Die Kripo sucht das Leck

Aufregung bei der Polizei: Gleich drei Behörden nahmen gestern Stellung zu den Berichten dieser Zeitung über den Kronzeugen der Polizei gegen die Hells Angels. Zumindest inhaltlich gab‘s kaum was zu mäkeln.

Wiesbaden/Mainz/Frankfurt. Die Situation ist nun doch ein wenig verworren: Da bittet im Mai 2010, das Schreiben liegt dieser Zeitung vor, die hessische LKA-Präsidentin Sabine Thurau ihren Kollegen in Rheinland-Pfalz, den Kronzeugen gegen die Hells Angels in das Zeugenschutzprogramm aufzunehmen. Daniell M.-D. wird daraufhin in eine neue Wohnung in Bad Kreuznach einquartiert. Er bekommt, wie es das Zeugenschutzgesetz vorsieht, einen neuen Namen („Daniel Messer“), dazu passende Papiere, er wird unter neuem Namen bei der Führerscheinstelle, beim Arbeitsamt und bei der AOK angemeldet, er wird von Mainzer Zeugenschützern betreut…

…und jetzt kommen die Behörden plötzlich an und sagen: Nein, nein! Der Mann war gar nicht im Zeugenschutzprogramm! Das hat der Staatsanwalt ja gar nicht genehmigt! Daniell M.-D. war nur ein „gefährdeter Zeuge“!
So steht‘s, sinngemäß, in den Presseerklärungen, die gestern die Landeskriminalämter in Mainz und Wiesbaden verschickten. Wortklauberei? Oder klare Rechtslage? Frage an den Juristen Dr. Ulrich Endres, einen der profiliertesten Strafverteidiger der Region: Was ist von dieser Darstellung zu halten?
„Wenn der Staatsanwalt einer Aufnahme in das Zeugenschutzprogramm nicht zustimmt, gibt es kein Zeugenschutzprogramm. Punkt.“ Dann aber dürfe die Polizei natürlich auch nicht hingehen und exakt all die Maßnahmen umsetzen, die ausdrücklich fürs Zeugenschutzprogramm vorgesehen seien.„Was mit diesem Zeugen gemacht wurde“, sagt Endres, „hat mit unseren Gesetzen rein gar nichts mehr zu tun.“ Der Anwalt spricht von „streng rechtswidrigem Verhalten“ der Polizei; die Landeskriminalämter hätten „gegen jede Strafprozessordnung agiert“.
 
Damit nehmen die Geschichten um den Kronzeugen inzwischen gespenstische Züge an. Diese Zeitung hatte enthüllt, dass Daniell M.-D. mit Geld, mit Leihwagen und mit Irland-Urlaub „gepampert“ wurde: Er sollte bei Laune gehalten werden, sollte weiter gegen die Hells Angels aussagen. Dass eine Kriminalpsychologin den Mann als unglaubwürdig eingestuft hatte, störte die ermittelnden Beamten in Wiesbaden offenbar nicht. Sie wollten den Erfolg gegen die Rocker, sie wollten ihn um jeden Preis.
Seit Ende letzter Woche liegen Hessens Innenministerium Fragen dieser Zeitung zu der Polizeiaffäre vor. Sie wurden bis heute nicht beantwortet. Erst gestern Nachmittag kam eine dürftige Mail: Der Landespolizeipräsident sei beauftragt, den Vorgang „lückenlos“ aufzuklären. Alle beteiligten Polizeibeamten „müssen dazu Erklärungen abgeben“. Die Staatsanwaltschaft möge prüfen, „inwieweit sie Handlungsbedarf sehe“. Und dann noch dieser Satz: „Die verantwortliche Behördenleiterin“ habe sich „unaufgefordert zu den Vorgängen eingelassen“.
Gemeint ist Sabine Thurau. Auf den Fluren der Behörde wisperte man gestern, Thurau habe umgehend jede Verantwortung für den Umgang mit dem Kronzeugen von sich gewiesen. Was in den letzten Jahren beim LKA passiert sei, dafür könne sie nicht verantwortlich gemacht werden.
Das Landeskriminalamt Mainz reagierte wesentlich ausführlicher: In einer dreiseitigen Erklärung bestätigte man die Berichterstattung dieser Zeitung weitgehend. Lediglich einige Details wurden korrigiert: So sei z. B. die „Tarnidentität“ von Daniell M.-D. nicht auf Dauer angelegt gewesen. Auch habe der Mann keine Luxusautos zur Verfügung gestellt bekommen, sondern „kleinere Fahrzeuge, z.B. einen Renault Scenic und einen Audi A3“.Fettgedruckt findet sich in dieser LKA-Erklärung ein Satz, der vermuten lässt, dass man in Mainz auf die hessischen Kollegen nicht mehr so gut zu sprechen ist. „Mit den eigentlichen Ermittlungen“, betonen die Mainzer ausdrücklich, seien sie „zu keiner Zeit“ befasst gewesen. Also waren‘s die Hessen…
Dazu passt, was die „Allgemeine Zeitung“ in Mainz gestern berichtete: „Gut informierte Kreise“ seien überzeugt, dass der Zeuge den Rheinland-Pfälzern von den Hessen „untergejubelt“ worden sei.
Spätestens jetzt konnte auch das LKA Hessen nicht mehr schweigen. Gestern Abend, nach 20 Uhr, wurde eine zweiseitige Presseerklärung verschickt. Auch darin wird die Darstellung in den Berichten dieser Zeitung weitestgehend bestätigt. Ansonsten geht‘s jetzt offenbar nicht in erster Linie darum, möglicherweise gesetzwidriges Verhalten einer Polizeibehörde aufzuarbeiten. O-Ton LKA Hessen: „Die Darstellungen der letzten Tage in der Frankfurter Neuen Presse sind für das Hessische Landeskriminalamt Anlass zu umfangreichen internen Ermittlungen.“
Klarer Fall: Das innerbehördliche Leck, das stört, das muss gefunden und dicht gemacht werden. Da der Verdacht des Verrats von Dienstgeheimnissen begründet sei, so heißt es in der Pressemitteilung, „wurde eine Strafanzeige gestellt“.
Erschienen in der FNP am 30.01.2013

Kronzeuge außer Kontrolle

Der Frankfurter Dachdecker Daniell M.-D. hatte 2010 die hessische Polizei in ihren größten Feldzug gegen die Frankfurter Hells Angels geführt. Dann kam heraus, dass der Mann ein Hochstapler und ein mit Haftbefehlen gesuchter Betrüger ist. Trotzdem blieb er im Zeugenschutzprogramm, behielt seine Tarnidentität, eine geheime Wohnung… Zweiter Teil unseres Reports über einen Polizei-Skandal, der von den Behörden unter der Decke gehalten wird – aus gutem Grund.

Wiesbaden/Mainz/Frankfurt. Daniell M.-D., der Kronzeuge der hessischen Polizei gegen die Hells Angels, lebte in einer kleinen Ferienwohnung im Herzen von Bad Kreuznach. Auf Bitte des Landeskriminalamtes (LKA) Hessen hatte das LKA Rheinland-Pfalz den Mann in einer Art Nachbarschaftshilfe in der Kurstadt untergebracht: In einem gelbfarbenen Gebäudekomplex an der Badeallee mieten Mainzer Zeugenschützer regelmäßig Wohnungen an, in denen sie gefährdete Zeugen aus Deutschland wie auch aus dem benachbarten Ausland verstecken.

Der Hells-Angels-Informant aus Frankfurt, für den man umgehend eine komplette Tarnidentität auf den Namen „Daniel Messer“ besorgt hatte, sollte bei Laune gehalten werden, um jeden Preis, damit er weiter aussagt. Deshalb bekam er auch, was er wollte. Ein Auto? Kein Problem! Ein richtig schickes Auto sollte es sein? Auch kein Problem: Zeugenschützer buchten mit einer Behördenkreditkarte beim Autoverleih „Europcar“ mal einen Porsche, mal ein Cabrio, und stellten dem Zeugen die Fahrzeuge vor die Tür.

Dass in den bundeseinheitlichen Bestimmungen zur Aufnahme in das Zeugenschutzprogramm „aus Sicherheitsgründen“ und „grundsätzlich“ davon abgeraten wird, „ein auffälliges Kraftfahrzeug an den neuen Aufenthaltsort mitzunehmen“, störte offenbar keinen.

„Anfangs haben wir für den Kronzeugen regelmäßig Bargeld in Mainz abgeliefert“, erinnert sich ein Wiesbadener Beamter. Später wurde das Geld zur freien Verwendung der Mainzer Zeugenschützer auf ein Konto überwiesen. Auf diese Weise konnten die ihrem Schützling regelmäßig etwas „Taschengeld“ zukommen lassen. Mal gab’s 100, mal 200 Euro auf die Hand – so stockte man sein karges Hartz-IV-„Gehalt“ etwas auf, verstieß aber zugleich gegen Bestimmungen der Arbeitsagentur: Zusatzverdienste müssen nun mal gemeldet werden.

Als verantwortlich für all die Freigiebigkeit und Nachlässigkeiten, die jeder erfahrene Kripobeamte als unkalkulierbares Sicherheitsrisiko einstuft, wird der Chef des Mainzer Zeugenschutzdezernats genannt. Erwin Owtscharenko, lange Jahre CDU-Bürgermeister in einem 2700-Seelen-Dörfchen namens Weiler, ein Drei-Tage-Bartträger mit öffentlich erklärten und durchaus ernst gemeinten Ambitionen auf einen Platz im Bundestag, mindestens aber im Landtag. In vertrauter Runde gab der begeisterte Büttredner schon mal zum Besten, er müsse einen äußerst wichtigen Zeugen betreuen, dem er immer neue Aussagen entlocke, was seinem Ruf als erfolgreichen Kriminalisten nur förderlich sein könne.

Anfangs kümmerte sich der Dezernatsleiter persönlich um den Kronzeugen. Das ging dann so: Daniell M.-D. erzählte, ein Gastwirt aus Wiesbaden-Nordenstadt – nennen wir ihn hier Gerd K. – sei der Waffenlieferant der Hells Angels, habe ihm schon mal ein Kleinkalibergewehr mit 15 Schuss Munition für 1200 Euro verkauft.

Die Ermittler glaubten die heiße Story und leiteten umgehend ein Ermittlungsverfahren gegen den Gastwirt ein: Aktenzeichen 6310 Js 226898/10 – Verdacht des Verstoßes gegen das Waffengesetz.

Um die etwas dürftige Info wasserdicht zu machen, wurde Daniel M.-D. noch einmal in das Restaurant geschickt – unsichtbar verkabelt von den Spezialisten des LKA: Er sollte den Gastwirt zu weiteren Waffengeschäften animieren, während draußen Beamte jedes Wort mithören wollten. Für seinen Einsatz (…) kassierte der Kronzeuge nach Informationen dieser Zeitung 3000 Euro „Honorar“. Leider brachte die Lausch-Aktion nicht den gewünschten Erfolg: Die Übertragungsqualität war miserabel. Dafür wusste Daniell M.-D. hinterher eine spannende Geschichte zu erzählen: Gastwirt Gerd K. habe ihm eine Waffe gezeigt.

Hier ein Auszug aus dem polizeilichen Vernehmungsprotokoll:

Frage: Hat Gerd die Waffe aus der Schublade herausgeholt und sie ihnen gezeigt?

Antwort: Nein, er hat nur die Schublade aufgemacht, so dass ich die Waffe sehen konnte.

Frage: War auch Munition in der Schublade?

Antwort: Ich weiß es nicht, ich habe nicht darauf geachtet?

Frage: Wie sah die Waffe aus?

Antwort: Es war ein schwarzer Revolver, neuartiges Aussehen, komplett schwarz, auch die Griffstücke. Der Revolver hatte einen langen Lauf und sah aus wie eine ,Westernwaffe’. Ich glaube, es war eine Waffe mit dem Kaliber 45. Zu Gerd sagte ich noch, ,mit dem Ding kannst du doch nicht zielen’. Er antwortete, er würde auf das Knie zielen und den Oberkörper treffen.

Diese Aussagen des Kronzeugen führten dazu, dass die Frankfurter Amtsrichterin Gudrun St. einen Durchsuchungsbefehl unterzeichnete. Wörtlich heißt es darin: „Nach den bisherigen Ermittlungen ist zu vermuten, dass die Durchsuchung zur Auffindung folgender Beweismittel führen wird: Revolver Long Colt, Kaliber 45, ,Long John“, über den der Beschuldigte illegal verfügt, weitere Schusswaffen, Unterlagen und sonstige Hinweise auf den Waffenlieferanten R. etc.“

Mit diesem richterlichen Papier ging’s dann zur Sache: Zu nachtschlafender Stunde stürmten schwerbewaffnete Polizisten das Restaurant und die Wohnung des Gastwirts und durchsuchten alle Räume. Der Sachschaden war enorm, der Erfolg gleich null: Zwar fand man ein längliches Lederfutteral auf einem Schrank. Da aber waren nur Angelruten drin. Das Verfahren gegen den Gastwirt musste komplett eingestellt werden.

Auch in diesem Fall, sagt ein Beamter, hätten die Kollegen in Mainz gegen eine zentrale Vorschrift des Zeugenschutzes verstoßen (…).

Aber bei Daniell M.-D. waren offensichtlich sämtliche Regeln und Vorschriften außer Kraft gesetzt. „Er fuhr nachts nach Frankfurt und traf sich mit seinen Kumpeln“, erzählt ein Kripo-Mann. Dabei war die Main-Metropole als „Gefährdergebiet“ eingestuft, wo einem Zeugen Gefahr droht und das er deshalb unbedingt zu meiden hat.

Daniell M.-D. störte sich nicht darum. Er übernachtete in seiner alten Wohnung, er traf sich mit seiner Mutter, die in Bad Vilbel lebt. „Bei jedem anderen Zeugen hätte ein einziger Verstoß gereicht, und er wäre aus dem Programm gefeuert worden“, sagt ein Beamter. „Hier drückte man beide Augen zu. Man wollte mit dem Zeugen ja den ganz großen Schlag landen.“

Erst nach Monaten dämmerte den Ermittlern, dass der Informant sie wohl gelinkt hatte: Fast alle seine Informationen hatten sich als heiße Luft entpuppt. Und nun? Den Mann umgehend aus dem Zeugenschutzprogramm entlassen, wie es die Bestimmungen vorsehen?

So einfach ging das nicht: Viel zu lange war der Mann bereits als Zeuge betreut worden – dies gegen den erklärten Willen der Staatsanwaltschaft. Zudem wurde er von Gläubigern gejagt: Würde man ihn laufenlassen, würde er nicht lange dicht halten, würde plaudern und nicht nur die Ermittlungen gegen die Hells Angels verraten, sondern auch die nicht genehmigten Zeugenschutzmaßnahmen…

Anfangs versuchten die Ermittler, die Staatsanwaltschaft von der Notwendigkeit eines offiziellen Zeugenschutzes zu überzeugen. Am 24. August sprachen sie noch einmal in der Frankfurter Behörde vor. Vergebens: Die Vertreter der Anklagebehörde wollten sich nicht auf Daniell M.-D. einlassen.

Am 25. August 2010 traf man sich im Wiesbadener LKA zu einer Krisensitzung. Das „Ergebnisprotokoll“ nennt als Teilnehmer neun Kripobeamte aus Wiesbaden und Mainz, ihr Gespräch dauerte von 10.20 bis 12.40 Uhr. Unisono beklagten sie eine „brisante Situation mit dem Kronzeugen“, der „immer noch nicht führbar“ sei. Die Arbeit mit ihm bringe die Ermittlungen nicht voran, „der Mehrwert der durchgeführten Vernehmungen habe mit zunehmender Zeit abgenommen“. Ein Kassenbuch der Hells Angels, das er vorgebe zu besitzen und mit dem man den Rockern schwere Verbrechen nachweisen wollte, existiere nur in „Erinnerungen und eigenen Aufzeichnungen“.

Kurzum: Der Mann sei „äußerst labil“, er drohe immer wieder, sich abzusetzen, unterzutauchen, sich zu offenbaren. Er sei in dieser Verfassung eine „akute Gefahr“ für das Ermittlungsverfahren gegen die Hells Angels. In dem LKA-Protokoll, das dieser Zeitung vorliegt, spiegelt sich das ganze Dilemma der Beamten wider: Da führten sie seit Monaten einen Mann im Zeugenschutzprogramm – und dann erklärt die Staatsanwaltschaft, er eigne sich nicht als Zeuge. Und nun?

Erwin Owtscharenko wusste Rat: „Formal“ befinde sich Daniell M.-D. eigentlich gar nicht im Zeugenschutzprogramm, erklärte der Mainzer Zeugenschutzchef der verdutzten Ermittler-Runde. Er sei „im Status eines gefährdeten Zeugen“.

Diese ebenso unsinnige wie juristisch fragwürdige Darstellung muss die Teilnehmer der Geheim-Besprechung völlig überraschend getroffen und letztlich auch nicht sonderlich überzeugt haben. Am besten, so überlegten die Kripobeamten schließlich allen Ernstes, stecke man Daniell M.-D. ins Gefängnis: „Oberstes Ziel ist die Erlangung eines Haftbefehls gegen den Kronzeugen, um einer Eigengefährdung und/oder Verfahrensgefährdung entgegen zu wirken“, notierten sie in ihrem Protokoll. Das Papier stuften sie sodann als derart geheim ein, dass es nicht einmal in die Ermittlungsakten gelegt werden darf. Inhaftierung als „beste Alternative“, wie die Beamten formulierten? So weit kam es dann doch nicht. Es gab bald einen neuen Plan.

Daniell M.-D. alias Daniel Messer wurde vorübergehend außer Landes gebracht. Nach Irland. Die hessische Behörde bezahlte den Flug, finanzierte auch einen Sprachkurs. Und sie zahlte auch, als ein hessischer Rocker-Fahnder den Zeugen auf der Insel vernehmen wollte. In Irland war’s inzwischen recht kalt geworden, der Zeuge brauchte warme Kleidung – kein Problem: Die Zeugenschützer schickten ihm via „Western Union“ Geld, Hessen zahlte ja alles.

In Wiesbaden und Mainz wurde unterdessen an einer finalen Lösung gearbeitet. Israel war das nächste Ziel, dass sich der Zeuge gewünschte hatte. Nach seiner Rückkehr aus Irland ging’s dann schnell weiter. Der Tarnname „Daniel Messer“ war Vergangenheit – Daniell M.-D. nannte sich nunmehr „Daniel Ben Ami“. Er bekam neue Flugtickets und wurde in Frankfurt in den Flieger gesetzt. In Israel muss es dem Mann schon bald recht langweilig geworden sein: Er verschickte Mails, aus denen man dummerweise herauslesen konnte, dass er sich in der Stadt Kfar Saba versteckt hielt.

Spätestens jetzt, nach seiner eigenen Enttarnung, hätte jeder weitere Kontakt mit dem Zeugen eingestellt werden müssen. Das sehen die Bestimmungen des Zeugenschutzes vor. Erwin Owtscharenko aber, der Mainzer Dezernatsleiter, hält angeblich weiterhin unverdrossen Kontakt. Er besuchte „seinen“ Zeugen im Gelobten Land, zusammen mit seinem damaligen Stellvertreter Thomas B., natürlich auf Staatskosten. Noch heute telefoniert man hin und wieder miteinander.

Neuerdings quengelt Daniel M.-D. allerdings ein bisschen viel herum: Er möchte heim. Nach Hause! Nach Hessen! Jüngst soll er in einem Telefonat wie beiläufig daran erinnert haben: Man wisse doch, er wisse viel! Es klingt, als wolle er die Polizei erpressen (…)

Aber er lässt nicht locker. Verlangt jetzt, man solle ihn in die Schweiz bringen. Da würd’s ihm gefallen, da spricht man deutsch, und es ist nicht ganz so weit weg. Zwischen Wiesbaden und Mainz laufen bereits Überlegungen: Kriegt man das hin?

Inzwischen sind’s allerdings nicht mehr nur die alten Geschichten, die Sorgen machen. Neuerdings kursiert ein Gerücht – wenn es denn wahr ist, könnte es für die Ermittler noch brenzlig werden: Es heißt nämlich, Daniell M.-D. habe in Israel eine Frau kennengelernt, eine Bankangestellte. Er habe schon ein Kind mit ihr, er sei mit ihr umgezogen, in eine neue Stadt, er habe die Frau geheiratet und ihren Namen angenommen.

Die Zeugenschützer sind elektrisiert: Sie haben keinen Zugriff mehr auf den Mann! Sie kennen seinen Namen nicht und auch nicht seine neue Adresse. Der Kronzeuge außer Kontrolle – das kann ja noch richtig spannend werden!

Erschienen in der FNP am 29.01.2013

Ein Zeuge namens Messer

Der Kronzeuge gegen die Frankfurter Hells Angels hat offenbar versucht, die Kripo zu erpressen: Er verlangte ein neues Versteck im Ausland und bevorzugte Behandlung – andernfalls werde er sein Wissen über geheime Polizeiaktionen preisgeben. Dokumente, die dieser Zeitung vorliegen, belegen: Kripobeamte haben tatsächlich massiv gegen Vorschriften und Gesetze verstoßen. Einblicke in eine Polizei-Affäre, die von den Behörden bis heute unter Verschluss gehalten wird.

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Die Rache der Strafverfolger

Ein ehemaliger Polizeibeamter muss sich wegen des Vorwurfs des Geheimnisverrats vor Gericht verantworten – schon seit sechs Jahren. Zweimal wurde er freigesprochen, einmal wurde das Verfahren sogar eingestellt. Aber die Staatsanwaltschaft lässt nicht locker. Hartnäckig verfolgt sie den Mann, ebenso hartnäckig hält sich allerdings auch das Gerücht, die Behörde handele aus rechtsfremdem Interesse: aus Rache. Der Polizist soll nämlich die Triebhaftigkeit eines Staatsanwalts publik gemacht haben.

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Der Informant und seine Polizistin

Die Affäre um den Rocker-Informanten des Landeskriminalamts wird immer bizarrer: Der Mann ist, wie diese Zeitung letztens enthüllt hatte, ein notorischer Betrüger, der mit mehreren Haftbefehlen gesucht wird. Er hat sogar die Hells-Angels-Ermittler belogen – und wird trotzdem als Kronzeuge versteckt. Wirklich nur zu seinem Schutz? Oder gibt es etwas zu verbergen? Neue Dokumente belegen: Der Mann hat seine kriminellen Geschäfte nicht allein betrieben. Eine Frau stand ihm bei. Sie ist Kriminalbeamtin in Frankfurt.

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Frau Thurau und die Höllenengel

Es sollte der größte Schlag gegen die Hells Angels werden, es wurde ein Riesen-Flop: Hessens LKA-Chefin wurde von einem Kronzeugen gelinkt – Report über ein polizeiliches Desaster.

Wiesbaden. Boris Rhein war, mal wieder, in seinem Element. „Ich bin entsetzt“, diktierte der hessische Innenminister einem Redakteur der F.A.Z. in den Block. „Das haben wir so noch nicht erlebt“, durfte ihn die linke Berliner Tageszeitung „taz“ zitieren. Und auch für „Bild“ fielen noch ein paar markige Worte ab: Man werde sehen, „ob es zu einem landes- oder gar bundesweiten Verbot der Hells Angels als kriminelle Vereinigung kommt“.

Was war geschehen? Ende letzten Jahres, draußen war’s klirrend kalt, starteten mehr als tausend Polizeibeamte eine Großrazzia gegen die Hells Angels in Frankfurt und Umgebung. Es war innerhalb kurzer Zeit der zweite Schlag gegen die Rockerbande: Drei Wochen zuvor waren bei einer Durchsuchungsaktion über 2000 Beamte im Einsatz gewesen.

Beide Male wurden Häuser und Bordelle von Hells Angels gestürmt. Bei der zweiten Razzia standen zudem die Privatadressen und Büros von Polizisten auf der Liste. Fünf Beamte wurden festgenommen. Der Vorwurf: Sie sollen sich auf kriminelle Geschäfte mit Rockern eingelassen haben. Ein Kripomann soll für den Verrat geheimer Polizei-Infos sogar 10 000 Euro kassiert haben.

Die Razzien sorgten für Aufsehen. Es ging schließlich nicht nur um Vorwürfe, wie sie im Zusammenhang mit Rockerbanden regelmäßig erhoben werden – um Waffen und Drogen, brutale Gewalt und Prostitution. Diesmal machte Innenminister Rhein das ganz große Fass auf: Die bundesweite Strategie der Hells Angels sei „das Einsickern in die öffentliche Verwaltung, in Polizei und Justiz“, gab er zu Protokoll, das habe „glasklar mit organisierter Kriminalität zu tun“.

Heute, fast ein Jahr später, will zu den Razzien und zum Stand der Ermittlungen keiner offiziell mehr etwas sagen. Angeblich laufen die Ermittlungen noch, hochgeheim, äußerst sensibel, heißt es.

Doch der wahre Grund ist wesentlich banaler: Die Polizei-Aktionen Ende letzten Jahres waren ein Desaster für das hessische Landeskriminalamt (LKA). Ein Riesen-Flop. Der Vorwurf, Rocker hätten die Sicherheitsbehörden unterwandert, ist vom Tisch. Der Verdacht, die Frankfurter Hells Angels würden eine zu verbietende Vereinigung bilden, kann bis heute nicht erhärtet werden.

Monatelange Ermittlungen unter strengster Geheimhaltung – alles für die Katz’. Eine bittere Schlappe für Hessens Polizei.

Wie konnte das geschehen?

Die Spur führt, einmal mehr, zu Sabine Thurau, inzwischen gefeuerte Präsidentin des Hessischen Landeskriminalamtes.

Es war am 9. Februar 2010, als der damalige Innenminister Volker Bouffier die Beförderung der heute 56-Jährigen zur LKA-Chefin unterschrieb. Zum 1. April trat sie ihren Dienst in Wiesbaden an. Im Gepäck hatte sie eine heiße Nachricht: Ein Hells Angels wolle sich als Kronzeuge zur Verfügung stellen, werde gegen seine Rockerbande umfassend aussagen.

Ein Hells Angels packt aus – das ist wirklich eine Sensation! In der Rockerszene gilt absolutes Schweigegebot: Wer mit der Polizei paktiert, heißt es, müsse um sein Leben bangen.

Thuraus Informant versprach mehr: Er könne organisierte Kriminalität „in der obersten Ebene“ beweisen, sagte er, also Verbindungen von Hells Angels zu Polizei, Wirtschaft und Politik aufdecken.

Thurau im Glück: Als Vizepräsidentin in Frankfurt waren ihr zuletzt übles Mobbing und massives Führungsversagen vorgeworfen worden. Kripobeamte gingen juristisch gegen sie vor, die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen sie. Jetzt sollte alles besser werden: Ein erfolgreicher Schlag gegen die Hells Angels, vertraute sie Freunden an, würde ihren Ruf aufpolieren, deutschlandweit, für immer.

Thurau wollte, sagen heute ihre Kollegen, den totalen Triumph, und vor allem wollte sie ihn für sich allein. Nur so wird ihre erste Amtshandlung verständlich: Sie bootete Dirk Engelhard aus, den Chef der LKA-Abteilung Organisierte Kriminalität (OK).

Engelhard , der als der Rocker-Experte schlechthin gilt, war genau zu Thuraus Amtsantritt ins nahe Innenministerium abgeordnet worden. Ein notwendiger Baustein für seine nächste Beförderung – für Thurau die Begründung, weshalb sie den erfahreneren Kollegen von allen Informationen abschnitt. Außerdem, notierte sie allen Ernstes, belasteten ihn Sorgen um seine schwerkranke Mutter.

Vielleicht hätte der Mann der neuen LKA-Chefin helfen können – bei behördeninternen Stolperfallen in einem so komplexen Verfahren. Vielleicht hätte er sie auch gewarnt – vor allzu großes Vertrauen zu einen Informanten, der als äußerst zwielichtig bekannt war.

Aber Thurau weigerte sich, den OK-Fachmann in ihre Pläne einzubeziehen. Sie vertraute lieber dem Informanten, der immer wüstere Geschichten auftischte. Sie sicherte ihm zuletzt umfassenden Schutz zu, machte ihn zum Kronzeugen.

Er hat sie wohl gelinkt.

In einem vertraulichen Papier notierte Thurau später: „Von den Korruptionsvorwürfen waren zu diesem Zeitpunkt u.a. hochrangige Polizeibeamte (PP Ffm und LKA) betroffen, auch das Ordnungsamt Frankfurt am Main und das Ministerium waren mutmaßlich tangiert. Da die StA ( Staatsanwaltschaft, die Red. ) die Ermittlungshoheit innehat, hatte ich durch eine konsequente Festlegung der Informationswege Sorge zu tragen, dass nur diejenigen Personen informiert wurden, die unmittelbar mit dem Ermittlungsverfahren betraut waren.“

Sie gründete die Arbeitsgruppe (AG) „Pueblo“. Und holte jenen Mann, der als ihr enger Freund gilt und dem sie absolut vertraut: Wolfgang W.

Der Hauptkommissar, von Kollegen „Chefchen“ gerufen, arbeitete zuvor bei den Internen Ermittlern. Aus dieser Zeit rührt ein wunder Punkt in seiner Vita, der kaum bekannt ist: Der 52-Jährige war vor Jahren als Ermittler in Verfahren wegen „Rechtsradikaler Tendenzen“ bei der Frankfurter Polizei eingesetzt. In einer Vernehmung soll er dem beschuldigten Beamten Oliver D. gedroht haben: „Wenn du nicht aussagst, stecken wir dich in den Knast. Du weißt ja, was sie dort mit Typen wie dir anstellen.“

Oliver D. erstattete umgehend Anzeige („Aussageerpressung“), und Wolfgang W. nahm sich einen Rechtsbeistand. Warum seine Wahl ausgerechnet auf Dr. Ulrich Endres fiel, ist sein Geheimnis. Endres ist einer der bekanntesten Frankfurter Strafrechtler – und genießt in Rockerkreisen als Verteidiger von Hells Angels einen legendären Ruf.

Eine solche Verbindung wird bei OK-Ermittlern überhaupt nicht gerne gesehen. Thurau störte sie nicht: Auf ihr ausdrückliches Geheiß hin führte Wolfgang W. die ersten Vernehmungen des Kronzeugen durch.

Und tatsächlich konnte der einiges berichten. Er kannte Namen und Adressen aus der Rocker-Szene, und vor allem erzählte er über Kontakte von Polizisten ins Rocker-Milieu. Zwei drogensüchtige Kripobeamte nannte er. Einen LKA-Beamter, dem er selbst Geld gegen Infos geboten habe. Und ein Ehepaar, das Sex-Geschäfte mit Rockern mache.

Beweise? Die hatte der Informant nicht. Also schwärmten die Ermittler aus, holten Genehmigungen, um Telefone abzuhören – die polizeiliche Maschinerie lief wie geschmiert. Irgendwann hörten die Ermittler auch, wie sich zwei Rocker am Telefon offen über „Bullen-Aktionen“ unterhielten.

Da war wohl was durchgesickert. Die geheime „AG Pueblo“ war offenbar nicht richtig dicht.

Ende letzten Jahres überschlugen sich bei Hessens Polizei die Ereignisse:

Am 1. November enttarnte diese Zeitung ein Netzwerk aus Intrigen und Mobbing bei der Hessischen Polizei, das sein Zentrum ganz oben in der Führungsspitze habe.

Einen Tag darauf feuerte Innenminister Boris Rhein seinen Landespolizeipräsidenten Norbert Nedela.

Am 8. November berichtete diese Zeitung, dass gegen Thurau ein weiteres Ermittlungsverfahren, diesmal wegen des Verdachts der Verfolgung Unschuldiger, eröffnet worden sei: Sie habe wider besseres Wissen zwei Beamte mit Strafverfahren überzogen. Innenminister Boris Rhein reagierte nach Erscheinen des FNP-Artikels binnen Stunden: Er stellte Thurau vor die Wahl: sofortige Suspendierung oder freiwillige Niederlegung des LKA-Chefposten und Abordnung ins Innenministerium.

Thurau wählte die Abordnung. Und brachte die AG „Pueblo“ in eine brenzlige Situation: Die Vorbereitungen für einen gewaltigen Schlag gegen die Rocker befanden sich im Endstadium. In mehreren Bundesländern waren Polizeikräfte alarmiert, aus ganz Deutschland waren Sondereinheiten angefordert worden.

Zwei Wochen später, Ende November, rückten 2000 Polizisten an und durchsuchten Dutzende Objekte der Frankfurter Hells Angels. Gefunden wurde, im Verhältnis zum Aufwand, enttäuschend wenig: ein paar Waffen, ein bisschen Rauschgift. Am 10. Dezember folgte die zweite Razzia, diesmal wurden die Polizisten festgenommen. Und Innenminister Rhein schwang die ganz große verbale Keule…

Tage später sagte die Sprecherin der Frankfurter Staatsanwaltschaft, dass kein einziger Durchsuchungsbeschluss „auf dem Vorwurf einer kriminellen Vereinigung“ basiert habe. Eine enge Verzahnung der Rocker mit dem Rotlichtmilieu sei auch nicht zwingend strafbar. Und: Die Ergebnisse der Razzien, also die gefundenen Drogen und Waffen, bewegten sich „hart an der Grenze der Belanglosigkeit“.

Bleibt der Verdacht, Hells Angels hätten die Polizei unterwandert. Immerhin wurden fünf Beamte festgenommen. Rocker-Komplizen? Inzwischen hört man Geschichten, die klingen ganz anders als vor einem Jahr:

Der LKA-Beamte Michael N. (50) soll von einem Rocker 10 000 Euro kassiert und dafür Dienstgeheimnisse verraten haben. So lautete der Vorwurf. Heute heißt es: Der Hauptkommissar wollte für seine Frau ein Cafe einrichten. Ein Bekannter – ausgerechnet Thuraus Kronzeuge – habe ihm 1000 Euro als Starthilfe angeboten, leihweise. Bei der Übergabe des Geldes fragte der Mann, ob man ein Kfz-Kennzeichen überprüfen könne: Ein Auto habe ihn angefahren, der Fahrer käme ihm suspekt vor. Michael N. filterte den Namen des Kfz-Besitzers aus dem Computer – das ist sicher nicht rechtens, aber wohl kaum eine schwere Straftat.

Auch Tanja L. vom Betrugs-Kommissariat konnten bis heute keine engeren Kontakte ins Rocker-Milieu nachgewiesen werden. Wahr ist jedoch: Die 34-Jährige Oberkommissarin ist rauschgiftabhängig. Kollegen sagen, das hätten viele in der Behörde gewusst, seit Jahren, aber keiner sei eingeschritten. Tanja L. hat inzwischen ein Geständnis abgelegt, eine Entziehungskur gemacht und wartet auf ihr Verfahren.

Tex B., bekannt als „der einzig bekennende Kiffer bei Hessens Polizei“, hat ebenfalls mit Rockern nichts am Hut. Der Computerspezialist nahm leichte Drogen, das war bekannt, das ist jetzt aktenkundig, er wartet auf seinen Prozess.

Und schließlich gibt’s da noch ein Beamten-Ehepaar, bis vor einem Jahr eingesetzt auf einem Frankfurter Revier. Sie 33, er 36. Sie soll Sex im Internet angeboten, er soll ihr dabei geholfen haben. Außerehelicher Sex ist jedoch für Polizisten nicht verboten, auch nicht mit Rockern. Das Ehepaar arbeitet wieder, wenn auch auf einem neuen Revier.

Erschienen in der FNP am 20.09.2011