Eine bittere Lehrstunde muss Hessens Landesregierung derzeit hinnehmen: Es ist noch gar nicht so lange her, da hatte sie vollmundig versprochen, die Wasserpreise im Land spürbar und nachhaltig zu senken. Jetzt muss sie hilflos mit- erleben, wie sie von Kommunalpolitikern ausgetrickst und vorgeführt wird. Ärgerlich: Uns Verbraucher kommt das teuer zu stehen.
Wiesbaden. Der Wirtschaftsminister zeigte sich in allerfeinster Feierlaune. Das sei „ein guter Tag für die Wasserkunden“, frohlockte Dieter Posch nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs. In seinem Wiesbadener Ministerium knallten die Sektkorken – man habe, tönte der FDP-Mann, einen „großen Sieg für die Verbraucher errungen“, der „Signalwirkung über Hessen hinaus“ haben werde.
Das war vor genau einem Jahr, längst ist Posch wieder auf Selters umgestiegen. Denn sein Bemühen, die Wasserpreise in Hessen auf ein vernünftiges Niveau zu drücken, muss für gescheitert erklärt werden. Schlimmer noch: Mit einem geschickten Schachzug haben die Kommunen dafür gesorgt, dass der Wirtschaftsminister ihnen künftig beim Abkassieren fürs Wasser kaum noch dreinreden kann.
Das war mal ganz anders geplant: 2007 verhängte Hessens Wirtschaftsminister – damals hieß er noch Alois Rhiel, ein CDU-Mann – sogenannte Preissenkungsverfügungen gegen Versorgerunternehmen. Die dem Minister unterstellte Landeskartellbehörde hatte nämlich ausgemacht, was eigentlich hinlänglich bekannt war: Die Wasserpreise im Land variieren extrem – und sind im Vergleich zum Bundesgebiet unerklärlich hoch.
Hintergrund: Die Wasserversorgung ist eines der letzten Monopole Deutschlands. Zwar gibt es mehrere Tausend Versorger, aber faktisch hat der Verbraucher keine Wahl zwischen den verschiedenen Anbietern, wie es bei Strom und Gas der Fall ist. Für hohe Wasserpreise gibt’s manchmal durchaus gute Gründe – beispielsweise die Lage einer Stadt, die Entwicklung der Einwohnerzahl oder Investitionen in die Infrastruktur. Aber: Immer wieder wird der Verdacht laut, dass der Mangel an Wettbewerb die Preise nach oben treibt. Effiziente Unternehmen, heißt es, seien eher eine Rarität in der Wasserwirtschaft.
Alois Rhiel schwang sich also auf zum wackeren Ritter wider die dreiste Abzockermentalität, das Rüstzeug lieferten ihm seine Kartellwächter: Die hatten die Preise von 18 „gleichartigen“ Anbietern verglichen und dabei festgestellt, dass acht hessische Wasserversorger, die unter anderem die Städte Frankfurt, Kassel, Gießen und Wetzlar beliefern, übermäßig hohe Wasserpreise kassieren.
Rhiel forderte die Unternehmen auf, ihre Preise zu senken – um bis zu 40 Prozent. Und natürlich sollten sie zu viel kassiertes Geld an die Verbraucher zurückzahlen – in der Summe Millionen. Rhiel damals: „Es ist meine Pflicht als Wirtschaftsminister, die Bürger vor Monopolmissbrauch zu schützen.“ Und gerne setzte er noch einen drauf: „Überhöhte Wasserpreise sind und bleiben unsozial.“
Einige Versorger folgten ihm. Wetzlar aber wurde zum exemplarischen Streitfall. Früher einmal hatte die 51 000-Einwohner-Stadt ihre Wasserversorgung selbst organisiert. Aus Kosten- und Effizienzgründen wurde diese Aufgabe, wie andernorts auch, einem privatrechtlichen Unternehmen übertragen – in Wetzlar der Enwag GmbH, die zu 50,1 Prozent der Stadt gehört und zu 49,9 Prozent der Thüga AG, einem Netzwerk regionaler Energieversorger. Seit 2003 liegt der Enwag-Wasserpreis bei 2,35 Euro pro Kubikmeter. Zum Vergleich: Der Bundesdurchschnitt liegt bei 1,85 Euro.
Um 29 Prozent müsse in Wetzlar der Wasserpreis runtergehen, verfügte das Landeskartellamt. Enwag zog dagegen vor Gericht, verlor jedoch auf ganzer Strecke: Erst gab das Oberlandesgericht den Kartellwächtern Recht, dann auch noch, im Februar 2010, der Bundesgerichtshof. Die höchstrichterliche Begründung, unter anderem: Enwag könne besondere Aufwendungen, die einen höheren Wasserpreis rechtfertigten, nicht nachweisen, außerdem habe das Unternehmen seine Kosten nicht transparent genug aufgeschlüsselt.
Das war, wie gesagt, vor einem Jahr, es war der erste Prozess deutschlandweit, in dem über die wettbewerbswidrige Gestaltung von Wasserpreisen entschieden wurde. Es war sicher auch ein Triumph verbrauchernaher Politik, eine Sensation, für die sich der inzwischen zuständig gewordene Minister Posch überall beklatschen ließ. In Wetzlar musste der Wasserpreis gesenkt werden, und die Kunden müssen für die letzten Jahre Geld zurückbekommen – inzwischen beläuft sich die Forderung auf rund sieben Millionen Euro. Während Enwag-Boss Wolfgang Schuch jammerte: „Dann muss ich den Gang zum Konkursrichter antreten“, gab sich FDP-Mann Posch volksnah: Eine vierköpfige Familie, rechnete er vor, könne mit 129 Euro Rückerstattung rechnen – pro Jahr.
Doch der Minister hatte seine Rechnung ohne die kommunalen Finanzexperten gemacht. Die hatten längst ein Schlupfloch gefunden, um der ministeriellen Gängelung zu entkommen. Es ging ganz einfach: Zum 1. Januar dieses Jahres wurde die Wasserversorgung in Wetzlar einfach an die Stadt zurückgegeben.
Der Trick dabei: Ist eine privatrechtliche GmbH für die Wasserversorgung verantwortlich, dann wird fürs Wasser ein Preis verlangt. Ist aber die Stadt zuständig, wird eine Gebühr fällig. Der feine Unterschied: Für die Kontrolle von Gebühren ist nicht das Kartellamt zuständig, sondern die Kommunalaufsicht. Die untersteht in Hessen letztlich dem Innenminister und hat nicht zwingend den Geldbeutel der Verbraucher im Visier, sondern eher die Solidität der kommunalen Finanzen.
Noch mal das Beispiel Wetzlar: Der Wasserpreis lag bei 2,35 Euro pro Kubikmeter – von „Ausbeutungsmissbrauch“ sprach das Wirtschaftsministerium, ein Preis von ungefähr 1,50 Euro sei völlig angemessen. Heute ist die Stadtverwaltung zuständig, die Wassergebühr beträgt seit 1. Januar 2011 weiterhin 2,35 Euro – und das Landeskartellamt hat nichts mehr zu melden. Das Innenministerium wiederum zeigt sich nicht sonderlich beeindruckt. „Klar ist, dass jeder Preis und jede Gebühr angemessen sein muss“, erklärt Innenminister Boris Rhein, aber eines müsse man auch sehen: „Wasser ist unser wichtigstes Lebensmittel. Und das hat seinen Preis.“
Die Verbraucherzentrale Hessen hatte es vorausgesehen. Sie äußerte gleich nach dem BGH-Urteil die Sorge, dass die Kommunen ihre Wasserversorgung rekommunalisieren, also aus dem privatrechtlichem Unternehmen herauslösen und an die Stadt zurückgeben könnten – mit der Folge, dass Wasser teuer bleibe.
Genauso ist es nun gekommen. Wetzlar hat den Weg gewiesen; die Stadt Gießen, wo eine Überprüfung der Wasserpreise drohte, folgte schnurstracks: Dort ist seit 1. Januar dieses Jahres nicht mehr die Stadtwerke GmbH zuständig, sondern ebenfalls die Stadtverwaltung.
In Frankfurt, wo die Mainova AG das Wasser liefert, heißt es ganz unverblümt: Bevor wir die Wasserpreise senken, geben wir die Wasserversorgung zurück an die Stadt.
Auch für Frankfurt hatten die Kartellwächter im Jahr 2007 eine Preissenkung verfügt. Die Mainova reichte Klage ein, vor Gericht einigte man sich aber schnell darauf, das Verfahren ruhen zu lassen. Erst hieß es, man wolle das BGH-Urteil im Fall Wetzlar/Enwag abwarten. Jetzt heißt es, man sei in Verhandlungen. „Eine außergerichtliche Einigung ist allemal besser als Zwang“, will man im Wirtschaftsministerium erkannt haben.
Das Ergebnis dürfte klar sein: Die Wasserpreise in der Main-Metropole, wiewohl behördlich als viel zu hoch eingestuft, dürften kaum nennenswert sinken. In Kassel sieht’s genauso aus: Auch dort war das Landeskartellamt vorstellig geworden. „Wir sollen die Preise um 37 Prozent senken“, gab ein Sprecher der Kasseler Stadtwerke zu Protokoll. „Für uns gibt es dann zwei Möglichkeiten: Konkurs anmelden, oder die Wasserversorgung geht zurück an die Stadt.“
Im Wirtschaftsministerium sind die siegestrunkenen Töne von 2010 längst kleinlautem Katzenjammer gewichen. Damals hieß es selbstbewusst: „Niemand sollte auf Zeit spielen und darauf setzen, dass das Hessische Wirtschaftsministerium als Landeskartellbehörde in diesem Jahr oder im nächsten Jahr gegenüber dem ein oder anderen Unternehmen ein Auge zudrückt.“
Vergessen. Vorbei. Heute um eine Bewertung der Situation gebeten, überliefert die Behörde kein Statement von Minister Posch, sondern nur eines von Staatssekretär Steffen Saebisch: „Überhöht ist überhöht – ganz egal, ob Preis oder Gebühr“, verlautbart der. Klingt das noch recht mannhaft, gibt man sich ansonsten eher kleinlaut: Es sei erforderlich, sagt Saebisch, über eine wirksame Kontrolle auch für Wassergebühren nachzudenken; das Wirtschaftsministerium werde „diese Diskussion mit einer Veranstaltung anstoßen“.
Erschienen in der FNP am 27.01.2011