Serie, Teil 4: Der letzte Trumpf des LKA

Er hat mit den Beamten des LKA Hessen zusammengearbeitet, hat sie (…) mit Infos versorgt und als Kronzeuge bei der Vorbereitung der Vereinsverbote gegen die Hells Angels unterstützt. Er hat dafür Geld bekommen, viel Geld – mit Dankbarkeit durfte er da wohl nicht mehr rechnen. Am Ende schoben sie ihn nach Israel ab, mit einem ganz billigen Trick.

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Serie, Teil 3: Schlamperei im Amt

Daniell M.-D., der (…) Kronzeuge der hessischen Polizei gegen die Hells Angels, erzählte bisher vor allem über seine Erfahrungen mit dem hessischen Landeskriminalamt. Aber er erhebt auch schwere Vorwurfe gegen die Zeugenschützer aus Mainz: Sie würden durch Nachlässigkeit Zeugen unnötig in zusätzliche Gefahr bringen.

Frankfurt/Mainz. Zeugenschutz ist eine hochsensible Angelegenheit. Menschen, die in Gefahr sind, weil sie zum Beispiel als Zeuge gegen Schwerkriminelle aussagen, wird teilweise sehr weitreichender Schutz geboten. Rechtliche Grundlage dafür ist das Zeugenschutz-Harmonisierungsgesetz; für die praktische Umsetzung sorgen speziell geschulte Beamte: Sie betreuen die Zeugen rund um die Uhr, verhelfen ihnen bei Bedarf zu einer neuen Identität, besorgen ihnen eine Wohnung, einen neuen Job…

Auch die Zeugenschützer selbst geben sich Tarnnamen – zu ihrem eigenen Schutz, aber vor allem soll das den Zeugen mehr Sicherheit bieten.

Grundsätzlich gilt: Je mehr Details über die Arbeit der Zeugenschützer bekannt werden, desto gefährlicher ist es für die Zeugen.

Soweit die Theorie.

Daniell M.-D., der Kronzeuge der hessischen Polizei gegen die Hells Angels, wurde vom Zeugenschutzdezernat Mainz betreut. Die Abteilung gehört zum LKA Rheinland-Pfalz, sie untersteht Erwin Owtscharenko. Der Kronzeuge aus Hessen erhebt heute schwere Vorwürfe gegen das Dezernat: Die Beamten hätten elementare Regeln der Geheimhaltung missachtet, sie würden damit Zeugen unmittelbar gefährden. Dass sie Dienstwagen für Privatfahrten einsetzten, dass sie am liebsten mittags zu ihm kamen, um die eigene Bewirtung dienstlich absetzen zu können, das sind da nur noch Randnotizen.

Daniell M.-D. sagt, er habe binnen weniger Wochen die Klarnamen mehrerer Zeugenschützer erfahren. „Die haben einfach nicht aufgepasst.“ Schlampige Arbeitsweise hätte vertrauliche Informationen offen zugänglich gemacht.

Da ist zum Beispiel „Melanie Maus“. Das ist ihr Tarnname. Die Polizeibeamtin habe regelmäßig Dienstwagen für Privatfahrten genutzt, sagt Daniell M.-D., und eines Tages, als sie ihn zu einer Vernehmung nach Wiesbaden brachte, erzählte sie, sie sei gerade beim Röntgen gewesen, habe die Aufnahmen hinten im Auto.

Auf der Rückfahrt habe er seine Jacke in den Kofferraum gelegt, dabei die Arztdokumente gesehen: Natürlich stand ihr echter Name darauf. Melanie heißt sie wirklich mit Vornamen, ihren Nachnamen wollen wir hier nicht verraten. Melanie sollte nur wissen: Sie ist enttarnt. Nach der Logik des Zeugenschutzes ist jetzt nicht nur sie selbst gefährdet. In Gefahr sind auch und vor allem die von ihr betreuten Zeugen.

Und dann erzählt Daniell M.-D. eine Geschichte, die so unglaublich klingt, dass kaum denkbar ist, dass er sie ausgedacht haben könnte:

Während seines Irland-Aufenthalts sei er zu einer Vernehmung eingeflogen worden. Am Flughafen Frankfurt-Hahn habe, wie abgesprochen, ein Leihwagen für ihn bereitgestanden. Auf der Fahrt zu seiner Wohnung in Bad Kreuznach habe in dem Auto plötzlich ein Handy geklingelt. „Es lag zwischen den Sitzen. Offenbar hatte es jemand vergessen.“ Er sah nach: Es war das Handy von Chefzeugenschützer Owtscharenko.

Daniell M.-D. weiter: „Da waren alle Daten drin: Adressen und Telefonnummern von Zeugenschützern, von Polizeibeamten – und auch von gefährdeten Zeugen.“ Er habe sich die Daten kopiert, „sicherheitshalber“, sagt er, man wisse ja nie, wozu man die brauchen könne. Dann habe er Owtscharenko angerufen. Der sei sofort gekommen, habe sich das Telefon abgeholt.

Erwin Owtscharenko nennt sich im Dienst – auch das ist jetzt kein Geheimnis mehr – „Wilhelm Baumann“ oder „Ferdinand Berger“. Unter diesen Tarnnamen, sagt Daniell M.-D., habe ihm der Chefzeugenschützer regelmäßig Geld überwiesen. Die Namen hätten auf den Bankbelegen gestanden.

Im übrigen sei seine Post – wie auch die des ganzen Dezernates – unter den Namen „Baumann“ und „Berger“ abgewickelt worden. Dafür habe das Dezernat geheime Brief kästen eingerichtet – unter der Adresse, auf der auch seine Tarnpersonalien angemeldet wurden.

Eine Überprüfung dieser Angaben ergab: Daniell M.-D. sagt die Wahrheit. Dokumente, die dieser Zeitung vorliegen, verraten die Namen der Zeugenschützer. Und wir finden auch, im Mehrfamilienhaus an der Sophie-Cahn-Straße 3 in Mainz, die geheimen Briefkästen der Zeugenschützer. Einer ist mit „Wilhelm Baumann“ ausgeschildert, der benachbarte mit „Ferdinand Berger“. Dabei leben diese Herrschaften offensichtlich nicht in dem Haus. Wer genauer hinschaut, sieht sofort: Die Namen Baumann und Berger fehlen auf den Klingelschildern. Das wurde von den Zeugenschützern wohl vergessen…

Dagmar Meyer, Sprecherin des LKA Mainz, versuchte gestern, die Aussagen des Kronzeugen herunterzuspielen. Es sei bekannt, dass sich die Zeugenschützerin „Melanie“ selbst enttarnt habe, das sei „Anlass für eine interne Nachbereitung“ gewesen. Eine Gefährdung für die Beamtin werde nicht gesehen, auch nicht für andere Schutzpersonen.

Die Sache mit dem verlorenen Handy war offenbar noch nicht bekannt. Alle Handys seien PIN-gesichert, sagt Meyer. Hätte ein Zeuge darauf Zugriff, „würde das keine Sicherheitslücken nach sich ziehen“. Es sei auch „nicht erinnerlich“, dass ein Handy längere Zeit in den Händen des Zeugen gewesen sei.

Und die Sache mit den Tarnnamen von Erwin Owtscharenko: „Diese Namen erschienen natürlich auf dem Kontoauszug des Empfängers.“ Sie würden selbstverständlich nicht weiter benutzt.

Erschienen in der FNP am 07.02.2013

Die Kripo sucht das Leck

Aufregung bei der Polizei: Gleich drei Behörden nahmen gestern Stellung zu den Berichten dieser Zeitung über den Kronzeugen der Polizei gegen die Hells Angels. Zumindest inhaltlich gab‘s kaum was zu mäkeln.

Wiesbaden/Mainz/Frankfurt. Die Situation ist nun doch ein wenig verworren: Da bittet im Mai 2010, das Schreiben liegt dieser Zeitung vor, die hessische LKA-Präsidentin Sabine Thurau ihren Kollegen in Rheinland-Pfalz, den Kronzeugen gegen die Hells Angels in das Zeugenschutzprogramm aufzunehmen. Daniell M.-D. wird daraufhin in eine neue Wohnung in Bad Kreuznach einquartiert. Er bekommt, wie es das Zeugenschutzgesetz vorsieht, einen neuen Namen („Daniel Messer“), dazu passende Papiere, er wird unter neuem Namen bei der Führerscheinstelle, beim Arbeitsamt und bei der AOK angemeldet, er wird von Mainzer Zeugenschützern betreut…

…und jetzt kommen die Behörden plötzlich an und sagen: Nein, nein! Der Mann war gar nicht im Zeugenschutzprogramm! Das hat der Staatsanwalt ja gar nicht genehmigt! Daniell M.-D. war nur ein „gefährdeter Zeuge“!
So steht‘s, sinngemäß, in den Presseerklärungen, die gestern die Landeskriminalämter in Mainz und Wiesbaden verschickten. Wortklauberei? Oder klare Rechtslage? Frage an den Juristen Dr. Ulrich Endres, einen der profiliertesten Strafverteidiger der Region: Was ist von dieser Darstellung zu halten?
„Wenn der Staatsanwalt einer Aufnahme in das Zeugenschutzprogramm nicht zustimmt, gibt es kein Zeugenschutzprogramm. Punkt.“ Dann aber dürfe die Polizei natürlich auch nicht hingehen und exakt all die Maßnahmen umsetzen, die ausdrücklich fürs Zeugenschutzprogramm vorgesehen seien.„Was mit diesem Zeugen gemacht wurde“, sagt Endres, „hat mit unseren Gesetzen rein gar nichts mehr zu tun.“ Der Anwalt spricht von „streng rechtswidrigem Verhalten“ der Polizei; die Landeskriminalämter hätten „gegen jede Strafprozessordnung agiert“.
 
Damit nehmen die Geschichten um den Kronzeugen inzwischen gespenstische Züge an. Diese Zeitung hatte enthüllt, dass Daniell M.-D. mit Geld, mit Leihwagen und mit Irland-Urlaub „gepampert“ wurde: Er sollte bei Laune gehalten werden, sollte weiter gegen die Hells Angels aussagen. Dass eine Kriminalpsychologin den Mann als unglaubwürdig eingestuft hatte, störte die ermittelnden Beamten in Wiesbaden offenbar nicht. Sie wollten den Erfolg gegen die Rocker, sie wollten ihn um jeden Preis.
Seit Ende letzter Woche liegen Hessens Innenministerium Fragen dieser Zeitung zu der Polizeiaffäre vor. Sie wurden bis heute nicht beantwortet. Erst gestern Nachmittag kam eine dürftige Mail: Der Landespolizeipräsident sei beauftragt, den Vorgang „lückenlos“ aufzuklären. Alle beteiligten Polizeibeamten „müssen dazu Erklärungen abgeben“. Die Staatsanwaltschaft möge prüfen, „inwieweit sie Handlungsbedarf sehe“. Und dann noch dieser Satz: „Die verantwortliche Behördenleiterin“ habe sich „unaufgefordert zu den Vorgängen eingelassen“.
Gemeint ist Sabine Thurau. Auf den Fluren der Behörde wisperte man gestern, Thurau habe umgehend jede Verantwortung für den Umgang mit dem Kronzeugen von sich gewiesen. Was in den letzten Jahren beim LKA passiert sei, dafür könne sie nicht verantwortlich gemacht werden.
Das Landeskriminalamt Mainz reagierte wesentlich ausführlicher: In einer dreiseitigen Erklärung bestätigte man die Berichterstattung dieser Zeitung weitgehend. Lediglich einige Details wurden korrigiert: So sei z. B. die „Tarnidentität“ von Daniell M.-D. nicht auf Dauer angelegt gewesen. Auch habe der Mann keine Luxusautos zur Verfügung gestellt bekommen, sondern „kleinere Fahrzeuge, z.B. einen Renault Scenic und einen Audi A3“.Fettgedruckt findet sich in dieser LKA-Erklärung ein Satz, der vermuten lässt, dass man in Mainz auf die hessischen Kollegen nicht mehr so gut zu sprechen ist. „Mit den eigentlichen Ermittlungen“, betonen die Mainzer ausdrücklich, seien sie „zu keiner Zeit“ befasst gewesen. Also waren‘s die Hessen…
Dazu passt, was die „Allgemeine Zeitung“ in Mainz gestern berichtete: „Gut informierte Kreise“ seien überzeugt, dass der Zeuge den Rheinland-Pfälzern von den Hessen „untergejubelt“ worden sei.
Spätestens jetzt konnte auch das LKA Hessen nicht mehr schweigen. Gestern Abend, nach 20 Uhr, wurde eine zweiseitige Presseerklärung verschickt. Auch darin wird die Darstellung in den Berichten dieser Zeitung weitestgehend bestätigt. Ansonsten geht‘s jetzt offenbar nicht in erster Linie darum, möglicherweise gesetzwidriges Verhalten einer Polizeibehörde aufzuarbeiten. O-Ton LKA Hessen: „Die Darstellungen der letzten Tage in der Frankfurter Neuen Presse sind für das Hessische Landeskriminalamt Anlass zu umfangreichen internen Ermittlungen.“
Klarer Fall: Das innerbehördliche Leck, das stört, das muss gefunden und dicht gemacht werden. Da der Verdacht des Verrats von Dienstgeheimnissen begründet sei, so heißt es in der Pressemitteilung, „wurde eine Strafanzeige gestellt“.
Erschienen in der FNP am 30.01.2013

Ein Zeuge namens Messer

Der Kronzeuge gegen die Frankfurter Hells Angels hat offenbar versucht, die Kripo zu erpressen: Er verlangte ein neues Versteck im Ausland und bevorzugte Behandlung – andernfalls werde er sein Wissen über geheime Polizeiaktionen preisgeben. Dokumente, die dieser Zeitung vorliegen, belegen: Kripobeamte haben tatsächlich massiv gegen Vorschriften und Gesetze verstoßen. Einblicke in eine Polizei-Affäre, die von den Behörden bis heute unter Verschluss gehalten wird.

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Der Informant und seine Polizistin

Die Affäre um den Rocker-Informanten des Landeskriminalamts wird immer bizarrer: Der Mann ist, wie diese Zeitung letztens enthüllt hatte, ein notorischer Betrüger, der mit mehreren Haftbefehlen gesucht wird. Er hat sogar die Hells-Angels-Ermittler belogen – und wird trotzdem als Kronzeuge versteckt. Wirklich nur zu seinem Schutz? Oder gibt es etwas zu verbergen? Neue Dokumente belegen: Der Mann hat seine kriminellen Geschäfte nicht allein betrieben. Eine Frau stand ihm bei. Sie ist Kriminalbeamtin in Frankfurt.

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Frau Thurau und die Höllenengel

Es sollte der größte Schlag gegen die Hells Angels werden, es wurde ein Riesen-Flop: Hessens LKA-Chefin wurde von einem Kronzeugen gelinkt – Report über ein polizeiliches Desaster.

Wiesbaden. Boris Rhein war, mal wieder, in seinem Element. „Ich bin entsetzt“, diktierte der hessische Innenminister einem Redakteur der F.A.Z. in den Block. „Das haben wir so noch nicht erlebt“, durfte ihn die linke Berliner Tageszeitung „taz“ zitieren. Und auch für „Bild“ fielen noch ein paar markige Worte ab: Man werde sehen, „ob es zu einem landes- oder gar bundesweiten Verbot der Hells Angels als kriminelle Vereinigung kommt“.

Was war geschehen? Ende letzten Jahres, draußen war’s klirrend kalt, starteten mehr als tausend Polizeibeamte eine Großrazzia gegen die Hells Angels in Frankfurt und Umgebung. Es war innerhalb kurzer Zeit der zweite Schlag gegen die Rockerbande: Drei Wochen zuvor waren bei einer Durchsuchungsaktion über 2000 Beamte im Einsatz gewesen.

Beide Male wurden Häuser und Bordelle von Hells Angels gestürmt. Bei der zweiten Razzia standen zudem die Privatadressen und Büros von Polizisten auf der Liste. Fünf Beamte wurden festgenommen. Der Vorwurf: Sie sollen sich auf kriminelle Geschäfte mit Rockern eingelassen haben. Ein Kripomann soll für den Verrat geheimer Polizei-Infos sogar 10 000 Euro kassiert haben.

Die Razzien sorgten für Aufsehen. Es ging schließlich nicht nur um Vorwürfe, wie sie im Zusammenhang mit Rockerbanden regelmäßig erhoben werden – um Waffen und Drogen, brutale Gewalt und Prostitution. Diesmal machte Innenminister Rhein das ganz große Fass auf: Die bundesweite Strategie der Hells Angels sei „das Einsickern in die öffentliche Verwaltung, in Polizei und Justiz“, gab er zu Protokoll, das habe „glasklar mit organisierter Kriminalität zu tun“.

Heute, fast ein Jahr später, will zu den Razzien und zum Stand der Ermittlungen keiner offiziell mehr etwas sagen. Angeblich laufen die Ermittlungen noch, hochgeheim, äußerst sensibel, heißt es.

Doch der wahre Grund ist wesentlich banaler: Die Polizei-Aktionen Ende letzten Jahres waren ein Desaster für das hessische Landeskriminalamt (LKA). Ein Riesen-Flop. Der Vorwurf, Rocker hätten die Sicherheitsbehörden unterwandert, ist vom Tisch. Der Verdacht, die Frankfurter Hells Angels würden eine zu verbietende Vereinigung bilden, kann bis heute nicht erhärtet werden.

Monatelange Ermittlungen unter strengster Geheimhaltung – alles für die Katz’. Eine bittere Schlappe für Hessens Polizei.

Wie konnte das geschehen?

Die Spur führt, einmal mehr, zu Sabine Thurau, inzwischen gefeuerte Präsidentin des Hessischen Landeskriminalamtes.

Es war am 9. Februar 2010, als der damalige Innenminister Volker Bouffier die Beförderung der heute 56-Jährigen zur LKA-Chefin unterschrieb. Zum 1. April trat sie ihren Dienst in Wiesbaden an. Im Gepäck hatte sie eine heiße Nachricht: Ein Hells Angels wolle sich als Kronzeuge zur Verfügung stellen, werde gegen seine Rockerbande umfassend aussagen.

Ein Hells Angels packt aus – das ist wirklich eine Sensation! In der Rockerszene gilt absolutes Schweigegebot: Wer mit der Polizei paktiert, heißt es, müsse um sein Leben bangen.

Thuraus Informant versprach mehr: Er könne organisierte Kriminalität „in der obersten Ebene“ beweisen, sagte er, also Verbindungen von Hells Angels zu Polizei, Wirtschaft und Politik aufdecken.

Thurau im Glück: Als Vizepräsidentin in Frankfurt waren ihr zuletzt übles Mobbing und massives Führungsversagen vorgeworfen worden. Kripobeamte gingen juristisch gegen sie vor, die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen sie. Jetzt sollte alles besser werden: Ein erfolgreicher Schlag gegen die Hells Angels, vertraute sie Freunden an, würde ihren Ruf aufpolieren, deutschlandweit, für immer.

Thurau wollte, sagen heute ihre Kollegen, den totalen Triumph, und vor allem wollte sie ihn für sich allein. Nur so wird ihre erste Amtshandlung verständlich: Sie bootete Dirk Engelhard aus, den Chef der LKA-Abteilung Organisierte Kriminalität (OK).

Engelhard , der als der Rocker-Experte schlechthin gilt, war genau zu Thuraus Amtsantritt ins nahe Innenministerium abgeordnet worden. Ein notwendiger Baustein für seine nächste Beförderung – für Thurau die Begründung, weshalb sie den erfahreneren Kollegen von allen Informationen abschnitt. Außerdem, notierte sie allen Ernstes, belasteten ihn Sorgen um seine schwerkranke Mutter.

Vielleicht hätte der Mann der neuen LKA-Chefin helfen können – bei behördeninternen Stolperfallen in einem so komplexen Verfahren. Vielleicht hätte er sie auch gewarnt – vor allzu großes Vertrauen zu einen Informanten, der als äußerst zwielichtig bekannt war.

Aber Thurau weigerte sich, den OK-Fachmann in ihre Pläne einzubeziehen. Sie vertraute lieber dem Informanten, der immer wüstere Geschichten auftischte. Sie sicherte ihm zuletzt umfassenden Schutz zu, machte ihn zum Kronzeugen.

Er hat sie wohl gelinkt.

In einem vertraulichen Papier notierte Thurau später: „Von den Korruptionsvorwürfen waren zu diesem Zeitpunkt u.a. hochrangige Polizeibeamte (PP Ffm und LKA) betroffen, auch das Ordnungsamt Frankfurt am Main und das Ministerium waren mutmaßlich tangiert. Da die StA ( Staatsanwaltschaft, die Red. ) die Ermittlungshoheit innehat, hatte ich durch eine konsequente Festlegung der Informationswege Sorge zu tragen, dass nur diejenigen Personen informiert wurden, die unmittelbar mit dem Ermittlungsverfahren betraut waren.“

Sie gründete die Arbeitsgruppe (AG) „Pueblo“. Und holte jenen Mann, der als ihr enger Freund gilt und dem sie absolut vertraut: Wolfgang W.

Der Hauptkommissar, von Kollegen „Chefchen“ gerufen, arbeitete zuvor bei den Internen Ermittlern. Aus dieser Zeit rührt ein wunder Punkt in seiner Vita, der kaum bekannt ist: Der 52-Jährige war vor Jahren als Ermittler in Verfahren wegen „Rechtsradikaler Tendenzen“ bei der Frankfurter Polizei eingesetzt. In einer Vernehmung soll er dem beschuldigten Beamten Oliver D. gedroht haben: „Wenn du nicht aussagst, stecken wir dich in den Knast. Du weißt ja, was sie dort mit Typen wie dir anstellen.“

Oliver D. erstattete umgehend Anzeige („Aussageerpressung“), und Wolfgang W. nahm sich einen Rechtsbeistand. Warum seine Wahl ausgerechnet auf Dr. Ulrich Endres fiel, ist sein Geheimnis. Endres ist einer der bekanntesten Frankfurter Strafrechtler – und genießt in Rockerkreisen als Verteidiger von Hells Angels einen legendären Ruf.

Eine solche Verbindung wird bei OK-Ermittlern überhaupt nicht gerne gesehen. Thurau störte sie nicht: Auf ihr ausdrückliches Geheiß hin führte Wolfgang W. die ersten Vernehmungen des Kronzeugen durch.

Und tatsächlich konnte der einiges berichten. Er kannte Namen und Adressen aus der Rocker-Szene, und vor allem erzählte er über Kontakte von Polizisten ins Rocker-Milieu. Zwei drogensüchtige Kripobeamte nannte er. Einen LKA-Beamter, dem er selbst Geld gegen Infos geboten habe. Und ein Ehepaar, das Sex-Geschäfte mit Rockern mache.

Beweise? Die hatte der Informant nicht. Also schwärmten die Ermittler aus, holten Genehmigungen, um Telefone abzuhören – die polizeiliche Maschinerie lief wie geschmiert. Irgendwann hörten die Ermittler auch, wie sich zwei Rocker am Telefon offen über „Bullen-Aktionen“ unterhielten.

Da war wohl was durchgesickert. Die geheime „AG Pueblo“ war offenbar nicht richtig dicht.

Ende letzten Jahres überschlugen sich bei Hessens Polizei die Ereignisse:

Am 1. November enttarnte diese Zeitung ein Netzwerk aus Intrigen und Mobbing bei der Hessischen Polizei, das sein Zentrum ganz oben in der Führungsspitze habe.

Einen Tag darauf feuerte Innenminister Boris Rhein seinen Landespolizeipräsidenten Norbert Nedela.

Am 8. November berichtete diese Zeitung, dass gegen Thurau ein weiteres Ermittlungsverfahren, diesmal wegen des Verdachts der Verfolgung Unschuldiger, eröffnet worden sei: Sie habe wider besseres Wissen zwei Beamte mit Strafverfahren überzogen. Innenminister Boris Rhein reagierte nach Erscheinen des FNP-Artikels binnen Stunden: Er stellte Thurau vor die Wahl: sofortige Suspendierung oder freiwillige Niederlegung des LKA-Chefposten und Abordnung ins Innenministerium.

Thurau wählte die Abordnung. Und brachte die AG „Pueblo“ in eine brenzlige Situation: Die Vorbereitungen für einen gewaltigen Schlag gegen die Rocker befanden sich im Endstadium. In mehreren Bundesländern waren Polizeikräfte alarmiert, aus ganz Deutschland waren Sondereinheiten angefordert worden.

Zwei Wochen später, Ende November, rückten 2000 Polizisten an und durchsuchten Dutzende Objekte der Frankfurter Hells Angels. Gefunden wurde, im Verhältnis zum Aufwand, enttäuschend wenig: ein paar Waffen, ein bisschen Rauschgift. Am 10. Dezember folgte die zweite Razzia, diesmal wurden die Polizisten festgenommen. Und Innenminister Rhein schwang die ganz große verbale Keule…

Tage später sagte die Sprecherin der Frankfurter Staatsanwaltschaft, dass kein einziger Durchsuchungsbeschluss „auf dem Vorwurf einer kriminellen Vereinigung“ basiert habe. Eine enge Verzahnung der Rocker mit dem Rotlichtmilieu sei auch nicht zwingend strafbar. Und: Die Ergebnisse der Razzien, also die gefundenen Drogen und Waffen, bewegten sich „hart an der Grenze der Belanglosigkeit“.

Bleibt der Verdacht, Hells Angels hätten die Polizei unterwandert. Immerhin wurden fünf Beamte festgenommen. Rocker-Komplizen? Inzwischen hört man Geschichten, die klingen ganz anders als vor einem Jahr:

Der LKA-Beamte Michael N. (50) soll von einem Rocker 10 000 Euro kassiert und dafür Dienstgeheimnisse verraten haben. So lautete der Vorwurf. Heute heißt es: Der Hauptkommissar wollte für seine Frau ein Cafe einrichten. Ein Bekannter – ausgerechnet Thuraus Kronzeuge – habe ihm 1000 Euro als Starthilfe angeboten, leihweise. Bei der Übergabe des Geldes fragte der Mann, ob man ein Kfz-Kennzeichen überprüfen könne: Ein Auto habe ihn angefahren, der Fahrer käme ihm suspekt vor. Michael N. filterte den Namen des Kfz-Besitzers aus dem Computer – das ist sicher nicht rechtens, aber wohl kaum eine schwere Straftat.

Auch Tanja L. vom Betrugs-Kommissariat konnten bis heute keine engeren Kontakte ins Rocker-Milieu nachgewiesen werden. Wahr ist jedoch: Die 34-Jährige Oberkommissarin ist rauschgiftabhängig. Kollegen sagen, das hätten viele in der Behörde gewusst, seit Jahren, aber keiner sei eingeschritten. Tanja L. hat inzwischen ein Geständnis abgelegt, eine Entziehungskur gemacht und wartet auf ihr Verfahren.

Tex B., bekannt als „der einzig bekennende Kiffer bei Hessens Polizei“, hat ebenfalls mit Rockern nichts am Hut. Der Computerspezialist nahm leichte Drogen, das war bekannt, das ist jetzt aktenkundig, er wartet auf seinen Prozess.

Und schließlich gibt’s da noch ein Beamten-Ehepaar, bis vor einem Jahr eingesetzt auf einem Frankfurter Revier. Sie 33, er 36. Sie soll Sex im Internet angeboten, er soll ihr dabei geholfen haben. Außerehelicher Sex ist jedoch für Polizisten nicht verboten, auch nicht mit Rockern. Das Ehepaar arbeitet wieder, wenn auch auf einem neuen Revier.

Erschienen in der FNP am 20.09.2011