Ein Minister auf Abwegen
Es waren Artikel mit – so sagt man in Hessen ja wohl – „brutalstmöglichen“ Folgen: In drei Geschichten deckte ich auf, dass Volker Bouffier als hessischer Innenminister in Personalfragen nach Gutsherrenart vorzugehen pflegte und in mindestens einem Fall sogar grob rechtswidrig agiert hatte. Nachdem ich darüber berichtet hatte, rotierte die hessisches Landespolitik. Es folgten: Politiker-Ausraster der üblen Sorte. Ein Untersuchungsausschuss, der das Parlament nahezu zwei Jahre lang beschäftigte. Und schließlich ein Gerichtsverfahren, das für das Land sehr teuer wurde.
Den ersten Tipp, so viel kann hier verraten werden, bekam ich von einem Top-Beamten aus dem Wiesbadener Innenministerium bei einem Mittagessen in einem Restaurant im Frankfurter Stadtteil Dornbusch. Den zweiten Hinweis bekam ich per Telefon von einem guten Informanten bei der Frankfurter Polizei.
Es folgten drei Berichte in der Frankfurter Neuen Presse:
Der Minister und der Mandant
Innenminister Volker Bouffier hatte einem ranghohen Polizeibeamten aus Thüringen einen Job in Hessen verschafft, obwohl der Mann gegen seinen früheren Arbeitgeber klagte – und zwar mit Hilfe von Bouffiers Gießener Anwaltskanzlei. weiterlesen
Bouffiers Freundschaftsdienste
Bei der Entscheidung, wer neuer Präsident der Hessischen Bereitschaftspolizei werden soll, war ein anerkannter Polizeiexperte vorsätzlich übergangen worden. Innenminister Bouffier hatte einen Parteifreund in das gut dotierte Amt gehievt – obwohl ein Gericht dies ausdrücklich untersagt hatte. weiterlesen
Der Minister und sein Schwager
Die Leitung des Amtes für Verfassungsschutz in Hessen war seit Monaten vakant. Doch angeblich gab’s da Pläne: Der Schwager von Innenminister Minister Bouffier sollte den Top-Job kriegen. weiterlesen
Der erste Artikel war aus politischer Sicht, nun ja, noch relativ harmlos, die Reaktionen denn auch eher lau. Ein paar lokale Medien griffen das Thema auf, und die Opposition im hessischen Landtag forderte den Innenminister auf, sich zu erklären.
Der zweite Artikel aber entwickelte explosive Kraft und löste im ach so beschaulichen Wiesbaden selten erlebte Eruptionen aus. Gut zwei Wochen nach Veröffentlichung tagte der Landtag, und da flogen dann richtig die Fetzen. Drei Beiträge aus der Protokoll der Debatte vom 25. März 2013 im Wiesbadener Landtag zeigen, wie kontrovers die Standpunkte waren:
Der SPD-Abgeordnete Günther Rudolph resümierte:
„Der Fisch stinkt vom Kopf her, lautet ein altes Sprichwort. Das Problem in der hessischen Polizei hat einen Namen: Volker Bouffier. Dies wird der Untersuchungsausschuss belegen. Deshalb ist seine Einsetzung nötig.”
Hermann Schaus, Fraktionschef der Linken, befand:
„Sollte sich aber auch noch bestätigen, dass der Innenminister dabei eine rechtskräftige Entscheidung des höchsten hessischen Verwaltungsgerichts bewusst missachtet und umgangen hat, dann wäre das offener Verfassungsbruch im Berlusconi-Stil.”
Der CDU-Abgeordnete Holger Bellino hielt hielt beide Augen und Ohren ganz fest zu und hielt einfach dagegen, wie so oft bei ihm ohne jeden Bezug zu Wahrheit und Wirklichkeit:
„Auf dem Rücken der Bereitschaftspolizei wird populistisch, skandalisierend und in diesem Fall an der Realität vorbeigehend ein Bild gestellt, mit dem der erfolgreichste Innenminister Deutschlands in Misskredit gebracht werden soll. (…) Ihnen geht es nicht um Fakten – das haben die beiden Wortbeiträge eben gezeigt –, sondern um die Beschädigung des Ministers. Sie machen noch nicht einmal vor ehrenrührigen Aussagen halt.”
Am Ende setzte der Landtag auf Antrag der oppositionellen SPD und Bündnis 90/Die Grünen einen Untersuchungsausschuss („UNA 18/2”) ein: Der sollte herausfinden, „welche Umstände zur strittigen Besetzung der Position des Präsidenten des Hessischen Bereitschaftspolizeipräsidiums geführt haben und ob die Landesregierung das Parlament und die Öffentlichkeit wahrheitsgemäß und vollständig über diese Vorgänge informiert hat”.
Untersuchungsausschüsse können sehr belastend für Politiker sein, vor allem, wenn sie selbst im Visier der Ermittlungen stehen. Aber Innenminister Bouffier musste sich um seine politische Zukunft keine großen Sorgen machen:
Zwar deckte ich am 14. Mai 2010 in dem dritten Artikel auf, dass im Wiesbadener Innenministerium ernsthafte Überlegungen existierten, Bouffiers Schwager zum Präsidenten des hessischen Verfassungsschutzes zu machen. Zwar sorgte auch dieser Bericht noch einmal für riesige Aufregung in Wiesbaden: In der Plenar-Sitzung am 20. Mai 2010 tobten aufgeregte, ja aufgebrachte Politiker durch den Landtag und beschimpften sich derart wüst, dass die abendliche Nachrichtensendung „Hessenschau” des Hessischen Rundfunks (HR) von einem „neuen Höhepunkt der Auseinandersetzungen” sprach. Die Ausfälle der Landespolitiker sind Wort für Wort in den Plenarprotokollen nachzulesen – hier nur ein paar Beispiele:
SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel nannte Bouffier „moralisch verlogen”.
Roland Koch (CDU, damals noch Ministerpräsident, warf der Opposition vor:
„Sie versuchen, durch persönliche Diskreditierung den Menschen Volker Bouffier und seine Familie zu treffen. Das ist Ihnen wichtiger als die politische Auseinandersetzung.”
Günther Rudolph von der SPD befand:
„Eine Bananenrepublik hat ein geordnetes Aktensystem im Vergleich zu dem, was wir im Innenministerium zu diesem Vorgang vorliegen haben.”
Holger Bellino (CDU) konterte: „Wir wissen, dass wir in keiner Bananenrepublik leben, auch wenn sich manche Kritiker wie eine orientierungslose Affenhorde gerieren.”
Tarek Al‐Wazir von den Grünen (es ist übrigens derselbe, der eine Landtagswahl später stellvertretender Ministerpräsident unter Bouffier wurde und sichbei jeder sich bietenden Gelegenheit ganz eng an dessen Seite kuschelte) stöhnte:
„Ist dieser Laden auf den Hund gekommen!”
Untersuchungsausschuss, Verbalattacken, eine unfreundliche Berichterstattung bundesweit in Zeitungen, Fernsehen und Radio: Bouffier blieb, trotz alledem, zumindest äußerlich gelassen. Er wusste wohl schon, dass seine Zukunft längst abgesichert war:
Tatsächlich erklärte am 25. Mai 2010, also nur wenige Tage nach der Krawall-Sitzung, Hessens damaliger Ministerpräsident Roland Koch völlig überraschend seinen Rücktritt. Und er schlug als Nachfolger seinen engen Vertrauten Volker Bouffier vor.
Statt Absturz in Schimpf und Schande nun also der Aufstieg zum Landesvater: Nicht wenige Polit-Beobachter mutmaßten seinerzeit, dass Koch auf diese Weise seinem Freund Volker eine Zukunft in Wiesbaden geschenkt habe – andernfalls hätten die Enthüllungsberichte Bouffiers politisches Ende bedeutet.
Denn schließlich gab’s ja noch den Untersuchungsausschuss, der „Bouffiers Freundschaftsdienste” aufklären sollte. Er tagte über Monate hinweg, immer wieder, insgesamt zweieinhalb Jahre lang, bis Anfang 2013. Er befragte Dutzende von Zeugen, beschäftigte zwischendurch Gutachter und den Staatsgerichtshof, produzierte unaufhörlich Berge von Papier, die Landtagsfraktionen verschickten Pressemitteilungen wie am Fließband…
Am Ende erbrachte all das, wenig überraschend, kein klares Ergebnis: SPD und Grüne wollten in ihrem Bericht zum Teil schwerwiegende Verfahrensfehler und Rechtsverstöße erkannt haben (was die Grünen – siehe oben – nicht davon abhielten, nach der Landtagswahl eine Regierungskoalition unter einem Ministerpräsidenten Volker Bouffier einzugehen).
Die Fraktion der Linken schrieb in ihrem Abschlussbericht, Bouffier wie auch sein Nachfolger im Amt des Innenministers, Boris Rhein, hätten „die Öffentlichkeit belogen”.
CDU und FDP dagegen, sie bildeten damals die Regierungskoalition, sahen alle Vorwürfe als „unzutreffend und haltlos” an. So tat der CDU-Abgeordnete Holger Bellino in seiner Abschluss-Pressemitteilung wie gewohnt krakeelig kund: „Sämtliche Vorwürfe der Opposition sind wie ein Kartenhaus in sich zusammengebrochen”. Fakt sei, dass es keine rechtswidrige Bevorzugung eines Bewerbers gegeben habe: „Der sehr detaillierte und professionelle Abschlussbericht belegt dies eindrücklich.”
Wer hatte recht, was war denn nun wahr?
Die Antwort lässt sich am besten am Ausgang eines Gerichtsverfahrens ablesen, das denn auch der Abschluss dieser Polit-Affäre war: Der Polizeibeamte, der von Volker Bouffier bei der Beförderung übergangen worden war, verklagte das Land auf Schadenersatz. Im Juli 2015 – fünf Jahre nach meinem Bericht „Bouffiers Freundschaftsdienste” – schlossen die beiden Parteien vor Gericht einen Vergleich: Das Land musste dem Beamten 50.000 Euro überwiesen.
Den Mann wird’s gefreut haben: Er lebte schon längst im Ruhestand.