Oppenheim: Investor für Problem-Immobilie gesucht – dringend!

Ist die Oppenheimer Wohnungsbaugesellschaft HGO am Ende? Hartnäckig hält sich der Verdacht: Das Gradinger-Projekt, bei dem die Kosten bekanntlich um mehrere Hunderttausend Euro gestiegen sind, könnte das Aus für das Unternehmen bedeuten. Längst macht das böse Wort „Pleite“ die Runde. Und jetzt heißt es auch noch, die HGO habe zwei Sanierungsberater mit Spezial-Knowhow engagiert: Es handele sich um Experten für notleidende Baufinanzierungen und Insolvenzen, ausgerechnet! Im städtischen Rathaus bereitet man sich auf das Schlimmste vor.

So mancher Oppenheimer hat in diesen Tagen unangenehme Post bekommen. Die Gemeinnützige Wohnungsbaugenossenschaft GWG verschickte die Abrechnungen der Betriebskosten für 2017. „Ich wohne seit mehr als zwanzig Jahren in einer GWG-Wohnung“, sagt ein älterer Herr, der eine kleine 45-Quadratmeter-Wohnung im Baumschulweg gemietet hat. „Ich war immer sparsam, habe nie Nachzahlungen bekommen – bis jetzt.“

Knapp 140 Euro fordert die GWG von ihm: Das kann einem Rentner, der mit jedem Cent rechnen muss, ganz schön weh tun!

Kein Einzelfall. Der Mann hat sich die Kostenaufstellung der GWG genauer angeschaut – und den Preistreiber entdeckt: 10.475 Euro will die GWG in der 18-Parteien-Wohnanlage allein für Gebäude- und Straßenreinigung ausgegeben haben. Das macht fast 1000 Euro pro Monat! „Das gab’s noch nie“, sagt der Mieter. „Dieser Posten taucht zum ersten Mal in unserer Abrechnung auf.“ Seine Nachbarn hätten bereits einen Anwalt beauftragt und wollten dagegen vorgehen.

So wird das Erbe der Marcus-Held-Ära zum bösen Fluch für Oppenheim. Der „kleine Mann“ muss bluten. Der große Zampano aber ist abgetaucht. Unlängst ward er noch einmal gesehen, mit seiner alten Clique speiste er in einem Restaurant am Rathaus. Ansonsten soll er in Berlin leben. Und verdient dank SPD-Bundestagsmandat weiter fünfstellig, nennt das auch noch „Diät“.

Wühlarbeit im morastigen Sumpf

Wir sind wieder in Oppenheim, wo man sich müht, die Hinterlassenschaften des im Frühjahr dieses Jahres geschassten Stadtbürgermeisters Marcus Held aufzuarbeiten. Ein morastiger Sumpf hat sich aufgetan. Die kleine Rathaus-Mannschaft unter Neu-Bürgermeister Walter Jertz sichtet die Unterlagen in den Aktenschränken – besser: das, was man vorgefunden hat. Eine erste Erkenntnis: „Verträge von Marcus Held, die wir bisher einsehen konnten, sind unsagbar schlecht – für die Stadt“, sagt Jertz.

Ob Parkplätze, ob Landskronhalle – stets machen die Unternehmen einen guten Schnitt. Wem das nützt? Nicht selten, dass profitable Unternehmen sich spendabel zeigen – idealerweise die steuerliche Abzugsfähigkeit von Spenden, auch Parteispenden, nutzend. Wir wissen es nicht, jedenfalls nicht in diesen Fällen.

Die Stadt allerdings schaut in die Röhre. Verträge, die der Volljurist Held abschloss, sind zudem oftmals so formuliert, dass die Stadt aus ihnen nicht ohne weiteres herauskommt.

Der ganze Gradinger Deal – ein einziges Fiasko

Über Helds Tricksereien beim Gradinger-Projekt ist schon vieles geschrieben worden (zum Beispiel hier): Der frühere SPD-Stadtbürgermeister hatte seinem alten Kumpel Gradinger ein heruntergekommenes Möbelhaus in der Vorstadt abgekauft – und dabei erst einmal der Frau seines Parteifreundes und Amtsvorgängers Erich Menger eine fette Maklerprovision zukommen lassen. Auf Kosten der Stadt, versteht sich.

Das aber war nur der Anfang:

Held verkündete vollmundig großzügige Landeszuschüsse zu den Abrisskosten, was sich später als windige Luftnummer erwies. Unter seiner Federführung geriet auch die Vergabe der Abbrucharbeiten zu einer dubios-undurchschaubaren Farce mit erkennbaren Unregelmäßigkeiten. Später explodierten die Abriss-Kosten: Ein Gutachterbüro, das angeblich die Bausubstanz geprüft hatte, soll sich gewaltig geirrt haben, versehentlich natürlich.

Hintenherum schob Marcus Held derweil Vertragsentwürfe zwischen der Stadt (deren Bürgermeister er war) und der GWG (deren Vorstand er war) sowie deren Tochtergesellschaft HGO (deren Geschäftsführer er war) hin und her: Er wolle auf dem Gradinger-Grundstück, ließ er via Lokalzeitung verbreiten, sozial verträglichen Wohnraum schaffen.

Schöne Sprüche – leider allesamt ohne Substanz. Am Ende hatte selbst Held offenbar keinen rechten Durchblick mehr. Der Kaufvertrag, den er schließlich im Namen der Stadt mit „seiner“ HGO abschloss, war schwer fehlerbehaftet: Auf die Stadt wären, trotz gegenteiliger Versprechungen, horrende Kosten zugekommen. Als die teuren Vertragsdetails auf der Webseite zum Oppenheim-Skandal aufgedeckt wurden, reagierte Held wie gewohnt hinterm Rücken des Stadtrates, änderte kurzerhand den Vertrag und überzog nunmehr die HGO mit der überbordenden Kostenlast – was ihm ein weiteres Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft einbrockte…

Held-Anhänger in GWG/HGO tricksen weiter

Tempi passati! Doch die Vergangenheit wirkt nach, bis in die Gegenwart. Und da müssen wir feststellen: Die Probleme um das Gradinger-Projekt wollen einfach kein Ende nehmen. Die Stadt hat inzwischen rund 1,8 Millionen Euro für Ankauf und Abriss des alten Möbelhauses ausgegeben. Seit Monaten soll das Grundstück der HGO übergeben werden, das Unternehmen müsste im Gegenzug vertragsgemäß sämtliche Kosten der Stadt übernehmen – und könnte umgehend mit dem Bau des versprochenen Mehrfamilienhauses beginnen.

Die GWG- und HGO-Zentrale in der Rheinstraße in Oppenheim.

Aber was passiert? Die neuen Verantwortlichen in der GWG und HGO, allesamt bekennende Held-Anhänger, machen weiter wie ihr einstiger Polit-Führer: Sie tricksen. Warum nur?

Die Stadt droht wieder Schaden zu nehmen. Doch die Verantwortlichen bei GWG und HGO reagieren, wie es ihnen Held stets vorgemacht hat: Das Wohl der Stadt? Interessiert überhaupt nicht!

Walter Jertz erklärt, wo die neuen Probleme liegen: Im Kaufvertrag hatte Held als Verkäufer und zugleich Käufer drei Punkte festschreiben lassen, die von der Stadt vor Übergabe des Grundstücks erledigt werden müssten. Im Vertragsabschnitt IV („Besitz, Nutzen und Lasten“) heißt es wörtlich:

  • Das Grundstück wird vollständig geräumt (inkl. Oberflächenbeläge) übergeben.
  • Die Bodenplatte des Altgebäudes wird perforiert und verbleibt im Boden, ebenso wie Teile der Wände.
  • Entlang des Kautzbrunnenweges und des Weges zur Bahnunterführung werden die Außenwände bis ca. 40 cm unter das Niveau der angrenzenden Straßenoberkante abgebrochen.

Jertz sagt heute: Diese Forderungen umzusetzen mache überhaupt keinen Sinn, ganz im Gegenteil!

Die Stützmauer zu beseitigen sei theoretisch gar kein Problem, allerdings könne dann der Kautzbrunnenweg wegbrechen. Die HGO müsse, würde man diese Vertragsbedingung erfüllen, erst den Abriss bezahlen (über den späteren Kaufpreis) – und anschließend die abgerissene Stützmauer wieder aufbauen. Was soll das?

Die Bodenplatte zu perforieren sei ebenfalls möglich. Aber dann könne Druckwasser von unten durchdringen, und die HGO müsse als neue Grundstückseigentümerin sofort weitere – und sicher teure – Maßnahmen einleiten.

Und selbstverständlich könne die Stadt die noch vorhandene Verpflasterung beseitigen, auch das kein Problem, die HGO müsse ja am Ende sämtliche Kosten übernehmen. Allerdings müsse die HGO, wenn’s erst mit dem Bauen losgehe, die Verpflasterung wieder erneuern, weil sie von den künftigen Baufirmen benötigt werde.

Fachleute hätten Held damals auf die drohenden Probleme bei einer Umsetzung der drei Vertragspunkte hingewiesen, heißt es im Rathaus. Der damalige Stadtbürgermeister habe sich einsichtig gezeigt und zugesagt – vor Zeugen! –, dass die Arbeiten von der Stadt nicht erfüllt werden müssten: Die Nicht-Erfüllung, hatte Held ganz richtig erkannt, sei zudem nur zum Vorteil „seiner“ HGO.

So stellte sich die HGO den geplanten „Gradinger Wohnpark“ vor. Die Wohnungen wurden bereits zeitweilig im Internet zum Kauf angeboten.

Mündliche Held-Zusagen will HGO nicht akzeptieren

Das Problem heute: Held hat das alles nur mündlich zugesagt. Darüber existiert kein Schriftstück, schon gar keine notariell beurkundete Vereinbarung, wie sie zur Ergänzung eines Immobilien-Kaufvertrages notwendig wäre.

Die Verwaltung der Verbandsgemeinde hat der HGO inzwischen den Entwurf eines Zusatzvertrages zukommen lassen: So könnte man das Problem jetzt ordentlich und zügig lösen. Aber die HGO-Verantwortlichen lehnten bisher ab: Es seien noch Fragen offen.

Das sieht nicht nach schnellstmöglicher Problemlösung aus. Das nährt vielmehr den Verdacht, die HGO wolle die Übergabe des Grundstücks verzögern, möglichst lange.

Im Rathaus fürchtet man inzwischen, dass die Verantwortlichen der HGO auf Zeit spielen, weil das Unternehmen nicht in der Lage sei, den Kaufpreis zu entrichten. Stadtbürgermeister Jertz sagt auch, dass man auf keinen Fall unsinnig weitere städtische Gelder ausgeben wolle, wenn die Gefahr nicht auszuschließen sei, dass man anschließend auf dem Grundstück sitzen bleibe.

Kaufpreis liegt bei 1,8 Millionen Euro – mindestens

Die Fronten haben sich, so scheint’s, verkantet. Die Stadt hat inzwischen für das Gradinger-Projekt bereits mehr als 1,8 Millionen Euro ausgegeben. Die Kosten setzen sich wie folgt zusammen: 580.000 Kaufpreis, 34.500 Euro Maklerprovision, 35.500 Euro Nebenkosten. Der Abriss kostete weitere 1,012 Million Euro zuzüglich 73.000 Euro Bauleitung plus 67.000 Beweissicherung.

Macht zusammen 1,802 Millionen Euro. Der Betrag dürfte vermutlich noch ein wenig steigen, die Schlussabrechnung liegt noch nicht vor, und Zinsen kommen vermutlich auch noch obendrauf.

Vielleicht wird’s etwas günstiger: Das Land hat einen 300.000-Euro-Zuschuss versprochen, will das Geld aber erst zahlen, wenn die juristischen Probleme um Held endgültig geklärt sind. Das Geld wird wohl fließen, aber das kann natürlich noch lange dauern.

Die Ratsmitglieder sollen in ihrer Sitzung an diesem Dienstag (28. August) zudem entscheiden, ob die Stadt einen Anwalt engagiert, um Schadensersatz vom Gutachterbüro zu fordern: 200.000 bis 300.000 Euro soll das bringen. Allerdings dauert so ein Prozess in der Regel sehr lange, und der Ausgang ist völlig offen.

Sehen wir’s positiv: Im günstigsten Fall kostet das Gradinger-Grundstück am Ende rund 1,2 bis 1,3 Millionen Euro.

Ist das immer noch zu viel für die HGO?

Jertz hat seine Marschroute festgelegt: „An diesem Dienstag tagt der Stadtrat. Da werde ich – auch auf Anraten der Verbandsgemeindeverwaltung – beantragen, den Gradinger-Vertrag jetzt erst einmal von einem Rechtsanwalt überprüfen zu lassen.“ Die Auseinandersetzung zwischen Stadt und HGO sei inzwischen überaus komplex geworden, man benötige zwingend juristische Hilfe.

Was machen Insolvenz-Experten bei der GWG/HGO?

Wir würden natürlich schon jetzt gerne wissen: Wie brisant ist die Lage bei der GWG/HGO wirklich? Ist das Unternehmen wirklich so klamm, wie überall gemunkelt wird? Eigentlich müsste bei all der Bautätigkeit in den vergangenen Jahren doch ordentlich Geld in der Kasse sein. Wo, bitte, ist das nur geblieben? 

Aber es gibt keine Informationen. Die GWG/HGO-Verantwortlichen – wir kennen sie, sie sitzen auch im Stadtrat: Marco Meidinger, Helmut Krethe, Marc Sittig – schotten sich ab. Das gilt nicht nur für Journalisten: Auch im Rathaus heißt es, man erfahre nichts.

Wir erreichen Helmut Krethe am Telefon. Der Mann spielt eine sehr suspekte Doppelrolle: Er sitzt als Beigeordneter im Rathaus und sollte vertrauensvoll mit dem neuen Stadtbürgermeister zusammenarbeiten – hat sich aber zugleich im Vorstand der GWG/HGO einbinden lassen und vertritt damit Positionen gegen die Interessen der Stadt. Er will nichts sagen, sagt nur: „Ich sage nichts, kein Wort.“ Er fügt dann noch hinzu: „Und Ihnen sage ich schon gar nichts.“

Schade! Es gibt doch so viele Themen, über die man dringend reden sollte: Angeblich soll ein erstes Geldinstitut unruhig geworden sein und die Fälligstellung hoher Verbindlichkeiten per Ende September angekündigt haben. Ist das nicht ein äußerst bedrohliches Szenario für das Unternehmen? Es wäre interessant zu wissen, was da wirklich läuft, aber Krethe sagt: „Ich sage nichts.“

Und die HGO könnte – besser: müsste – Deckung erlangen aus der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen Marcus Held, doch Krethe sagt: „Ich sage nichts.“

Und dann sickerte durch, dass zwei Experten engagiert wurden, die dem Unternehmen aus dem Desaster heraushelfen sollen. Bezeichnend: Das Team, bestehend aus einer Bankbetriebswirtin und einem Rechtsanwalt, die Frau kommt aus Hofheim, der Mann aus Frankfurt – sie gelten als Spezialisten für die Abwicklung von Problem-Immobilien, notleidenden Krediten und Insolvenzen. Es wäre schon interessant zu wissen, warum ausgerechnet solche Berater zum jetzigen Zeitpunkt engagiert wurden. Aber Krethe blockt jede Frage ab: „Ich sage nichts.“

Im Rathaus will man gehört haben, dass die HGO seit einiger Zeit auf der Suche nach einem Investor sei. Der solle das Gradinger-Grundstück erwerben und bebauen – schon sei die Welt wieder in Ordnung…

Einen Investor zu finden dürfte jedoch bei diesem Bauprojekt nicht mehr ganz so einfach sein: Wer kauft für deutlich über eine Million Euro ein Grundstück, auf dem die HGO zu bauen sich nicht leisten kann? Lässt sich angesichts der horrenden Grundstückskosten ein Neubau überhaupt noch wirtschaftlich realisieren?

Die Stadt, sagt Walter Jertz, müsse unbedingt anfangen, einen Plan B vorzubereiten. „Was ist, wenn die HGO nicht bezahlt? Dann sitzt die Stadt auf Ausgaben in Höhe von nahezu zwei Millionen.“ Und auf einer Brache in bescheidener Neubaulage.

Es ist also jetzt wirklich ganz dringend: Ein potenter Investor wird gesucht! Für den Oppenheimer Kautzbrunnenweg in bester Bahnlage. Wer traut sich?

 


Info: Stadtrat soll heute drei Anwälte genehmigen

An diesem Dienstag, 28. August, tagt der Oppenheimer Stadtrat ab 19 Uhr im Rathaus. Unter anderem wird die Verwaltung zum „Sachstand Gradinger“ vortragen (die Tagesordnung ist hier zu finden).

Interessante Themen stehen zu später Stunde an, allerdings nicht-öffentlich. Die Stadt will gleich in drei Fällen Rechtsanwälte engagieren:

Es geht um das Gutachterbüro, das die Gradinger-Abbruchkosten viel zu niedrig geschätzt hatte: Es soll Schadensersatz zahlen.

Der zweite Fall betrifft die Makler-Firma G-A-J GmbH, die beim Verkauf von Grundstücken in Krämereck-Süd mehr als 200.000 Euro Provision kassiert hatte, angeblich ohne Rechtsgrundlage.

Der dritte Fall ist der wichtigste und sicherlich spannendste: Die Stadt will – in diesem Fall mit Unterstützung der Kreisbehörde – beamtenrechtlich gegen Marcus Held vorgehen. Es geht um Regressforderungen wegen ungerechtfertigter Bereicherung und Pflichtverletzung im Amt.

Guntersblum: Kindergärtnerin klagt gegen Ortsbürgermeisterin

Was ist nur in Guntersblum los? Unlängst deckten wir Probleme bei einem geplanten Seniorenheim auf: Die Ortsbürgermeisterin hat sich auf einen undurchsichtig agierenden Investor eingelassen, zugleich droht der Gemeinde eine 100.000-Euro-Klage – das kann richtig teuer werden! Jetzt erfuhren wir: Claudia Bläsius-Wirth hat sich noch weiteren juristischen Ärger eingehandelt! Sie feuerte eine Kindergarten-Helferin – ohne zwingenden Grund, mit fehlerbehaftetem Schreiben, also ziemlich stümperhaft. Der Fall liegt inzwischen vor Gericht, wo die Rathaus-Chefin einen wenig überzeugenden Eindruck hinterließ: Der Gemeinde droht eine unangenehme – und auch hier wohl wieder: teure – Schlappe.

Über 50 Arbeitsverträge von der Gemeinde

Silke S. gilt als beliebt bei Guntersblumer Kindern und Eltern. Jahrelang setzte die Gemeinde die gelernte Bäckerei-Fachverkäuferin als Helferin in der Kindertagesstätte „Spatzennest“ ein, immer wieder nur befristet: Mehr als 50 Arbeitsverträge („Kettenverträge“) wurden der 47-Jährigen in nur wenigen Jahren gegeben. „Die ständige Unsicherheit macht einen auf Dauer fertig“, vertraute sie mal einer Freundin an. „Du weißt nie, was morgen passiert, ob sie dich weiter beschäftigen – oder aussortieren.“

Anfang letzten Jahres war Silke S. sogar wochenlang ganz ohne Vertrag im Einsatz. Der Grund: Schlamperei im Rathaus – man hatte sie schlichtweg vergessen. Da ging sie erst zu einer Rechtsanwältin und dann zur Ortsbürgermeisterin und verlangte, was ihr von Rechts wegen zusteht: die Festeinstellung.

Claudia Bläsius-Wirth kannte die Gesetzeslage. Sie gab Silke S. einen Vertrag: als Teilzeitbeschäftigte, mit 30 Stunden pro Woche, bezahlt nach dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes. Und vor allem: unbefristet.

Und nun: Alles gut?

Von wegen!

Der Kindergarten „Spatzennest“ in Guntersblum.

Als Springerin eingesetzt: eine Strafaktion?

Eine „kleine“ Kindergartenhelferin hatte es gewagt, der „großen“ Ortsbürgermeisterin im 3900-Seelen-Dörfchen Guntersblum einen unbefristeten Vertrag abzutrotzen! Das wollte die Rathaus-Chefin, der ihre Kritiker eine „Selbstherrlichkeit im Amte“ vorhalten, offenbar nicht auf sich sitzen lassen: Das vermeintlich unbotmäßige Verhalten der Mitarbeiterin sollte, dieser Verdacht steht heute im Raum, mit aller Härte abgestraft werden.

Zunächst wurde Silke S., kaum hatte sie den unbefristeten Arbeitsvertrag in der Tasche, als „Springerin“ eingesetzt. Heute hier, morgen da – ständig neue Kindergärten, neue Kinder, neue Kollegen. „Wenn man gerne mit Kindern arbeitet, ist so ein Job entwürdigend“, sagt eine Kita-Leiterin (aus Angst vor Rathaus-Repressalien bat sie darum, ihren Namen nicht zu nennen). „Und es ist auch zermürbend: Als Springerin kriegst du keinen richtigen Kontakt zu Kindern und auch nicht zu Eltern, du kannst an keinem Projekt mehr teilnehmen, bist ständig unterwegs…“ Frau Bläsius-Wirth habe das so verlangt, sagt die Kita-Chefin auch: Silke S. habe sich die Festanstellung erschlichen, habe die Ortsbürgermeisterin bei einem Leitungstreffen gesagt, nun müsse sie die Konsequenzen tragen.

Damit nicht genug: Kurz nach Vertragsunterzeichnung zog Claudia Bläsius-Wirth im Rathaus eine Akte aus dem Schrank. Es handelte sich um die so genannte „Fachkräftevereinbarung für Kindertagesstätten“. Die existiert bereits seit 2013, gilt für ganz Rheinland-Pfalz und sieht vor, dass in Kindergärten möglichst nur noch ausgebildete Fachkräfte eingesetzt werden sollen; Ausnahmen sind übrigens, das ist wichtig, ausdrücklich erlaubt!

Eine selbst geschriebene „Maxime“ als Job-Killer

Vier Jahre lang war dieses Schriftstück in Guntersblum nicht beachtet worden – jetzt sollte es plötzlich richtungsweisend sein: Auf Grundlage der sechsseitigen Vereinbarung notierte die Rathaus-Chefin auf einer Din-A-4-Seite ein paar Eckpfeiler, die fortan für die Kita-Arbeit in ihrer Gemeinde gelten sollten. Sie schrieb „Maxime“ obendrüber und unten drunter vier Namen: Sie selbst unterschrieb, außerdem ihre drei Beigeordneten.

Die „Maxime“ des Rathauses, unterschrieben von der Ortsbürgermeisterin und ihren Beigeordneten.

Alle Erzieherinnen, so war da zu lesen, sollten jedes Jahr eine Hospitanz in einem anderen Kindergarten machen. Überstunden seien „in der Regel“ auszuzahlen. Und Erzieherinnen sollten nicht mehr in einem Kindergarten eingesetzt werden, in dem ihr eigens Kind untergebracht ist.

Der zentrale Satz der „Maxime“ steht gleich obenan, er lautet: „Die Kitas arbeiten ausschließlich mit qualifiziertem Personal.“

Mit diesem einen Satz, so muss Claudia Bläsius-Wirth geglaubt haben, habe sie den entscheidenden Hebel in der Hand. Die „Maxime“ als Helferinnen-Killer: Mit diesem Satz könne sie sich der Mitarbeiterin entledigen, die ihr, der Ortsbürgermeisterin, eine Festeinstellung abverlangt habe.

Peinliche Fehler in der Kündigung

Am 17. Mai dieses Jahres war der Tag gekommen: Die Rathaus-Chefin übergab das Kündigungsschreiben an Silke S. – fristgerecht, wie sie glaubte, zum 30. Juni. Dummerweise hieß es in dem Schreiben, der Personalrat habe zugestimmt. Das war, ganz schön peinlich, natürlich falsch: Der Personalrat hatte die Kündigung lediglich zur Kenntnis genommen. Die Ortsbürgermeisterin schrieb, als der Fehler bemerkt wurde, flugs eine neue Kündigung, fuhr abends persönlich am Haus von Silke S. vorbei und warf das Schreiben in deren Briefkasten.

Es ist vermutlich noch ein zweiter Fehler passiert: Frau S. arbeite seit Juli 2013 für die Gemeinde, also noch keine fünf Jahre, weshalb die Kündigungsfrist nur sechs Wochen betrage – so argumentiert die Rathaus-Chefin heute. Doch ist wirklich wahr, was sie da behauptet?

Auf allen Personalpapieren von Silke S. – die meisten liegen bei der VG-Verwaltung, wir haben diverse einsehen können – wird der 4. Februar 2013 als Eintrittsdatum genannt: Demnach arbeitet die Helferin schon mehr als fünf Jahre für die Gemeinde. Und damit beträgt ihre Kündigungsfrist laut Tarifvertrag drei Monate.

Das Rathaus in Guntersblum – es liegt direkt neben der katholischen Kirche.

Solche „Petitessen“, die Rückschlüsse auf die Qualität der Verwaltungsarbeit im Guntersblumer Rathaus erlauben, blieben außen vor, als der Fall jetzt vorm Arbeitsgericht in Mainz landete. Claudia Bläsius-Wirth musste erscheinen, ihr zur Seite standen eine Mitarbeiterin der Verbandsgemeinde sowie eine Rechtsanwältin vom Kommunalen Arbeitgeberverband.

War die Lokalzeitung, bekannt für obrigkeitszentrierte Berichterstattung, über diesen Termin nicht informiert worden? Oder war ihr das Thema zu heikel? Jedenfalls war kein AZ-Reporter im Gerichtssaal anwesend. Bisher ist noch keine Zeile darüber in der Zeitung zu lesen gewesen. Das Thema wurde unter Verschluss gehalten – bis heute. 

Anwältin: Kündigung war Maßregelung

Auf der Kläger-Seite saß Silke S. mit ihrer Mainzer Rechtsanwältin Verena Schnatterer. Die gilt als erfahrene Arbeitsrechtlerin, und sie redete Klartext: Im Februar 2017 habe Silke S. ihren unbefristeten Vertrag verlangt und bekommen. Unmittelbar danach, im März 2017, habe die Ortsbürgermeisterin mit der Erarbeitung ihrer „Maxime“ begonnen, und zwar auf Grundlage einer vier Jahre alten Fachkräftevereinbarung. Für die Juristin war es eindeutig: „Diese Kündigung war eine reine Maßregelung.“

Es gibt darüber hinaus eine zentrale Schwachstelle in der Argumentation der Ortsbürgermeisterin, die von der Richterin sofort erkannt und schonungslos aufgedeckt wurde: Es arbeitet mindestens eine weitere Nicht-Fachkraft in Guntersblumer Kindergärten. Warum wurde diese Helferin nicht ebenfalls entlassen, wenn man in der Gemeinde doch nur noch Fachkräfte zu den Kindern lassen will?

Claudia Bläsius-Wirth,  die selbst unter Parteifreunden als beratungsresistent gilt, sagte vor Gericht, man habe eine „Sozialauswahl“ getroffen. Die zweite Helferin sei alleinerziehend, deshalb wolle man sie weiterhin beschäftigen.

Die CDU-Ortsbürgermeisterin musste sich daraufhin mehrmals von der Richterin sagen lassen: Natürlich habe ein Arbeitgeber das Recht, die grundsätzliche Qualifikation seiner Mitarbeiter festzulegen. Aber das gelte dann für alle, könne nicht zu beliebigen Einzelfall-Entscheidungen führen. Die Richterin sprach von „Schlangenlinien“ der Gemeinde: „Das sehe ich sehr skeptisch.“

Personal-Kuddelmuddel in Kindergärten

Kleiner Einschub: Die zweite Kita-Helferin soll unmittelbar nach der Festanstellung von Silke S. erst zu einem Rechtsanwalt und dann ins Rathaus gegangen sein und von der Bürgermeisterin ebenfalls einen unbefristeten Vertrag gefordert haben. Diese Helferin hatte zuvor bereits mehr als 100 (in Worten: einhundert!) befristete Arbeitsverträge von der Gemeinde bekommen.

Claudia Bläsius-Wirth, so berichten Kita-Leiterinnen, habe der Festanstellung dieser Mitarbeiterin nach längerem Zögern zugestimmt – aber nur für zehn Wochenstunden. Davon kann eine alleinerziehende Mutter natürlich nicht leben. Kompromiss: Weitere 20 Stunden werde die Frau heute über den Vertretungspool der Verbandsgemeinde eingesetzt, heißt es. Und von dort werde sie seither, obwohl „nur“ Helferin, regelmäßig in Guntersblumer Kitas eingesetzt…

Claudia Schaad, die bei der Verwaltung der Verbandsgemeinde für Kita-Personalthemen zuständig zeichnet, will sich zu diesem personellen Kuddelmuddel nicht äußern. Wenn eine Ortsgemeinde eine „Maxime“ aufstelle, wonach in Kindergärten nur noch qualifiziertes Personal arbeiten dürfe, sei das Sache der Ortsgemeinde. 

Frage: Wie ist das in den anderen Orten der Verbandsgemeinde geregelt? Gibt’s da „Maximen“? Frau Schaad: „Da müssen Sie schon in den Orten nachfragen.“

Frau Schaad gibt sich sehr zugeknöpft, die Fragen scheinen ihr nicht zu behagen. Noch ein Versuch: Wie ist es zu bewerten, dass Helferinnen über den Vertretungspool in eine Gemeinde geschickt werden, die – wie Guntersblum – den Kindern keine Helferinnen mehr zumuten möchten? „Das ist Sache der Ortsgemeinde“, sagt Frau Schaad, „dazu müssen Sie die Ortsbürgermeisterin befragen“.

Liebe teure Leiharbeiter statt erfahrene Helferinnen?

Einschub 2: Es meldeten sich nach dem Gerichtstermin mehrere Guntersblumer Erzieherinnen beim Autor dieser Berichts: Claudia Bläsius-Wirth würde sich ständig in die Kindergartenarbeit einmischen, sagten sie, das sei längst unerträglich. Die „Maxime“ sei allein von der Ortsbürgermeisterin und den Beigeordneten unterzeichnet worden: „Wir Kindergarten-Mitarbeiter haben das Papier nur bekommen.“ Mitreden, soll das wohl heißen, sei nicht erwünscht gewesen.

Die Entlassung einer Helferin, sagen die Erzieherinnen unisono, sei auch  sonst in keiner Weise nachvollziehbar: Silke S., die doch an Fortbildungslehrgängen teilgenommen und sich in 160 Unterrichtsstunden zur Tagespflege für Kinder qualifiziert hat, habe stets gute Arbeit geleistet: „Das kann doch nicht plötzlich alles falsch gewesen sein!“

Auch herrsche längst bedrohlicher Personal-Engpass in den Kitas. Ohne die Helferinnen müsse man künftig noch häufiger Aushilfen aus dem Vertretungspool der Verbandsgemeinde oder über Zeitarbeitsfirmen anfordern: „Häufig werden uns dann Nicht-Fachkräfte geschickt“, sagt eine Erzieherin. Die seien nicht nur wesentlich teurer.  „Die haben oftmals den echten Nachteil, dass sie sich überhaupt nicht auskennen.“

Das Schweigen der Ortsbürgermeisterin ist beredt

Es soll noch einen weiteren Fall geben, in dem eine Kita-Mitarbeiterin  unlängst juristische Hilfe in Anspruch nehmen musste: Eine Leitungskraft sei von Claudia Bläsius-Wirth „strafversetzt“ worden, weil ihr Mann – so wird erzählt – einen Rathaus kritischen Post auf Facebook veröffentlicht habe. Monatelang sei daraufhin ein Kindergarten ganz ohne Führung gewesen.

Wir hätten Claudia Bläsius-Wirth zu alledem gerne befragt: Was ist los in Guntersblums Kindergärten? Und was ist das für eine Rathaus-Personalpolitik, die Mitarbeiterinnen dazu zwingt, sich Rat und Hilfe bei Juristen zu suchen?

Wir wollten auch fragen: Was denkt sich eine Ortsbürgermeisterin – eine christdemokratische zumal – dabei, wenn sie Mitarbeiterinnen über Jahre hinweg immer wieder nur befristete Kettenverträge gibt? Und warum sortiert sie langjährige Helferinnen, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen und offenbar stets gut mit den Kindern gearbeitet haben, nun kurzerhand auf derart ruppige Weise aus?

Anfangs zeigte sich Frau Bläsius-Wirth zu einem Gespräch bereit. Sie schlug einen Termin im Rathaus vor, sagte ihn fest zu – und dann doch kurzfristig wieder ab: Das Kellerwegfest stünde bevor, ließ sie über ihre Sekretärin mitteilen, sie müsse sich vorbereiten. Ein neuer Termin? Vorerst nicht in Sicht…

Eine schriftliche Bitte um Stellungnahme schlug ebenfalls fehl: Auf die eingesandten Fragen gab es keine Antworten, nicht mal eine Absage.

Das Feste feiern, so scheint’s, genießt einen hohen Stellenwert im Leben der CDU-Ortsbürgermeisterin. Da müssen Kita-Mitarbeiterinnen schon mal in Unsicherheit leben. Und Journalisten ohne Antworten bleiben.

So wird’s am Ende doch sehr beredt, das Schweigen der Claudia Bläsius-Wirth.

Demnächst aber wird sie reden müssen. Nachdem der erste Prozesstag, es war ein so genannter Gütetermin, keine Einigung gebracht hatte, wurde ein zweiter Termin anberaumt: Kindergärtnerin gegen Ortsbürgermeister – im November geht’s vorm Mainzer Arbeitsgericht weiter.