Der alte Mann und die Abzocker vom Notdienst

Ein älterer Herr aus Rheinhessen ist Opfer von angeblichen Notdienst-Handwerkern geworden. Weil das, was ihm widerfahren ist, jederzeit jedem von uns passieren könnte, hat er sich gemeldet und gebeten, dass wir seine Geschichte veröffentlichen. Das tun wir gerne – zumal wir dem Hintermann der üblen Abzocke auf die Spur gekommen sind: Jetzt endlich wird gegen ihn vorgegangen!

Dieter E. ist in seinem Berufsleben Architekt und Diplom-Bauingenieur gewesen, er ist jetzt 79 Jahre alt und lebt mit seiner Frau im rheinhessischen Monsheim. In der 2500-Seelen-Gemeinde rechnet kein Mensch damit, von einem Handwerker über den Tisch gezogen zu werden. Und wenn man dann auch noch „vom Fach“ ist, wenn man in seinem Leben so viel Erfahrung, Wissen und Kenntnisse angesammelt hat wie Dieter E., dann müsste ein dreistes Betrugsmanöver eigentlich ausgehen wie das Hornberger Schießen.

Müsste. Eigentlich. Doch es gehört zum Wesen jeglicher Gaunerei, dass die Unbedarftheit und Gutgläubigkeit von Menschen kaltherzig ausgenutzt wird. Besonders perfide agieren Täter, die sich mit dem Mantel der Hilfsbereitschaft tarnen. Gier ist ihre Triebfeder, Gerissenheit das Tatwerkzeug – so plündern sie in Not geratene Menschen, immer wieder, wie auch in unserem Fall:

„In einer von uns vermieteten Wohnung – die Bewohner waren gerade nicht da – hatte es abends einen Rohrbruch gegeben“, erzählt Dieter E. Eine Nachbarin habe sofort den Haupthahn zugedreht und ihn informiert. „Ich bat sie, einen Notdienst zu rufen, damit das Rohr zumindest notdürftig geflickt und das Wasser wieder angestellt werden könne.“

Bild zum Vergrößern anklicken: Diese Internetseite verspricht einen  Klempnerservice aus Monsheim. Dahinter steckt ein Callcenter in Regensburg!

Die Nachbarin googlete im Internet mit nahe liegenden Begriffen: Klempner, Notdienst, Monsheim… Sie glaubte erwarten zu können, ihr würden Klempner-Notdienste aus der Umgebung angezeigt.

Aber Sie ahnen ja gar nicht, wie viele Notdienste im Internet vorgeben, in Monsheim zu sitzen! Das Phänomen finden Sie übrigens überall, testen Sie es ruhig mal: Sie werden überrascht sein, wie viele Notdienste auch in Ihrem Wohnort ansässig zu sein vorgeben!

Die Nachbarin öffnete eine der Notdienst-Seiten und rief die groß angezeigte Telefonnummer an. Natürlich könne man ihr helfen, sagte eine nette Dame am anderen Ende der Leitung, es werde drei bis vier Stunden dauern, mehr könne sie am Telefon allerdings nicht sagen: Wie lange die Reparatur dauern und was sie kosten würde, das könnten nur die Handwerker beurteilen, die gleich kommen würden, ganz bestimmt….

Handwerker wirkten plötzlich bedrohlich

Sie kamen gegen 22 Uhr: Zwei Männer in einem weißen BMW mit Ludwigshafener Kennzeichen (LU-KJ 9xx – die Zahlen sind bekannt, die Polizei weiß inzwischen Bescheid ;-).

Die Männer hatten das Rohr binnen Minuten abgedichtet, ihr Einsatz dauerte keine 20 Minuten. Das war’s schon.

Und dann präsentierten sie ihre Rechnung:

Einsatzpauschale: 249,90 Euro.

An- und Abfahrt: 49 Euro.

Arbeitszeit, zwei Einheiten a 15 Minuten zu je 49,90 Euro: 99,80 Euro.

Plus zwei Wasserverschlüsse für zusammen 17,98.

Ergibt 416,68 Euro.

19 Prozent Mehrwertsteuer kommen noch oben drauf:

Macht zusammen 495,84 Euro.

Die „Rechnung“, die die angeblichen Handwerker zurückließen.

Es war fast Mitternacht, der 79-Jährige Dieter E. war längst müde – und jetzt auch geschockt: „Ich wollte es nicht glauben! 500 Euro für 20 Minuten Arbeit! Ich hatte gar nicht so viel Geld dabei! 300 Euro hatte ich eingesteckt. Ich gab den Männern das Geld und wollte den Rest überweisen. Aber sie verlangten die ganze Summe, sofort, in bar.“

Dieter E. sagt, normalerweise hätte er in so einer Situation die Polizei gerufen. Aber es sei schon so spät gewesen, die beiden Männer hätten einen bedrohlichen Eindruck gemacht, und weil seine Frau dabei gewesen sei, habe er keinen Ärger provozieren wollen. Er sei mit den Männern zum nächsten Geldautomaten gefahren und habe ihnen das Geld gegeben.

Eine Rechnung hat er, wie gewünscht, ausgehändigt bekommen. Eine Rechnung? Es ist eher ein Schmierzettel: „MAB 24 STD Notdienst“ steht obendrüber, und als Firmensitz ist Vorstadt 13 in der hessischen Stadt Hanau angegeben – mehr als 110 Kilometer von Monsheim entfernt.

In ganz Hanau gibt’s keinen Betrieb mit dem angegebenen Namen. Die dortige Kreishandwerkerschaft teilte inzwischen mit: „Weder unter dem Firmennamen noch unter der genannten Anschrift konnte eine Eintragung in der Handwerksrolle festgestellt werden.“ Man habe deshalb bei der zuständigen Kreisverwaltung in Gelnhausen Strafanzeige wegen Schwarzarbeit erstattet.

Womit sich natürlich jetzt diese Frage stellt: Zwei angebliche Handwerker, die vielleicht gar keine sind, und die vorgeblich für eine hessische Firma arbeiten, die es definitiv nicht gibt – woher wussten die eigentlich von einem Wasserschaden zu nächtlicher Stunde im rheinhessischen Monsheim?

Der Drahtzieher sitzt in Regensburg

Damit nähern wir uns dem wahren Übeltäter, dem Drahtzieher hinter dem schnellen Geschäft mit der Not anderer Leute: Als die Nachbarin im Internet einen Notdienst suchte, fand sie eine Webseite, die einen Notdienst in Monsheim vorgaukelte und schnelle, unkomplizierte Hilfe versprach: Rufen Sie einfach an!

Die Wahrheit aber ist: Sie hatte eine Vermittlungsagentur angerufen, die ihren Sitz in Regensburg hat. Das Büro dort ist von Monsheim rund 360 Kilometer entfernt und selbst mit einem schnellen Auto bestenfalls in vier Stunden zu erreichen.

Unsere Recherchen ergaben: Die bayerische Bischofsstadt hat sich in den letzten Jahren zu einem Zentrum bundesweiter Notdienst-Abzocke entwickelt. Der Drahtzieher im Hintergrund heißt Thomas Mannstaedt. Er betreibt gleich mehrere Firmen, sie heißen „M&S Auftragsvermittlung GmbH“, „DFH Sicherheitstechnik GmbH“, „DHE Technik GmbH“, „Der Sicherheitsprofi“ – um nur einige zu nennen.

Diese Mannstaedt-Firma nennt sich DHE, was für „Der Handwerker Engel“ stehen soll. 

Mannstaedt scheint beim Entwerfen neuer Firmennamen von einem schrägen Humor geleitet zu werden: Abkürzungen wie „DFH“ und „DHE“ stehen für „Der freundliche Handwerker“ bzw. „Der Handwerker Engel“. Notdienst-Opfer werden also mit seiner Hilfe nicht nur ausgenommen. Sie sollen sich offensichtlich auch noch verhöhnt vorkommen…

Fast jede der Mannstaedt-Firmen betreibt zahlreiche Webseiten im Internet, mit denen Dienstleistungen für alle möglichen Notfälle angeboten werden. Die Seiten heißen beispielsweise sanitaernotdienst-24.de, elektriker-24std.de, der-aufsperrdienst.de, kammerjaeger-1a.de, schimmelentfernen24.de usw. usf. Sie sind alle ähnlich gestaltet: Stets wird im oberen Bereich der Webseite eine große Telefonnummer („Kostenlose Servicenummer“) gezeigt, umgeben von Schlagworten: Schnell. Seriös. Preiswert.

Dutzende Webseiten versprechen schnelle Hilfe

Auch diese Notdienst-Seite von Thomas Mannstaedt erweckt den Eindruck, sie stamme von einer Handwerksfirma aus der Nähe.

Wir haben, beim schnellen Googlen, mehr als zwanzig solcher Notdienst-Webseiten gefunden, die allesamt von Thomas Mannstaedt über seine diversen Firmen betrieben werden. Ganz egal, ob es sich um Türöffnung, Rohrbruch, Schimmelbeseitigung oder Kammerjäger handelt – die Masche funktioniert in allen Fällen gleich:

Die Webseiten sind oft so programmiert, dass der Eindruck erweckt wird, der Notdienst befinde sich ganz in der Nähe des Anrufers.

Unter einer groß herausgestellten Telefonnummer – in der Regel ist nur eine Handynummer angegeben – meldet sich aber kein Handwerksbetrieb. Sondern lediglich ein Callcenter.

Das Geschäft von Thomas Mannstaedt ist also mitnichten die schnelle Hilfe. Es ist die Vermittlung von Dienstleistungen. Sein Callcenter hat Adressen von Handwerkern (und solchen, die sich dafür ausgeben) gespeichert. An die werden Notdienst-Aufträge weitergereicht – gegen eine Provision, die teilweise mehr als 50 Prozent des Entgelts ausmachen soll.

Einschlägige Foren im Internet sind voll von Beschwerden. In erster Linie empören sich die Leute natürlich über die viel zu hohen Kosten: „Wucher!“ heißt es immer wieder. Auch wird beklagt, dass die angeblichen Handwerker gar nicht existierten, falsche Adressen angegeben hätten und falsche Telefonnummern – wie in unserem Monsheimer Fall.

Bei Beschwerden gibt’s keine Hilfe

Ein Schlüsselnotdienst in Monsheim? Nein, ein Blick ins Impressum verrät: Hinter dieser Webseite steckt Thomas Mannstaedt aus Regensburg.

Wir haben Thomas Mannstaedt etliche Fragen zugeschickt. In zwei Mails antwortete er, allerdings überging er die meisten Fragen. Vielmehr versucht er, sich und seine Unternehmen in ein positives Licht zu rücken. Und ganz unverhohlen droht er dem Fragesteller.

Er könne nicht „für über 500 Firmen haften, für die wir als Callcenter und Auftragsannahme arbeiten“, schreibt er. Die meisten der Firmen „sind noch nie auffällig geworden. Leider haben wir es versäumt positive Publicity zu betreiben, so dass nur die Fälle im Internet erscheinen, die unzufrieden sind“.

Es sei in der Tat „zu Vorfällen gekommen, die wir gerne vermieden hätten“. Und leider werde es immer wieder Vorfälle geben, „auf die wir erst reagieren können, wenn sie passiert sind“.

Interessante Auskünfte. Mit 500 Firmen arbeitet Mannstaedt demnach zusammen: Diese Zahl ist neu, und sie ist auch beachtlich – wenn sie denn wahr ist.

Mit seinem Reagieren auf Beschwerden aber ist das so eine Sache: Glaubt man den vielen Klagen in den Internetforen, dann werden Opfer von Notdienst-Handwerkern im Mannstaedt-Callcenter mit lapidaren Ausflüchten abgewimmelt: Man sei nur Vermittler; bei Problemen mit den Handwerkern müsse man sich direkt an diese wenden – oder ans Gericht.

Genauso lautet eine seiner Antworten auf unsere Fragen zum konkreten Monsheimer Fall. Mannstaedt schreibt: „Sofern eine angeblich nicht existierende Firma einen Auftrag ausgeführt hat, müssen Sie Anzeige erstatten, weil diese Handwerker anscheinend Steuerhinterziehung betreiben.“

Das soll wohl ein Scherz sein, oder? Wie sollen wir einen Handwerker anzeigen, den er uns geschickt hat – und der uns falsche Angaben zu seiner Identität gemacht hat, von dem wir also weder Namen noch Adresse noch Telefonnummer haben?

Thomas Mannstaedt, der den falschen Handwerker eingesetzt hat, wähnt sich offenbar befreit von jeder Haftung. Dass Menschen mit seiner Hilfe ganz böse über den Tisch gezogen wurden, scheint ihm egal zu sein.

Der Callcenter-Betreiber – ein Wohltäter?

In seinen Antwort-Mails widmet er sich sodann, das lässt tief blicken, ungefragt und auch ungewöhnlich ausführlich der Selbstbeweihräucherung. „Wir sind ein Betrieb, der den Menschen hilft, wenn sie in Not sind“, schreibt er. Seine Firma spende für wohltätige Organisationen und versuche, die Abläufe und Dienstleistungen in Deutschland zu verbessern. Mannstaedt scheint es wirklich ernst zu meinen: „Wir helfen den Menschen in Deutschland, geben vielen Menschen Arbeit und Ausbildung und bringen die Firmen und die Menschen dort zusammen, wo es wichtig ist und gute Dienstleistungen oft Mangelware sind.“

Thomas Mannstaedt – ein Wohltäter? Dem man mit Kritik an seinem Geschäftsmodell großes Unrecht antut? So sieht er es offenbar: Es seien Berichte erschienen, schreibt er, „die den Ruf unserer Firma beschmutzen“. Doch das werde er sich nicht länger bieten lassen: Er gehe jetzt „gegen diese Art von Rufmord“ vor, schon in Kürze würden „einige Falschdarstellungen über unsere Firma im Internet berichtigt bzw. gelöscht werden müssen“.

Und dann hat er noch für den kritischen Fragesteller einen Extra-Hinweis parat. Es klingt wie eine Drohung:

„Ich werde überprüfen lassen ob Sie tatsächlich eine unwahre Berichterstattung über uns getätigt haben. Wenn ja, dann lass ich Sie verklagen.“ Und einmal in Rage, schießt er, nach mehr als 600 Worten in seinen zwei Mails, diesen abschließenden Satz ab:

„Solchen Menschen wie Ihnen werde ich nur noch über unseren Firmenanwalt Auskunft geben.“

Wettbewerbszentrale bereitet Klagen vor

Mannstaedt und die Justiz, das könnte fürwahr noch ein spannendes Kapitel geben. Die Handwerkskammer Regensburg wirft dem Unternehmer ganz offen „dubioses Geschäftsgebaren vor“: Sie will Beschwerden aus ganz Deutschland bekommen haben.

Deutlicher formuliert Gerhard Gröschl: Der Obermeister der Elektro-Innung Regensburg warnt ausdrücklich vor den Unternehmen des Thomas Mannstaedt. Er spricht von „Abzocke“ und auch von „menschlichen Tragödien“, wenn zum Beispiel Rentnern Hunderte Euro für simple Dienstleistungen abverlangt würden. O-Ton Gröschl: „Es ist eine Schande, dass dieses Unternehmen so lange unbehelligt seine nach meiner Meinung unlauteren Praktiken fortsetzen kann.“

Aber vielleicht kommt jetzt ja Schwung in die Sache:

„Wir haben eine förmliche Abmahnung ausgesprochen und das Unternehmen zur Aufgabe einer Unterlassungserklärung aufgefordert“, sagt Rechtsanwalt Dr. Andreas Ottofülling von der Zentrale zur Bekämpfung des Unlauteren Wettbewerbs (München). Mannstaedt habe nicht reagiert, deshalb bereite man jetzt eine Klage vor – und zwar auch gegen Thomas Mannstaedt persönlich: „Wir nehmen ihn persönlich auf Unterlassung in Anspruch, damit er nicht auf seine verschiedenen oder auf neue Firmen ausweichen kann“, heißt es in München.

Für den fast 80-jährigen Dieter E. kommt, wie für all die anderen Notdienst-Opfer, der juristische Vorstoß zu spät. Über die nächtliche Abzocke habe er sich sehr geärgert, sagt der alte Herr in Monsheim, und natürlich täten die 500 Euro weh. Wichtiger aber sei ihm jetzt, dass das Treiben der dubiosen Firmen endlich gestoppt werde: Möglichst viele Leute müssten erfahren, wie solche Internet-Notdienste wirklich arbeiten.

Und sollten Betroffene in eine ähnliche Not-Situation geraten wie er: Auf keinen Fall, rät Dieter E., sollte man überzogene Forderungen begleichen! „Die sind doch einfach nur unverschämt!

 

Anwalt: Notfalls die Polizei rufen!
Der Berliner Jurist Thomas Hollweck beschäftigt sich mit Verbraucherrecht. Er hat auf seiner Internetseite ausführlich dargestellt, worauf man bei einem Notdienst achten sollte.

Grundsätzlich gilt demnach: Der Handwerker sollte aus der näheren Umgebung kommen. Er sollte eine Webseite mit seinem Namen haben und eine Telefonnummer mit einer entsprechenden Vorwahl angegeben haben. Vorsicht: Telefonnummern können weitergeleitet werden. Deshalb unbedingt ins Impressum schauen, das jede Webseite haben muss: Da muss die richtige Adresse veröffentlicht werden.

Ganz wichtiger Punkt: die Bezahlung. Wurde ein Festpreis ausgemacht oder fordert der Handwerker einen angemessenen Preis, könne man die Rechnung beruhigt in bar bezahlen, so Hollweck. „Lassen Sie sich unbedingt eine Quittung über den bezahlten Betrag geben.“ Der Anwalt schreibt weiter: „Sie müssen aber keine Barzahlung leisten, wenn Sie das nicht möchten. Kein Handwerker darf Sie dazu nötigen, sofort nach erledigter Arbeit die Bezahlung in bar zu verlangen.“ Das sei unüblich und unseriös und müsse vom Kunden nicht akzeptiert werden: „Sie haben ein Recht auf Rechnungsausstellung, damit Sie diese in Ruhe überprüfen können.“

Besteht der Handwerker auf Barzahlung seiner überhöhten Forderung, sollte man die Polizei hinzuziehen. „Da es sich in einem solchen Fall möglicherweise um versuchten Betrug handelt, ist ein Hinzuziehen der Polizei rechtmäßig. Zudem empfehle ich auch in solchen Fällen, überhaupt keine Anzahlung in bar zu leisten.“

Der ganze Artikel von Rechtsanwalt Thomas Hollweck ist auf seiner Webseite nachzulesen.

Ab in den Keller – zum Wohlfühlen!

Der Mann lebt mit seiner Familie im rheinhessischen Geisenheim, betreibt ein kleines Bauunternehmen im hessischen Wallau – und verzaubert derzeit die Stadt Mainz mit einer Lokalität der besonderen Art: In einem uralten Gewölbekeller, den er per Zufall im Zentrum der Landeshauptstadt entdeckt hatte, baute Thorsten Kiegele Weintresore ein. Die Location ist auf dem besten Weg, eine echte Kult-Kulturstätte zu werden – mit hohem Wohlfühl-Faktor. 

Zum Vergrößern das Bild anklicken: Blick in das Vinarmarium – gedämpftes Licht und angenehme Temperaturen sorgen für Wohlfühl-Atmosphäre.

Ideale Temperaturen unter der Erde

29 Stufen führen hinab in die Tiefe. Wir befinden uns im Glut-Sommer 2018, draußen herrschen schwül-heiße 32 Grad, aber hier drinnen frischt, mit jeder Stufe, die Luft spürbar auf. Unten angekommen, ist die Last der schier unerträglichen Hitze da oben vergessen: Das Thermometer zeigt nur noch angenehme 18 Grad. „Ideal für die Weinlagerung“, schmunzelt Thorsten Kiegele (48), „und das Beste daran: Die Temperatur bleibt das ganze Jahr über weitgehend konstant, im Sommer wie im Winter. Wir brauchen weder Heiz- noch Kühlgeräte.“

Willkommen im Mainzer Vinarmarium, einem Weinkeller sprichwörtlich für jedermann (und natürlich jede Frau): Mehr als 400 Weintresore gibt es hier, jeder mit einer Tür aus schwarzen Stahlstreben abschließbar. Man kann so ein Schließfach mieten und darin seine Weinflaschen gut gesichert und perfekt temperiert lagern. Und dann kann man sich hier, wann immer es einem danach dürstet, ein Gläschen gönnen oder auch ein Fläschchen – gerne im Kreise von Freunden.

Denn so funktioniert das Vinarmarium: Jeder Mieter bekommt einen Schlüssel für seinen Weintresor und dazu eine Chipkarte, die den Zugang zum Keller ermöglicht, sieben Tage die Woche, rund um die Uhr. Mitten im Gewölbekeller wartet ein mächtiger Tresentisch, Gläser, Wasser  und Nüsse  stehen kostenlos bereit: So lässt sich guter Wein perfekt verkosten – zum Wohle!

Unverschämt viel Glück

Thorsten und Claudia Kiegele im Herzen ihres Vinarmariums: An diesem Tresen kann rund um die Uhr Wein verkostet werden.

Wie kommt, diese Frage stellt sich natürlich, ein Unternehmer mit Baufirma („Pro Familien Haus GmbH“) im Wallauer Gewerbegebiet dazu, in der Hauptstadt der Lebensfreude eine derart ungewöhnliche Stätte des gehobenen Genusses einzurichten?

Kiegele: „Weintresore sind voll im Trend. Ich wollte aber nicht bei einem dieser stylischen Franchise-Systeme mitmachen. Ich wollte meine eigenen Ideen umsetzen. Was mir nur fehlte, war der passende Keller.“

Die einen nennen’s Zufall, andere sagen, der Mann habe einfach unverschämt viel Glück gehabt: Eines Tages bekam Kiegele von einem Bekannten eine Immobilie in Mainz angeboten. Ein Ladenlokal in bester Lage. Leider ziemlich heruntergekommen. Und schon in der Zwangsversteigerung.

„Als ich den Laden besichtigte, wollte ich gleich absagen“, sagt Kiegele. Er sei noch in den Keller gegangen: auch dort alles voll Schutt und Abfall, die Wände schlecht verputzt und quietschig-rosafarben gestrichen. „Aber dann sah ich die Ausmaße des Gewölbes. Und wusste sofort: Das ist es! Das ist genau das, was ich gesucht habe.“

Ungefähr 30 Meter lang. Rund acht Meter breit. In der Kuppel mehr als fünf Meter hoch. Ein wirklich mächtiges, prächtiges Gewölbe! Inzwischen weiß Kiegele, dass er ein historisches Schätzchen sein eigen nennen darf: Der Keller dürfte Jahrhunderte alt sein.

Das Vinarmarium in Mainz

Hier lagerte schon vor 200 Jahren Wein

Als gesichert gilt: Oben drüber stand, nach 1800, das Wohn- und Geschäftshaus des Weingroßhändlers Johann Heinrich Baron von Mappes (geb. 1757, gest.1845). Der war unter anderem Vize-Präsident der Mainzer Handelskammer, lagerte unter dem Haus seine gewaltigen Wein-Vorräte.

Lokale Geschichtsforscher, von Kiegele befragt, wollen nicht ausschließen, dass der Keller noch viel älter ist: Ende des 16. Jahrhunderts erbaute hier Kurfürst-Erzbischof Anselm Franz von Ingelheim den Ingelheimer Hof. Legte er den Keller an, den später Mappes nutzte? Man weiß es nicht. Möglich sogar, dass das Gestein des Gewölbes noch viel, viel älter ist: Es könnte aus der Zeit um 1480 stammen, als hier Benediktiner einen Stadthof erbauten.

Das, was oberirdisch in den Jahrhunderten zu sehen war, ist längst verschwunden: Nach den Angriffen auf Mainz im Februar 1945 blieben nur Grundmauern übrig. 1961 wurde das Grundstück eingeebnet und als Parkplatz genutzt.

Nur der Keller darunter, der blieb stets unversehrt.

40 Tonnen Schutt und Müll

Emmeransstrasse 34 in Mainz: Hier befindet sich der Zugang zum Vinarmarium – ziemlich unscheinbar.

Vor gerade mal 20 Jahren, 1999, wurde dann ein Mehrfamilienhaus erbaut. Emmeransstr. 34 – ein nicht gerade augenfälliger Zweckbau: oben Wohnungen, im Erdgeschoß ein Ladenlokal, das nie besonders gut lief, weshalb es in die Zwangsversteigerung kam, samt zugehörigem Gewölbekeller…

Kiegele hat den Unrat wegschaffen und den Putz von den gewaltigen Gewölbewänden abhauen lassen. „40 Tonnen haben wir rausgeholt“, sagt er. Und dann wurde reingeschleppt, was man brauchte: 12.000 hellbraune Backsteine, aus denen die Weintresore gebaut wurden. Die Wege in dem mehr als 300 Quadratmeter großen Keller wurden ausgelegt mit grau-schwarzen Bodenplatten. LED-Leuchten, die keine Wärme entwickeln und den Keller nicht unnötig aufheizen, verbreiten gedämpftes, angenehmes Licht: Wohlfühl-Atmosphäre pur im unterirdischen Tempel Bacchus‘. 

Längst ist das Vinarmarium nicht mehr nur wahr gewordener Traum eines geschäftstüchtigen Bauunternehmers, nicht nur Oase für Liebhaber köstlichen Rebensaftes. Der Gewölbekeller ist, dank tatkräftiger Hilfe von Kiegeles Ehefrau Claudia und den drei Söhnen, zu einem beliebten Kultur-Treffpunkt geworden. Im Erdgeschoß wurden Lounge und Konferenzraum eingerichtet – sie lassen sich umgruppieren zur gemütlichen Lokalität. Regelmäßig finden Autorenlesungen statt, Musikabende, Talkrunden mit lokalen Prominenten… Und immer wieder gibt es, natürlich, Weinproben von Winzern der Region.

„Ich wollte einen Ort schaffen, an dem sich Menschen treffen und austauschen– und vor allem wohlfühlen können“, sagt Kiegele. Keine Frage: Das ist ihm vollauf gelungen.

INFO
Vinarmarium ist ein Kunstwort, es enthält die lateinischen Vokabeln „vinum“ (der Wein) und „armarium“ (der Schrank, Bibliotheksraum). Mehr als 400 Tresore wurden in dem riesigen Gewölbekeller untergebracht: Die kleinen fassen 88 Flaschen, kosten 79 Euro Monatsmiete; dazu gibt’s einige begehbare Weinschränke für mehr als 2000 Flaschen, der Preis ist Diskretionssache. Mehr über das Vinarmarium im Internet unter www.vinarmarium.de; Infos über Veranstaltungen unter www.facebook.com/vinarmarium.

Guntersblum: Kindergärtnerin klagt gegen Ortsbürgermeisterin

Was ist nur in Guntersblum los? Unlängst deckten wir Probleme bei einem geplanten Seniorenheim auf: Die Ortsbürgermeisterin hat sich auf einen undurchsichtig agierenden Investor eingelassen, zugleich droht der Gemeinde eine 100.000-Euro-Klage – das kann richtig teuer werden! Jetzt erfuhren wir: Claudia Bläsius-Wirth hat sich noch weiteren juristischen Ärger eingehandelt! Sie feuerte eine Kindergarten-Helferin – ohne zwingenden Grund, mit fehlerbehaftetem Schreiben, also ziemlich stümperhaft. Der Fall liegt inzwischen vor Gericht, wo die Rathaus-Chefin einen wenig überzeugenden Eindruck hinterließ: Der Gemeinde droht eine unangenehme – und auch hier wohl wieder: teure – Schlappe.

Über 50 Arbeitsverträge von der Gemeinde

Silke S. gilt als beliebt bei Guntersblumer Kindern und Eltern. Jahrelang setzte die Gemeinde die gelernte Bäckerei-Fachverkäuferin als Helferin in der Kindertagesstätte „Spatzennest“ ein, immer wieder nur befristet: Mehr als 50 Arbeitsverträge („Kettenverträge“) wurden der 47-Jährigen in nur wenigen Jahren gegeben. „Die ständige Unsicherheit macht einen auf Dauer fertig“, vertraute sie mal einer Freundin an. „Du weißt nie, was morgen passiert, ob sie dich weiter beschäftigen – oder aussortieren.“

Anfang letzten Jahres war Silke S. sogar wochenlang ganz ohne Vertrag im Einsatz. Der Grund: Schlamperei im Rathaus – man hatte sie schlichtweg vergessen. Da ging sie erst zu einer Rechtsanwältin und dann zur Ortsbürgermeisterin und verlangte, was ihr von Rechts wegen zusteht: die Festeinstellung.

Claudia Bläsius-Wirth kannte die Gesetzeslage. Sie gab Silke S. einen Vertrag: als Teilzeitbeschäftigte, mit 30 Stunden pro Woche, bezahlt nach dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes. Und vor allem: unbefristet.

Und nun: Alles gut?

Von wegen!

Der Kindergarten „Spatzennest“ in Guntersblum.

Als Springerin eingesetzt: eine Strafaktion?

Eine „kleine“ Kindergartenhelferin hatte es gewagt, der „großen“ Ortsbürgermeisterin im 3900-Seelen-Dörfchen Guntersblum einen unbefristeten Vertrag abzutrotzen! Das wollte die Rathaus-Chefin, der ihre Kritiker eine „Selbstherrlichkeit im Amte“ vorhalten, offenbar nicht auf sich sitzen lassen: Das vermeintlich unbotmäßige Verhalten der Mitarbeiterin sollte, dieser Verdacht steht heute im Raum, mit aller Härte abgestraft werden.

Zunächst wurde Silke S., kaum hatte sie den unbefristeten Arbeitsvertrag in der Tasche, als „Springerin“ eingesetzt. Heute hier, morgen da – ständig neue Kindergärten, neue Kinder, neue Kollegen. „Wenn man gerne mit Kindern arbeitet, ist so ein Job entwürdigend“, sagt eine Kita-Leiterin (aus Angst vor Rathaus-Repressalien bat sie darum, ihren Namen nicht zu nennen). „Und es ist auch zermürbend: Als Springerin kriegst du keinen richtigen Kontakt zu Kindern und auch nicht zu Eltern, du kannst an keinem Projekt mehr teilnehmen, bist ständig unterwegs…“ Frau Bläsius-Wirth habe das so verlangt, sagt die Kita-Chefin auch: Silke S. habe sich die Festanstellung erschlichen, habe die Ortsbürgermeisterin bei einem Leitungstreffen gesagt, nun müsse sie die Konsequenzen tragen.

Damit nicht genug: Kurz nach Vertragsunterzeichnung zog Claudia Bläsius-Wirth im Rathaus eine Akte aus dem Schrank. Es handelte sich um die so genannte „Fachkräftevereinbarung für Kindertagesstätten“. Die existiert bereits seit 2013, gilt für ganz Rheinland-Pfalz und sieht vor, dass in Kindergärten möglichst nur noch ausgebildete Fachkräfte eingesetzt werden sollen; Ausnahmen sind übrigens, das ist wichtig, ausdrücklich erlaubt!

Eine selbst geschriebene „Maxime“ als Job-Killer

Vier Jahre lang war dieses Schriftstück in Guntersblum nicht beachtet worden – jetzt sollte es plötzlich richtungsweisend sein: Auf Grundlage der sechsseitigen Vereinbarung notierte die Rathaus-Chefin auf einer Din-A-4-Seite ein paar Eckpfeiler, die fortan für die Kita-Arbeit in ihrer Gemeinde gelten sollten. Sie schrieb „Maxime“ obendrüber und unten drunter vier Namen: Sie selbst unterschrieb, außerdem ihre drei Beigeordneten.

Die „Maxime“ des Rathauses, unterschrieben von der Ortsbürgermeisterin und ihren Beigeordneten.

Alle Erzieherinnen, so war da zu lesen, sollten jedes Jahr eine Hospitanz in einem anderen Kindergarten machen. Überstunden seien „in der Regel“ auszuzahlen. Und Erzieherinnen sollten nicht mehr in einem Kindergarten eingesetzt werden, in dem ihr eigens Kind untergebracht ist.

Der zentrale Satz der „Maxime“ steht gleich obenan, er lautet: „Die Kitas arbeiten ausschließlich mit qualifiziertem Personal.“

Mit diesem einen Satz, so muss Claudia Bläsius-Wirth geglaubt haben, habe sie den entscheidenden Hebel in der Hand. Die „Maxime“ als Helferinnen-Killer: Mit diesem Satz könne sie sich der Mitarbeiterin entledigen, die ihr, der Ortsbürgermeisterin, eine Festeinstellung abverlangt habe.

Peinliche Fehler in der Kündigung

Am 17. Mai dieses Jahres war der Tag gekommen: Die Rathaus-Chefin übergab das Kündigungsschreiben an Silke S. – fristgerecht, wie sie glaubte, zum 30. Juni. Dummerweise hieß es in dem Schreiben, der Personalrat habe zugestimmt. Das war, ganz schön peinlich, natürlich falsch: Der Personalrat hatte die Kündigung lediglich zur Kenntnis genommen. Die Ortsbürgermeisterin schrieb, als der Fehler bemerkt wurde, flugs eine neue Kündigung, fuhr abends persönlich am Haus von Silke S. vorbei und warf das Schreiben in deren Briefkasten.

Es ist vermutlich noch ein zweiter Fehler passiert: Frau S. arbeite seit Juli 2013 für die Gemeinde, also noch keine fünf Jahre, weshalb die Kündigungsfrist nur sechs Wochen betrage – so argumentiert die Rathaus-Chefin heute. Doch ist wirklich wahr, was sie da behauptet?

Auf allen Personalpapieren von Silke S. – die meisten liegen bei der VG-Verwaltung, wir haben diverse einsehen können – wird der 4. Februar 2013 als Eintrittsdatum genannt: Demnach arbeitet die Helferin schon mehr als fünf Jahre für die Gemeinde. Und damit beträgt ihre Kündigungsfrist laut Tarifvertrag drei Monate.

Das Rathaus in Guntersblum – es liegt direkt neben der katholischen Kirche.

Solche „Petitessen“, die Rückschlüsse auf die Qualität der Verwaltungsarbeit im Guntersblumer Rathaus erlauben, blieben außen vor, als der Fall jetzt vorm Arbeitsgericht in Mainz landete. Claudia Bläsius-Wirth musste erscheinen, ihr zur Seite standen eine Mitarbeiterin der Verbandsgemeinde sowie eine Rechtsanwältin vom Kommunalen Arbeitgeberverband.

War die Lokalzeitung, bekannt für obrigkeitszentrierte Berichterstattung, über diesen Termin nicht informiert worden? Oder war ihr das Thema zu heikel? Jedenfalls war kein AZ-Reporter im Gerichtssaal anwesend. Bisher ist noch keine Zeile darüber in der Zeitung zu lesen gewesen. Das Thema wurde unter Verschluss gehalten – bis heute. 

Anwältin: Kündigung war Maßregelung

Auf der Kläger-Seite saß Silke S. mit ihrer Mainzer Rechtsanwältin Verena Schnatterer. Die gilt als erfahrene Arbeitsrechtlerin, und sie redete Klartext: Im Februar 2017 habe Silke S. ihren unbefristeten Vertrag verlangt und bekommen. Unmittelbar danach, im März 2017, habe die Ortsbürgermeisterin mit der Erarbeitung ihrer „Maxime“ begonnen, und zwar auf Grundlage einer vier Jahre alten Fachkräftevereinbarung. Für die Juristin war es eindeutig: „Diese Kündigung war eine reine Maßregelung.“

Es gibt darüber hinaus eine zentrale Schwachstelle in der Argumentation der Ortsbürgermeisterin, die von der Richterin sofort erkannt und schonungslos aufgedeckt wurde: Es arbeitet mindestens eine weitere Nicht-Fachkraft in Guntersblumer Kindergärten. Warum wurde diese Helferin nicht ebenfalls entlassen, wenn man in der Gemeinde doch nur noch Fachkräfte zu den Kindern lassen will?

Claudia Bläsius-Wirth,  die selbst unter Parteifreunden als beratungsresistent gilt, sagte vor Gericht, man habe eine „Sozialauswahl“ getroffen. Die zweite Helferin sei alleinerziehend, deshalb wolle man sie weiterhin beschäftigen.

Die CDU-Ortsbürgermeisterin musste sich daraufhin mehrmals von der Richterin sagen lassen: Natürlich habe ein Arbeitgeber das Recht, die grundsätzliche Qualifikation seiner Mitarbeiter festzulegen. Aber das gelte dann für alle, könne nicht zu beliebigen Einzelfall-Entscheidungen führen. Die Richterin sprach von „Schlangenlinien“ der Gemeinde: „Das sehe ich sehr skeptisch.“

Personal-Kuddelmuddel in Kindergärten

Kleiner Einschub: Die zweite Kita-Helferin soll unmittelbar nach der Festanstellung von Silke S. erst zu einem Rechtsanwalt und dann ins Rathaus gegangen sein und von der Bürgermeisterin ebenfalls einen unbefristeten Vertrag gefordert haben. Diese Helferin hatte zuvor bereits mehr als 100 (in Worten: einhundert!) befristete Arbeitsverträge von der Gemeinde bekommen.

Claudia Bläsius-Wirth, so berichten Kita-Leiterinnen, habe der Festanstellung dieser Mitarbeiterin nach längerem Zögern zugestimmt – aber nur für zehn Wochenstunden. Davon kann eine alleinerziehende Mutter natürlich nicht leben. Kompromiss: Weitere 20 Stunden werde die Frau heute über den Vertretungspool der Verbandsgemeinde eingesetzt, heißt es. Und von dort werde sie seither, obwohl „nur“ Helferin, regelmäßig in Guntersblumer Kitas eingesetzt…

Claudia Schaad, die bei der Verwaltung der Verbandsgemeinde für Kita-Personalthemen zuständig zeichnet, will sich zu diesem personellen Kuddelmuddel nicht äußern. Wenn eine Ortsgemeinde eine „Maxime“ aufstelle, wonach in Kindergärten nur noch qualifiziertes Personal arbeiten dürfe, sei das Sache der Ortsgemeinde. 

Frage: Wie ist das in den anderen Orten der Verbandsgemeinde geregelt? Gibt’s da „Maximen“? Frau Schaad: „Da müssen Sie schon in den Orten nachfragen.“

Frau Schaad gibt sich sehr zugeknöpft, die Fragen scheinen ihr nicht zu behagen. Noch ein Versuch: Wie ist es zu bewerten, dass Helferinnen über den Vertretungspool in eine Gemeinde geschickt werden, die – wie Guntersblum – den Kindern keine Helferinnen mehr zumuten möchten? „Das ist Sache der Ortsgemeinde“, sagt Frau Schaad, „dazu müssen Sie die Ortsbürgermeisterin befragen“.

Liebe teure Leiharbeiter statt erfahrene Helferinnen?

Einschub 2: Es meldeten sich nach dem Gerichtstermin mehrere Guntersblumer Erzieherinnen beim Autor dieser Berichts: Claudia Bläsius-Wirth würde sich ständig in die Kindergartenarbeit einmischen, sagten sie, das sei längst unerträglich. Die „Maxime“ sei allein von der Ortsbürgermeisterin und den Beigeordneten unterzeichnet worden: „Wir Kindergarten-Mitarbeiter haben das Papier nur bekommen.“ Mitreden, soll das wohl heißen, sei nicht erwünscht gewesen.

Die Entlassung einer Helferin, sagen die Erzieherinnen unisono, sei auch  sonst in keiner Weise nachvollziehbar: Silke S., die doch an Fortbildungslehrgängen teilgenommen und sich in 160 Unterrichtsstunden zur Tagespflege für Kinder qualifiziert hat, habe stets gute Arbeit geleistet: „Das kann doch nicht plötzlich alles falsch gewesen sein!“

Auch herrsche längst bedrohlicher Personal-Engpass in den Kitas. Ohne die Helferinnen müsse man künftig noch häufiger Aushilfen aus dem Vertretungspool der Verbandsgemeinde oder über Zeitarbeitsfirmen anfordern: „Häufig werden uns dann Nicht-Fachkräfte geschickt“, sagt eine Erzieherin. Die seien nicht nur wesentlich teurer.  „Die haben oftmals den echten Nachteil, dass sie sich überhaupt nicht auskennen.“

Das Schweigen der Ortsbürgermeisterin ist beredt

Es soll noch einen weiteren Fall geben, in dem eine Kita-Mitarbeiterin  unlängst juristische Hilfe in Anspruch nehmen musste: Eine Leitungskraft sei von Claudia Bläsius-Wirth „strafversetzt“ worden, weil ihr Mann – so wird erzählt – einen Rathaus kritischen Post auf Facebook veröffentlicht habe. Monatelang sei daraufhin ein Kindergarten ganz ohne Führung gewesen.

Wir hätten Claudia Bläsius-Wirth zu alledem gerne befragt: Was ist los in Guntersblums Kindergärten? Und was ist das für eine Rathaus-Personalpolitik, die Mitarbeiterinnen dazu zwingt, sich Rat und Hilfe bei Juristen zu suchen?

Wir wollten auch fragen: Was denkt sich eine Ortsbürgermeisterin – eine christdemokratische zumal – dabei, wenn sie Mitarbeiterinnen über Jahre hinweg immer wieder nur befristete Kettenverträge gibt? Und warum sortiert sie langjährige Helferinnen, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen und offenbar stets gut mit den Kindern gearbeitet haben, nun kurzerhand auf derart ruppige Weise aus?

Anfangs zeigte sich Frau Bläsius-Wirth zu einem Gespräch bereit. Sie schlug einen Termin im Rathaus vor, sagte ihn fest zu – und dann doch kurzfristig wieder ab: Das Kellerwegfest stünde bevor, ließ sie über ihre Sekretärin mitteilen, sie müsse sich vorbereiten. Ein neuer Termin? Vorerst nicht in Sicht…

Eine schriftliche Bitte um Stellungnahme schlug ebenfalls fehl: Auf die eingesandten Fragen gab es keine Antworten, nicht mal eine Absage.

Das Feste feiern, so scheint’s, genießt einen hohen Stellenwert im Leben der CDU-Ortsbürgermeisterin. Da müssen Kita-Mitarbeiterinnen schon mal in Unsicherheit leben. Und Journalisten ohne Antworten bleiben.

So wird’s am Ende doch sehr beredt, das Schweigen der Claudia Bläsius-Wirth.

Demnächst aber wird sie reden müssen. Nachdem der erste Prozesstag, es war ein so genannter Gütetermin, keine Einigung gebracht hatte, wurde ein zweiter Termin anberaumt: Kindergärtnerin gegen Ortsbürgermeister – im November geht’s vorm Mainzer Arbeitsgericht weiter.

Guntersblum: Hochrisiko-Zockerei um Senioren-Anlage

In der kleinen Gemeinde Guntersblum wird seit etlichen Jahren eine ziemlich große Wohnanlage für ältere Menschen geplant. Ein erster Investor fühlt sich von der Ortsbürgermeisterin zu Unrecht ausgebootet: Er hat inzwischen bei Gericht eine 100.000-Euro-Klage eingereicht. Die Frau scheint das wenig zu beeindrucken: Sie will das Millionen-Projekt jetzt mit einem anderen Unternehmer durchziehen. Da allerdings tun sich bei genauerem Hinsehen einige Merkwürdigkeiten auf. Das könnte noch gefährlich werden – vor allem sehr teuer, nicht nur für Guntersblum!

Am heutigen Montag findet um 19 Uhr ein konspirativ anmutendes Treffen im Guntersblumer Rathaus statt. CDU-Ortsbürgermeisterin Claudia Bläsius-Wirth hat ausgesuchte Ratsmitglieder eingeladen: Ihnen soll der Unternehmer Andreas Piwowarski (62) umfassend Auskunft geben – zu seiner Person, zu seiner beruflichen Tätigkeit und zu zwei Firmen, mit denen er das Millionen-Projekt „Betreutes Wohnen“ in Guntersblum realisieren will.

Piwowarski erzählt darüber ganz unbedarft: „Frau Bläsisus-Wirth hat mir gesagt, sie habe sich eine Taktik für das Treffen ausgedacht“, sagt er. „Erst soll mein Finanzberater etwas sagen, dann mein Sohn Daniel, der bei mir als Immobilienmakler arbeitet.“ Er selbst, sagt Piwowarski, solle sich auf Wunsch der Ortsbürgermeisterin zurücknehmen: „Sie meinte, ich soll nicht so viel reden. Ich hätte für die Politiker inzwischen den Schwarzen Peter.“

Blick auf die rheinhessische Gemeinde Guntersblum.

Wir sind in Guntersblum, in diesem netten Wein-Dörfchen in Rheinhessen, wo man seit vielen Jahren große Pläne für ein Haus für Senioren hat – und wo die Ortsbürgermeisterin jetzt auf einen gefährlichen Abgrund zusteuert. Es wird Zeit, dass alle Fakten auf den Tisch kommen, jenseits von Parteien-Gezanke und -Gezerre: Sonst könnte am Ende großer Schaden entstehen, nicht nur für die kleine Kommune, sondern auch für all jene, die im Vertrauen auf das gemeindliche Mitwirken eine der Senioren-Wohnungen erwerben wollen.

Der Plan von CBW (so nennt sich die Ortsbürgermeisterin gerne) ist inzwischen bekannt: Andreas Piwowarski soll mit den Firmen AIVG mbH und LVVG mbH ein gemeindeeigenes Grundstück im Baugebiet „Algersweg West“ erwerben. Dann soll er dort 60 Wohnungen für Betreutes Wohnen errichten. Geschätzte Kosten: sechs bis acht Millionen Euro. Mindestens!

Weniger bekannt ist, wer dieser Andreas Piwowarski ist. Und was den Mann qualifiziert. Ist er wirklich der richtige Unternehmer für ein solches Millionen-Projekt? Und welche Erfahrungen hat er mit den speziellen Anforderungen an das Bauen und Betreiben von Senioren-Wohnungen?

Eine weitere Frage stellt sich nach einem Blick ins Handelsregister: Piwowarski gehören die Firmen gar nicht, mit denen er bauen will. Ja, er ist nicht einmal als Geschäftsführer eingetragen. Frage also: Wer steckt wirklich hinter den Firmen und dem angeblichen Millionen-Invest?

Wir haben dazu, Anfang letzter Woche war’s, der Ortsbürgermeisterin einige Fragen geschickt. Sie meldete sich sofort, wollte Antworten aber nur in einem Gespräch geben.

Als wir CBW daraufhin letzten Mittwoch im Rathaus treffen, gibt sie sich unbeeindruckt von Hinweisen auf Unklarheiten und Unstimmigkeiten in der Darstellung des Investors. Zu Fragen der Bonität von Herrn Piwowarski und seinen angeblichen Firmen sagt sie, man habe einen Steuerfachmann eingeschaltet: Der würde die Zahlen der Firmen prüfen..

Frage: Gibt’s denn schon erste Erkenntnisse?

CBW: Nein, die Prüfung laufe noch, das Ergebnis werde zu gegebener Zeit vorgelegt.

Das ist merkwürdig! Wir haben die offiziellen Bilanzen von AIVG und LVVG einem Steuerexperten vorgelegt. Der musste gar nicht lange prüfen – seine Feststellung:

„Diese ,Bilanzen’ (er setzte das Wort vielsagend in Anführungszeichen) kann man nicht wirklich ernst nehmen. Man kann nur hoffen, dass die Firmen bei ihren Bauvorhaben sorgfältiger vorgehen.“

Senioren-Wohnungen für teures Geld

Während wir uns mit solch unschönen Erkenntnissen auseinandersetzen, versucht Piwowarski offensichtlich, Fakten zu schaffen: Er bietet die Senioren-Wohnungen, die bisher nur auf dem Papier existieren, bereits zum Kauf an: im Internet, in Anzeigenblättchen, auf Plakaten, über eine Maklerin. Die 48-Quadratmeter-Butze soll 183.120 Euro, die 77-Quadratmeter-Wohnung 281.880 Euro kosten. Macht einen Quadratmeterpreis von 3.600 bis 3800 Euro, was deutlich über Guntersblumer Durchschnitt liegt.

Wer eine der Wohnungen reservieren möchte, muss 5000 Euro zahlen, sofort. Das Geld werde, heißt es, später auf den Kaufpreis angerechnet.

Obwohl ihm das Grundstück noch gar nicht gehört, bietet Investor Andreas Piwowarski die Senioren-Wohnungen zum Kauf an.

Erst auf Nachfrage räumt Piwowarski ein: Das Grundstück gehöre ihm noch gar nicht, der Kaufvertrag mit der Gemeinde sei noch nicht unterzeichnet. „Aber das ist kein Problem“, sagt er auch. Die Gemeinde werde ihm das Grundstück verkaufen, garantiert, „das läuft wie geschmiert“: Der Vertrag werde demnächst unterzeichnet.

Demnächst? Was heißt schon „demnächst“ in Guntersblum? Bis vor kurzem war ein Wiesbadener Bauunternehmer der favorisierte Investor: Der Mann hatte jahrelang mit der Gemeinde verhandelt, hatte den früheren SPD-Landrat als Berater ins Boot geholt, hatte die Planung fertig, Bauanträge bei den Behörden eingereicht…

„Demnächst“ hätten die Bauarbeiten losgehen sollen. Doch dann platzten, im letzten Augenblick, die Verhandlungen. Aus. Vorbei.

Der Architekt fühlt sich heute von der CDU-Ortsbürgermeisterin zu Unrecht ausgebootet. Er hat deshalb Klage beim Landgericht Mainz eingereicht: Er will seine Aufwendungen von der Gemeinde erstattet haben.

Er verlangt mehr als 100.000 Euro von Guntersblum.

Ortsbürgermeisterin gilt als beratungsresistent

Es ist eine unselige Polit-Trilogie: In drei Orten, die aneinanderreiht wie Perlen einer Kette an der Bundesstraße B 9 liegen, sorgen die Bürgermeister für unschöne Nachrichten.

Erst liegt da Nierstein: Hier regiert CDU-Mann Thomas Günther, der sich mit obskuren China-Firmen-Erzählungen zur Lachnummer gemacht hat, zumal dann auch noch aufflog, dass er selbst Kasse zu machen versucht hatte. Derzeit pestet er in rüpelhafter Weise gegen den SPD-Fraktionschef im Verbandsgemeinderat. Immer wieder unsäglich, dieser Günther, eigentlich unerträglich.

Direkt hinter Nierstein liegt Oppenheim. Die Kleinstadt wird in die Geschichtsbücher Rheinhessens eingehen als Beispiel dafür, wie sich ein skrupelloser Partei-Politiker ein „zwar kleines, aber gänzlich untertäniges und auch profitables Imperium“ (Schriftsteller Frieder Zimmermann) aufbauen konnte. Der Oppenheim-Skandal: Die Herrschaft des SPD-Bundestagsabgeordneten Marcus Held endete im März, und das war für viele Bürger auch wie eine Befreiung. Doch wird die Stadt noch lange an den Folgen des Treibens ihres Stadtbürgermeisters zu leiden haben, finanziell bestimmt, und wohl auch zwischenmenschlich.

Direkt nach Oppenheim kommt, fährt man auf der B 9 weiter, die Gemeinde Guntersblum. Die politischen Verhältnisse hier sind offen: SPD und CDU sind gleich stark, im Ortsparlament sind zudem die Freien Wähler (FWG) und die Unabhängige Liste (ULG) vertreten. Es gibt keine klare Mehrheit, was Entscheidungsfindungen nicht einfach macht, jedoch vernunftbezogenen Beschlüssen den Weg ebnen könnte.

Das Leininger Schloss
in Guntersblum beherbergt das Rathaus.

Bis Herbst 2015 war Reiner Schmitt (ULG) der ehrenamtliche Ortsbürgermeister. Nach seinem unerwarteten Tod, der Mann wurde nur 65 Jahre alt, übernahm Claudia Bläsius-Wirth das Amt, eine selbstbewusst auftretende Frau, 56 ist sie, Mutter von drei Töchtern. Beruflich macht sie ein wenig in Werbung, ein wenig in Wein – eine „Powerfrau“, schmeichelte die Lokalzeitung, ihrem Ego wird’s gefallen haben.

Ratsmitglieder sagen hingegen, herausragendste Eigenschaft von CBW sei ihre Beratungsresistenz. Sie stehe sich deshalb oftmals selbst im Weg. In ihrer Unfähigkeit zur kritischen Selbstreflexion sei auch der wahre Grund zu suchen, weshalb aus den einst gut gemeinten Plänen für ältere Menschen inzwischen ein Hochrisiko-Projekt für die ganze Gemeinde geworden sei.

Achtseitige Klageschrift liegt beim Landgericht

Fangen wir an mit der ersten unangenehmen Geschichte: die Hunderttausend-Euro-Klage des Architekten Rüdiger Conradi. Der Bauunternehmer aus Gau-Bischofsheim, der in Wiesbaden sein Büro betreibt, gilt als erfahrener Projektentwickler. Mit seiner Firma KTB plante er eine großzügige Seniorenanlage in Guntersblum.

Acht Din-A4-Seiten umfasst die Klageschrift seines Rechtsanwalts Dr. Jens Kolter (Wiesbaden), die beim Landgericht Mainz vorliegt. In ihr findet sich die Chronologie der geplatzten Guntersblum-Pläne:

2011 begannen erste Gespräche mit Ortsbürgermeister Schmitt: Conradi wollte ein Pflegeheim mit angrenzendem Haus für Betreutes Wohnen errichten – auf einem Grundstück, das ihm die Gemeinde verkaufen sollte.

2012 gab der Gemeinderat grünes Licht, mit Änderungen im Bebauungsplan „Algersweg West“ wurden die baurechtlichen Voraussetzungen geschaffen.

2013 gingen die Gespräche weiter. Gerulf Herzog, der frühere CDU-Landrat des Kreises Mainz-Bingen, war als Berater von Conradi/KTB stets anwesend.

2014 legte Conradi/KTB erste konkrete Pläne vor. Die Lokalzeitung jubilierte: „Läuft alles nach Plan und wird zeitnah entsprechendes Baurecht geschaffen, könnten die Arbeiten bereits im Frühjahr nächsten Jahres starten. Ein Jahr später sollen dann die ersten Bewohner einziehen.“

Im Mai 2015 wurde der Bauantrag bei der Kreisbehörde in Ingelheim eingereicht. In der Klageschrift heißt es, Ortsbürgermeister Schmitt habe auf schnellstmögliche Realisierung gedrängt, „da er bereits eine Liste mit ortsansässigen Anwärtern für Plätze im geplanten Pflegeheim vorliegen hatte“.

Im Juni 2015 beschloss der Gemeinderat, das Grundstück in „Algersweg West“ an Conradi/KTB zu verkaufen.

Dann verstarb, im September 2015, Reiner Schmitt.

Zur neuen ehrenamtlichen Ortsbürgermeisterin wurde Claudia Bläsius-Wirth gewählt. Das Jahr 2016 hat gerade begonnen.

Wenig später kam das Senioren-Projekt erst ins Stocken. Dann platzte es.

Jahrelange Planung – alles umsonst

Zwar wurde bei einem Oppenheimer Notar noch der Entwurf eines Kaufvertrages erstellt, wofür Conradi 1.760,01 in Rechnung gestellt wurden. Zur Vertragsunterzeichnung aber kam es nicht mehr.

Erstes Problem: Das im Bebauungsplan ausgewiesene Grundstück erwies sich angeblich als zu klein für ein Pflegeheim plus Haus für Betreutes Wohnen. Conradi sagt heute, es habe Einvernehmen geherrscht, dort nur ein Pflegeheim zu bauen. Mit Schmitt und später auch mit Bläsius-Wirth sei nach einem anderen Grundstück für Betreutes Wohnen gesucht worden, ohne Erfolg.

Bläsius-Wirth dagegen sagt heute, die Gemeinde habe im Baugebiet „Algersweg West“ unbedingt Betreutes Wohnen gewollt.

Zweiter Konfliktpunkt: Die Gemeinde hatte ein Unternehmen aus Kaiserslautern mit der Erschließung des Baugebietes beauftragt. Das sollte die Kosten für Straßen, Kanalisation usw. direkt bei den Grundstücksbesitzern einziehen.

Das Unternehmen verlangte von Conradi/KTB als eine Art Vorschuss 20 Prozent der Gesamtkosten – rund 66.0000 Euro. Nach Beginn der Arbeiten sollte der Architekt 14 Monate lang weitere 20.000 Euro überweisen, monatlich.

Conradi wies solche Forderungen, wir sind jetzt im Jahr 2017, als „unverschämt“ zurück. In einem Brandbrief an die Bürgermeisterin schrieb er: Er solle bezahlen, „ohne dass es eine Sicherstellung für uns gibt, dass die Erschließungsmaßnahme auch tatsächlich zu Ende geführt wird“. Im Vertrag seien keine Termine für Beginn und Abschluss der Arbeiten angegeben: „Mit einer solchen Ungewissheit auf der zeitlichen Schiene lässt sich kein Bauvorhaben projektieren.“

CBW gibt sich jetzt ganz zugeknöpft

Das Schreiben der Ortsbürgermeisterin.

Es ging noch eine Weile hin und her, Juristen-Schreiben, Rathaus-Gespräche – bis Claudia Bläsius-Wirth Schluss machte. Am 21. September 2017 schickte sie Conradi folgenden Brief:

„Die Ortsgemeinde verfolgt das Ziel, im Neubaugebiet Betreutes Wohnen anzusiedeln. Eine Kombination mit einem Seniorenheim auf zwei gegenüberliegenden Flächen wurde befürwortet.

Da leider diese Situation in Kombination nun leider nicht zustande kommt, nimmt die Ortsgemeinde Abstand von Ihrem Angebot ein Seniorenheim auf der Fläche im Algersweg West zu errichten. Ferner müssen wir vermerken, dass Ihrerseits kein Einvernehmen im Vertragsabschluss der Kostenerstattungsvereinbarung mit dem Erschließungsträger hergestellt werden konnte.

Für die jahrelange Begleitung in unserem o.g. Prozess möchten wir uns bei Ihnen und ihrem Unternehmen bedanken (…) Wir wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg bei all Ihren Unternehmungen…“

Das war’s. Sechs, sieben Jahre lange Planung – alles umsonst. Im Dezember letzten Jahres versuchte Conradis Anwalt noch, mit der Ortsbürgermeisterin eine gütliche Einigung herbeizuführen. Vergebens. Daraufhin reichte er Klage beim Landgericht Mainz ein (Aktenzeichen 4 O 63/18).

Conradi beziffert seine Ausgaben auf 103.459,91 Euro. Er habe im Vertrauen auf feste Zusagen der Gemeinde gehandelt, er will sein Geld zurück.

Sollte es zu einem Gerichtsverfahren kommen, wird über eine Frage zu entscheiden sein: Hat die Gemeinde dem Investor zu viel versprochen, liegt hier ein Fall von Amtshaftung vor? Wenn ja: Dann muss die Gemeinde die 100.000 Euro plus die gesamten Kosten des Verfahrens tragen.

Wir fragten Frau Bläsius-Wirth, als wir sie jetzt trafen: Wie konnte es dazu kommen, dass die langjährige Zusammenarbeit mit einem renommierten Investor und erfahrenen Bauträger so schnell eskalierte?

CBW gab sich zugeknöpft:: „Das ist ein laufendes Verfahren. Dazu sage ich nichts.“

Makler-Fotos sollen als Referenzen dienen

Nur kurze Zeit nach dem Bruch mit Conradi präsentierte CBW einen neuen Investor: Der Immobilien-Unternehmer Andreas Piwowarski zeigte Interesse, mit den Firmen AIVG und LVVG das Millionen-Projekt zu realisieren.

Der Mann gab auch gewaltig Gas: Er ließ von einem Architekten innerhalb kürzester Zeit eine Anlage mit 60 Wohnungen in zwei Häusern entwerfen. Inzwischen bietet er die Wohnungen, wie gesagt, längst zum Kauf an…

Kürzlich wurde dieses Vorgehen im Gemeinderat kritisch-nachdenklich hinterfragt. SPD-Mitglieder witterten ein investorengetriebenes Wohnprojekt, in dem zu leben sich Guntersblumer gar nicht leisten könnten. Die FWG drängte auf eine Überprüfung der Bonität des Investors: Da würde es noch ein paar offene Fragen geben…

Die Ortsbürgermeisterin scheint von derlei Zweifeln völlig frei zu sein. Letzten Mittwoch, bei unserem Gespräch im Rathaus, verwies sie auf Referenzen, die ihr der Unternehmer vorgelegt habe. Sie sagte: „Herr Piwowarski war in ganz Deutschland tätig, er hat Fotos gezeigt – das war überzeugend.“

Frage: Was waren das für Referenzen? Etwa die Fotos von Immobilien, die auf der Webseite der Firma AIVG im Internet zu sehen sind?

CBW nickt.

Uuups, da war sie wohl etwas arg leichtgläubig! Wir wollen sie gerne aufklären!

75-jährige Frau steht hinter Immobilienfirmen

Andreas Piwowarski hat – nach eigener Auskunft – im Auftrag einer Bank Immobilien in ganz Deutschland, die in die Zwangsversteigerung gerutscht waren, an Investoren gebracht. Dann wurde die Bank von einer anderen aufgekauft, für ihn gab’s keine Aufträge mehr. Er habe sich umgehört und festgestellt, dass Betreutes Wohnen angesagt sei. In dieses Geschäft wolle er jetzt einsteigen: Guntersblum sei sein erstes Projekt.

Soweit die Darstellung von Herrn Piwowarski, und es gibt keinen Grund, sie anzuzweifeln. Die Fotos im Internet zeigen, das sagt er ganz offen, Objekte, die er vermittelt habe. Als Referenzen für den Bau einer Senioren-Wohnanlage dürften sie vermutlich kaum taugen.

Schauen wir noch etwas genauer hin, wird’s recht mysteriös:

Piwowarski will also mit den Firmen AIVG mbH (eingetragen beim Amtsgericht Mainz unter HRB 6518) und LVVG mbH (AG Offenbach, HRB 41753) seine erste Senioren-Wohnanlage in Guntersblum errichten. Doch im Handelsregister finden wir seinen Namen nicht: Die beiden Firmen gehören einer gewissen Ewa L., die als Gesellschafterin und auch als Geschäftsführerin eingetragen ist.

Ewa L. ist heute 75 Jahre alt und lebt in einer Hochhaus-Siedlung in Mainz. Diese Frau soll die wahre Millionen-Investorin von Guntersblum sein?

Andreas Piwowarski sagt dazu: Ewa L. sei seine Cousine. Sie habe die Firmen gegründet. Er sei Generalbevollmächtigter bei der AIVG, sein Sohn Daniel sei Generalbevollmächtigter bei der LVVG.

Generalbevollmächtigter? Was ist das?

Alles sei völlig korrekt, beteuert Piwowarski, alles sei vertraglich geklärt.

Das Büro der AIVG am Ortsrand von Köngernheim.

Mag sein, dass eine solche Unternehmens-Konstruktion völlig rechtens ist. Aber ganz sicher ist sie ungewöhnlich. Und sie wirkt auch nicht unbedingt vertrauensfördernd. Denn natürlich stellt sich die Frage: Wenn Andreas Piwowarski seit Jahren für die Firmen seiner Cousine federführend erfolgreich tätig war – warum wurde er nicht Anteilseigner? Warum übernahm er nicht zumindest die operative Verantwortung als Geschäftsführer?

Er zuckt nur die Schultern: Das sei eben so…

Bilanzen lassen keine erfolgreiche Tätigkeit erkennen

Gut, dann schauen wir uns die Bilanzen der beiden Unternehmen an. Und auch hier tun sich ganz schnell Fragen auf:

Die Zahlen stehen im krassen Widerspruch zu den tollen unternehmerischen Leistungen, die Andreas Piwowarski immer wieder herausstellt: Die Bilanzen von AIVG und LVVG geben keinerlei Hinweise auf eine erfolgreiche wirtschaftliche Tätigkeit.

Schlimmer noch: Der Steuer-Fachmann, dem wir die Bilanzen vorlegen, findet schon auf dem ersten Blick Rechenfehler, fehlende Minus-Zeichen…

Und das sollen glaubwürdige Beweise seines unternehmerischen Könnens und Wirkens sein? Andreas Piwowarski scheint die Frage nicht zu verstehen: „Wie meinen Sie das? Das sind doch nur Zahlen. Was sagen die schon aus?“

Ein paar Tage nach unserem Besuch in Köngernheim, an diesem Wochenende, ruft Andreas Piwowarski an. Offenbar ist ihm bewusst geworden, dass er Einblick gewährt hat in eine recht unorthodoxe unternehmerische Denke. Er möchte nicht, sagte er, dass über die Bilanzen berichtet werde. Er habe in ganz Rhein-Main-Gebiet gebaut, das müsse reichen.

Aber er müsste doch mal erklären, sagen wir, warum sich sein angeblich erfolgreiches Wirken nicht in den Bilanzen finde.

„Warum, warum?“ fragt er zurück. Er wirkt genervt, gereizt. Es gebe noch andere Firmen, sagt er, das sei alles ganz anders, aber dazu wolle er auf keinen Fall etwas sagen…

Investor Nr. 2 stellt heikle Bedingung

Bleibt zur Stunde die Erkenntnis: Claudia Bläsius-Wirth, die Ortsbürgermeisterin, hat Guntersblum in eine böse Zwickmühle geführt. Der erste Investor ist vergrault und klagt vor Gericht, er verlangt 100.000 Euro.

Aber ist Investor Nr. 2 – der übrigens sagt, er habe schon 300.000 Euro investiert (ohne Grundstücksvertrag!) –  die richtige Wahl?

Oder gibt es für Guntersblum nur noch diese eine Lösung: Augen zu und durch? Dem neuen Investor muss jetzt vertraut werden, ganz egal was kommt…

Hohes Risiko!

Zumal Piwowarski noch eine äußerst kritische Bedingung stellt: Den Kaufpreis für das gemeindeeigene Grundstück – er nennt 1,28 Millionen Euro incl. Erschließung – könne er erst dann an die Gemeinde überweisen, wenn 30 Prozent der Wohnungen verkauft sind. „Dieser Punkt muss in den Grundstücks-Kaufvertrag rein“, sagt er. „Erst wenn 18 Wohnungen verkauft sind, werde ich das Geld überweisen.“ Anders, sagt er auch lasse sich das Projekt für ihn nicht realisieren.

Abwarten, was dazu die Ratsmitglieder sagen. Fest steht nur: Das Projekt Betreutes Wohnen scheint zur Hochrisiko-Zockerei zu verkommen – ganz gefährlich für Guntersblum!