Innenminister Volker Bouffier steht erneut im Mittelpunkt einer Polizei-Affäre: Gegen ausdrücklichen richterlichen Beschluss hat er einen Parteifreund in eines der wichtigsten Polizeiämter Hessens befördert. Ein Gericht bescheinigte ihm daraufhin „grob rechtswidriges“ Verhalten; ein ranghoher Polizeibeamter will jetzt Klage einreichen.
Es ist gerade ein paar Tage her, da konnte Innenminister Volker Bouffier (CDU) die wahren Hintergründe einer seiner Personalentscheidungen in dieser Zeitung nachlesen: Er hatte Hermann Josef Klüber (54) zum zweithöchsten Polizeiführer Hessens befördert, einen Juristen aus Jena, der polizeilich als relativ unerfahren gilt und dem die größte thüringische Polizeigewerkschaft zum Abschied ein „Wir sind froh, dass er weg ist“ hinterherrief. Dafür aber ist Klüber CDU-Mitglied und, noch besser, Mandant der Bouffier-Anwaltskanzlei in Gießen. Der Minister, der diese Details zuvor allesamt unterschlagen hatte, wies den Bericht als „absurd und konstruiert“ zurück.
Daraufhin meldeten sich mehrere Polizeibeamte und behaupteten, die umstrittene Minister-Entscheidung sei kein Einzelfall. Bouffier habe einen weiteren hochkarätigen Führungsposten mit einem ihm nahestehenden Parteifreund besetzt. Er sei deshalb sogar von einem hessischen Gericht wegen rechtswidrigen Handelns abgewatscht worden. Und ein Polizeiführer klage jetzt: Er verlange nach dem Bouffierschen Vorgehen Schadenersatz vom Land Hessen…
Auch all dies nur „absurd und konstruiert“? Alles nur wilde Gerüchte?
Mitnichten! Alles wahr!
Zentrum der wohl einzigartigen Polizeiaffäre ist die „Mudra-Kaserne“ in Mainz-Kastel, das Hauptquartier der hessischen Bereitschaftspolizei. Deren Chef – er darf sich mit dem Titel eines Präsidenten schmücken – ging 2008 in den Ruhestand. Innenminister Bouffier hatte angeblich schon zu diesem Zeitpunkt einen Nachfolger ausgeguckt: Hans Langecker, Jahrgang 1952, damals Vizepräsident des Polizeipräsidiums Mittelhessen.
Nur ein Kandidat – das ist kein Problem. Doch dann warf überraschend der zweite Mann der Bereitschaftspolizei seinen Hut in den Ring: Vizepräsident Wolfram Ritter (58), ein allseits anerkannter Polizeiexperte, ein Mann mit langjährigen operativen und administrativen Erfahrungen, bewarb sich ebenfalls um den Chefposten.
Bei zwei Bewerbern wurde ein Auswahlverfahren notwendig, also eine offizielle Überprüfung, welcher Kandidat der bessere ist.
Die Entscheidung fiel, wen wundert’s, zugunsten Langeckers aus. Der unterlegene Ritter meldete jedoch Zweifel an und wollte, was sein gutes Recht ist, das Verfahren juristisch hinterfragt wissen.
In erster Instanz, vorm Verwaltungsgericht Wiesbaden, wurde der Ablauf der Bewerber-Überprüfung für ordnungsgemäß erklärt. In der nächsthöheren Instanz aber bekam Ritter umfassend recht: Das Auswahlverfahren sei mit groben Mängeln behaftet gewesen, urteilte der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Kassel. Unter anderem fehlten bei beiden Bewerbern die Beurteilungen für mehrere Jahre, die jedoch, so will es die Vorschrift, lückenlos hätten vorliegen müssen.
Der Beschluss des VGH vom 1. Dezember 2008 trägt das Aktenzeichen 1 B 1766/08 und lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Dem Minister wurde – so wörtlich! – „untersagt“, seinen Wunschkandidaten vor Abschluss eines neuen Auswahlverfahrens auf dem Präsidentenstuhl zu platzieren. Dieser Gerichtsbeschluss, so hieß es auch, sei „unanfechtbar“.
Ein neues Auswahlverfahren aber fand nie statt. Hessens Bereitschaftspolizei wurde vorübergehend kommissarisch von Manfred Tecl geführt, der im Hauptberuf die Polizeischule leitet und den Doppeljob schon mal als „außerordentliche Belastung“ bezeichnete.
Monatelang tat sich gar nichts. Dann, im Juli letzten Jahres, bestellte der Innenminister überraschend Wolfram Ritter ein.
Es war 8.45 Uhr, notierte Ritter später in einer Eidesstattlichen Erklärung, als der Minister ihm gegenüber erklärt habe, er (Bouffier) sei im Rahmen eines ihm zustehenden Ermessensspielraums berechtigt, die Stelle auch entgegen der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zu besetzen. Und er gedenke dies auch zu tun – mit Langecker.
Im Klartext: Der Minister kündigte an, einen Gerichtsbeschluss vorsätzlich zu missachten. Wolfram Ritter informierte umgehend seinen Anwalt, der wiederum alarmierte das Gericht und wollte im Eilverfahren die angekündigte Personalentscheidung stoppen lassen. Doch wenig später musste er sich vom zuständigen Richter sagen lassen: Zu spät! Langecker sei bereits um acht Uhr zum Polizeipräsidenten ernannt worden!
Es fällt schwer zu glauben, dass ein Innenminister einen Polizeiführer unter Missachtung eines Gerichtsbeschlusses ernennt – und einem seiner ranghöchsten Beamten die Unwahrheit direkt ins Gesicht sagt. Die Faktenlage aber ist eindeutig. Im gerichtlichen Abschlussbericht zum Verfahren des ausgebooteten Bewerbers diktierte der Richter dann noch diese Notiz: Innenminister Volker Bouffier habe sich „grob rechtswidrig“ verhalten. Aus diesem Grund müsse sich Wolfram Ritter nicht an den Verfahrenskosten beteiligen, die müsse das Land Hessen allein tragen.
Das Dokument ist beim Verwaltungsgericht abgelegt unter dem Aktenzeichen 8 L 831/09.
Warum, fragt man sich seither in Hessens Polizei, glaubt der Innenminister, sich nicht an geltende Verfahrensregeln halten zu müssen? Warum missachtet er vorsätzlich einen eindeutigen Gerichtsbeschluss?
Die Antwort wird gleich nachgereicht: Bouffier habe, wieder einmal, einem willfährigen Parteifreund zur Karriere verholfen. Langecker sei mit dem Minister bestens bekannt: Als Vizepräsident von Mittelhessen residierte er „zufällig“ in Gießen, also dort, wo Bouffier mit Frau und Kindern lebt. Langecker, der mit seiner Familie im nahen Rabenau-Londorf wohnt, gehört zudem der CDU-Fraktion des Gießener Kreistags an. Dort saß er lange Zeit „Seit an Seit“ mit Ursula Bouffier. Das ist die Ehefrau seines Ministers.
Man kennt sich, man schätzt sich. Reicht das für eine Top-Karriere bei Hessens Polizei?
Bouffiers Sprecher im Wiesbadener Innenministerium, Michael Bußer, tat sich sichtlich schwer, zu dem Fall Stellung zu nehmen. Die Qualifikation von Herrn Langecker stehe außer Frage, erklärte er schließlich wortkarg, und auch das Kabinett habe der Besetzung zugestimmt. Zum zweiten Bewerber könne er gar nichts sagen, weil dessen Rechtsstreit vor Gericht geklärt werden müsse.
Das stimmt. Wolfram Ritter, so bestätigte sein Anwalt gegenüber dieser Zeitung, wolle das Land verklagen. Nachdem der Minister seine Bewerbung „grob rechtswidrig“ missachtet habe, wolle Ritter jetzt Schadenersatzansprüche geltend machen. Sprich: Das Land Hessen soll ihm die Differenz zum entgangenen Gehalt erstatten.
Das Land Hessen? Am Ende sind’s wir Steuerzahler, die zahlen müssen…
Erschienen in der FNP am 08.03.2010