, Kontonummer, Kontostand – 7000 Datensätze könne er liefern, 80 Euro das Stück…
Macht 560.000 Euro. Was Dietl ein bisschen zu teuer schien. Bei den nächsten Treffen im Frankfurter „Intercontinental“ – Daniel M. kam mit dem Auto aus Zürich, stieg im nahen Hotel „Roomers“ ab – feilschte Dietl, und der Schweizer Datenhändler reduzierte den Preis um 200.000 Euro, auch weil Dietl andeutete, er sei an weiterführenden Infos – Belege über Eingänge und Auszahlungen, auch aus den letzten Jahren – interessiert. Alles kein Problem, wiederholte Daniel M., das koste aber natürlich extra.
Hier hakte Dietl nach: Eine solch detaillierte Auf listung würde er gerne mal sehen. Ob das möglich sei – am Beispiel des Bankkunden August Hanning?
An dieser Stelle ein kleiner Exkurs: Dietl war mal ein hoch angesehener Reporter, er schrieb für viele Magazine, für den Stern und für den Spiegel, zuletzt für Focus, er war in der Branche als Geheimdienstexperte anerkannt. Dann kam heraus, dass er Informant des Bundesnachrichtendienstes (BND) gewesen war. Ende einer Karriere: Dietl schrieb noch ein paar Bücher, mit journalistischen Beiträgen fiel er nicht mehr auf, offiziell betreibt er heute einen Buchladen in einem kleinen bayerischen Städtchen…
August Hanning war Präsident des Bundesnachrichtendienstes bis 2005. In seine Zeit fiel die Enttarnung von Wilhelm Dietl als BND-Mitarbeiter. Dietl räumt heute offen ein, dass er sich für seine Demaskierung rächen wolle. Er recherchiert seither, wie er dem Ex-BND-Chef unlautere Geschäfte nachweisen könne. Bei Daniel M. witterte er seine Chance: Wenn er Einblick in Hannings Geldkonten bekäme, könnte er vielleicht Hinweise auf illegale Geschäfte finden…
Tatsächlich lieferte der Schweizer Geheimagent: Bei mehreren Treffen im Frankfurter Hotel „Intercontinental“ lieferte er die gewünschten Unterlagen: Erst das „Hanning-Dossier“, später „Account-Movements“ zu den Hanning-Konten, also Geldeingänge und Überweisungen, aufgelistet auf mehreren Seiten. Dazu überbrachte er, wie bestellt, Listen mit Namen von Gazprom-Bankkunden und ihre Kontodaten.
Und Dietl zahlte: Erst die 42.000 Euro. Dann, bei weiteren Treffen in Frankfurt, 56.000 Euro (am 28. Oktober) und noch einmal 32.000 Euro (17. Dezember). Insgesamt 130.000 Euro. Immer in bar.
Am 30. Dezember 2014 telefonierten die beiden Männer ausweislich der vorliegenden Unterlagen noch einmal miteinander. Sie verabredeten ein weiteres Treffen. Doch dazu kam es nicht mehr:
Die kompletten Dietl-Unterlagen – die Protokolle aller heimlich mitgeschnittenen Telefonate und Hotelgespräche, dazu private Notizen sowie Mails von und an Daniel M. – waren inzwischen in der Züricher UBS-Zentrale abgegeben worden. Also ausgerechnet bei jener Bank, für deren Sicherheit Daniel M. lange Jahre zuständig gewesen war.
UBS-Bankjustiziar Oliver Bartholet schickte die brisanten Papiere am 12. Januar 2015 weiter an die Berner Staatsanwaltschaft. Die UBS, so heißt es in seinem Anschreiben, habe „von einer Drittperson auf deren Initiative hin beiliegende Dokumente erhalten, welche ein strafbares Verhalten schließen lassen“. Bartholet schrieb auch, dass er namens der UBS Strafanzeige „gegen Daniel M. und Unbekannt“ erstatte.
Kleines Problem für die staatlichen Ermittler: Die Unterlagen enthielten die geheimen Mitschnitte von Wilhelm Dietl. Da sie illegal waren, können sie vor Gericht nicht verwendet werden. Der Staatsanwalt ließ Daniel M. deshalb von Dutzenden Fahndern rund um die Uhr observieren.
Am 2. Februar 2015 ging der Mann in das traditionsreiche Hotel Savoy Baur en Ville in der Züricher Poststrasse. Er will einen Mittelsmann von Dietl treffen, einen gewissen Herrn Ladner, und ihm weitere Bankdaten übergeben. Herr Ladner kommt auch wie verabredet, es handelt sich allerdings um einen V-Mann der Schweizer Bundesanwaltschaft. Kurz darauf klicken die Handschellen.
In der Nacht darauf, um 23.50 Uhr, wird Daniel M. in das Büro des Leitenden Bundesstaatsanwalts Carlo Bulletti geführt. Ein weiterer Staatsanwalt sitzt im Raum, er schreibt das Protokoll, außerdem sind ein Kriminalbeamter und ein Rechtsanwalt anwesend.
Der Beschuldigte mimt den Unschuldigen. Er sagt, er kenne einen Deutschen namens Dietl, habe ihm aber keine Daten geliefert.
15 Fragen stellt der Staatsanwalt. Der Beschuldigte gibt nur ausweichende Antworten. Dann spricht wieder Carlo Bulletti, und diesmal ist es keine Frage: Den Ermittlungsbehörden lägen Unterlagen vor, sagt er zu Daniel M., denen eindeutig zu entnehmen sei, „dass Sie offenbar in größerem Rahmen Bankdaten und insbesondere Kundendaten (…) an Personen in Deutschland verkauft haben“.
Volltreffer! „Ich bin jetzt etwas durcheinander und möchte mich zuerst etwas sammeln“, sagt Daniel M. laut Vernehmungsprotokoll. Er wird abgeführt, muss die Nacht in Untersuchungshaft verbringen und auch die nächsten Wochen.
Inzwischen ist er wieder auf freiem Fuß, allerdings seien, so heißt es, seine Konten noch gesperrt. Die FNP erreicht Daniel M. am Handy, möchte eine Stellungnahme, doch er sagt nur: „Ich sage nichts, das können Sie sich doch denken“, und legt auf.
August Hanning, der ehemalige BND-Chef, der heute als Rechtsanwalt in Berlin tätig ist und dessen angebliche Bankaktivitäten uns vorliegen, sagt auf Anfrage: Er wisse von dem Vorgang, natürlich. Er habe auch Strafanzeige bei der Berner Staatsanwalt erstattet – „gegen Unbekannt“. Dass Dietl versuche, Material gegen ihn zu sammeln, sei ihm bekannt – „aber der interessiert mich überhaupt nicht, der ist eine zwielichtige Figur“. Dass seine Finanzdaten öffentlich seien, störe ihn nicht: „Die Konten, die da genannt sind, existieren gar nicht. Es handelt sich um Fälschungen – Dietl wurde geleimt.“
Wirklich wahr? Hat sich Dietl gefälschte Kontodaten andrehen lassen – für 130.000 Euro? Und wenn das so wäre: Wer hat die Daten gefälscht?
Wilhelm Dietl, den wir an seinem Wohnsitz in Bayern erreichen, gibt sich anfangs zugeknöpft, sagt: „Die Schweiz ermittelt gegen mich wegen wirtschaftlichen Nachrichtendienst. Erst wenn das Verfahren eingestellt worden ist, kann ich reden.“
Aber dann verrät er doch noch ein paar Details:
Sein Einsatz sei mit Werner Mauss abgesprochen gewesen – mit jenem legendären Privatermittler, der jahrzehntelang für Staaten und Konzerne im Einsatz war, der Terroristen aufspürte und Verbrecher jagte, der Geiseln in aller Welt befreite, den geraubten Kölner Domschatz zurückholte oder auch – das war sein letzter spektakulärer Einsatz – die gestohlene Leiche des Milliardärs Friedrich Karl Flick wiederbeschaffte.
Mauss lebt heute in Rheinland-Pfalz, die „Süddeutsche“ schrieb letztens, er habe sich neue Papiere auf den Namen Claus Möllner ausstellen lassen. Er habe, so sagt Dietl jetzt, zusammen mit Mauss korrupte Mitarbeiter bei Banken enttarnen wollen – selbstverständlich in Absprache mit den Schweizer Behörden. Er habe Mauss zugearbeitet; „aus eigenem Antrieb und aus bekannten Gründen“ habe er, Dietl, die Ermittlungen um die Angelegenheit Hanning erweitert.
Wenn das wahr ist, was Dietl sagt – und seine Version hat eine gewisse Logik –, dann bedeutet das: Schweizer Banken und Behörden wussten, dass im großen Stil Kontodaten geklaut werden. Sie haben Privatermittler engagiert, sie ließen die geklauten Kontodaten über Mauss/ Dietl zurückkaufen, für 130.000 Euro, und bekamen auf diese Weise den Hintermann des kriminellen Daten-Diebstahls geliefert.
Bei der Schweizer UBS, wo die Infos des ganzen Kriminalfalls am Ende zusammenliefen, will man mit der Sache allerdings nichts zu tun haben. Es sei reiner Zufall, heißt es auf Anfrage, dass die Unterlagen in der Züricher Zentrale abgegeben worden seien. Frage: Sollen wir das wirklich glauben? Ja, beteuert Konzernsprecherin Susanne Mühlemann schriftlich, man sei „nicht Partei im erwähnten Verfahren“.
Special-Agent Werner Mauss ist naturgemäß nicht so einfach zu sprechen. Wir erreichen seinen Anwalt in Stuttgart, der verspricht zu vermitteln. Seine erste Antwort, am Telefon: Mauss habe ihm gegenüber versichert, mit der Sache nichts zu tun zu haben. Und das, so sagt der Anwalt, klinge für ihn absolut glaubwürdig, im Übrigen würde Herr Mauss so etwas bestimmt nicht sagen, wenn’s in Wahrheit anders wäre.
Doch was darf man schon glauben in der Welt der Geheimagenten? Die zweite Antwort des Anwalts kommt fünf Stunden später, diesmal per Mail: Mauss habe „im Rahmen des anhängigen Ermittlungsverfahrens bei der Bundesanwaltschaft in Bern Aussagen gemacht“. Und weiter: „Er ist jedoch nicht autorisiert, im Zuge des anhängigen Ermittlungsverfahrens weitergehende Erklärungen gegenüber den Medien abzugeben.“
Die Schweizer Bundesanwaltschaft bestätigt auf Anfrage dieser Zeitung immerhin, „dass im Januar 2015 ein Strafverfahren wegen des Verdachts des wirtschaftlichen Nachrichtendienstes (Art. 273 Schweizerisches Strafgesetzbuch StGB) eröffnet worden ist“. Mehr könne man nicht sagen: Zu einer laufenden Strafuntersuchung äußere man sich nicht.
Erschienen in der FNP am 29.06.2016