Der Mann lebt 3000 Kilometer von Frankfurt entfernt, sorgt aber trotzdem immer wieder für Schlagzeilen: Daniell M.-D. war Kronzeuge der hessischen Polizei gegen die Rocker und hatte dann über seine Erlebnisse in dieser Zeitung ausgepackt. Das sorgte für mächtig Ärger, auch für diese Zeitung.
Frankfurt/Wiesbaden. Es waren Berichte in dieser Zeitung, die Beamte gleich in mehreren Behörden in Bewegung versetzten: Das Wiesbadener Innenministerium schickte seinen Landespolizeipräsidenten los, „den gesamten Vorgang lückenlos aufzuklären“. Das Landeskriminalamt (LKA) Hessen leitete eigenen Angaben zufolge „umfangreiche interne Ermittlungen“ ein, verlangte schriftliche Erklärungen von allen „an dem Vorgang beteiligten hessischen Polizeibeamten“, es beauftragte zudem eine Anwaltskanzlei, presserechtlich gegen die „tendenziöse Berichterstattung der FNP“ (O-Ton Innenminister Boris Rhein) vorzugehen, und es stellte Strafanzeige wegen des Verdachts des Verrats von Dienstgeheimnissen. Damit wurde auch die Staatsanwaltschaft Frankfurt aktiv: Sie versuchte herauszufinden, wie streng geheime Informationen an die Öffentlichkeit geraten konnten.
Die Berichte über einen Kronzeugen des hessischen LKA, die Anfang des Jahres in dieser Zeitung erschienen, ermöglichten erstmals tiefe Einblicke in einen gewöhnlich hermetisch abgeschirmten Arbeitsbereich der Polizei: Danach hatte das LKA seinen Feldzug gegen kriminelle Rocker unter anderem auf Aussagen eines notorischen Schwadroneurs aufgebaut:
Daniell M.-D. war Kronzeuge der Polizei, und er wurde zudem als „Aufklärungsgehilfe“ eingesetzt, wie das Innenministerium inzwischen offiziell formuliert. Auf ausdrückliche Bitte der Hessen übernahmen Zeugenschützer des LKA Rheinland-Pfalz die Betreuung des Mannes: Die statteten ihn mit falschen Papieren („Daniel Messer“) aus, versteckten ihn in Bad Kreuznach, schickten ihn zu Sprachkursen nach Irland und f logen ihn schließlich nach Israel aus, wo er bis heute lebt.
Die Kosten für den Einsatz des zweifelhaften Gewährsmanns, das war von vornherein klar, zahlte das LKA Hessen. Also wir Steuerzahler.
Es ist an der Zeit, eine Bilanz der behördlichen Aktivitäten zu ziehen. Eine betrifft uns direkt: Diese Zeitung verpflichtete sich, einige Details, über die der Kronzeuge berichtet hatte, nicht zu wiederholen, und eine entsprechende Meldung abzudrucken (siehe „In eigener Sache“).
Das ist das Ergebnis einer Vergleichsvereinbarung mit dem LKA Hessen. Ein von der Behörde engagierter Anwalt aus Bonn hatte vor dem Landgericht Hamburg (!) wegen verschiedener Punkte in den FNP-Berichten auf Unterlassung geklagt. Der Kern der Artikelserie – dreister Hochstapler wird vom LKA Hessen als Kronzeuge genutzt, teuer alimentiert und schließlich von den rheinland-pfälzischen Zeugenschützern außer Landes gebracht, obwohl ihn ein Frankfurter Gericht gerade zu einer mehrmonatigen Haftstrafe verurteilt hat – wurde dabei in keiner Weise in Frage gestellt.
Das LKA Hessen bestritt jedoch, zum Beispiel, einzelne Aussagen und Verhaltensweisen seiner Mitarbeiter, über die Daniell M.-D. berichtet hatte. Zwar versicherte der Kronzeuge an Eides Statt die Wahrheit seiner Angaben. Das LKA aber nannte vor Gericht die Namen von Beamten, die das Gegenteil behaupteten.
Aussage gegen Aussagen: 15 Details in der zehnteiligen Artikelserie hielten am Ende einer näheren Überprüfung nicht stand.
Eine andere Aussage des Mannes hingegen bestätigte sich im entscheidenden Kern – trotz offiziellen behördlichen Dementis: Daniell M.-D. hatte berichtet, die Polizei habe ihm wiederholt Luxusfahrzeuge zur Verfügung gestellt.
Das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz (LKA RP) verbreitete daraufhin in einer Pressemitteilung: „Es entspricht nicht den Tatsachen, dass das LKA RP der Schutzperson Luxusfahrzeuge (Porsche oder Cabrio) zur Verfügung stellte. Vielmehr handelte es sich um kleinere Fahrzeuge, z. B. einen Renault Scenic und einen Audi A 3.“
Letztens, in einer nicht-öffentlichen Sitzung des hessischen Innenausschusses, musste Innenminister Boris Rhein einräumen: Der Kronzeuge fuhr doch Luxusfahrzeuge auf Staatskosten! Für Daniell M.-D. seien „hochwertige Fahrzeuge (PKW Porsche, Audi TT, BMW 320 und DB C180) für einen Gesamtbetrag von 3125 Euro“ angemietet worden, und zwar „für einsatztaktische Zwecke im Rahmen des Einsatzes als ,Auf klärungsgehilfe’“.
Manchmal muss man wohl ganz genau hinschauen, um die Wahrheit zu erkennen.
Auf Anfragen der Linken und der SPD teilte Boris Rhein (CDU) dem Innenausschuss auch mit, was der Einsatz des Kronzeugen gekostet hatte: Dessen „Alimentierung“ habe sich im Inland „an den HartzIV-Sätzen“ orientiert, im Ausland sei „ein erhöhter Satz zu Grunde gelegt“ worden.
Hartz IV für den Kronzeugen?
Der Minister nennt in seinem Bericht (Geschäftszeichen LPP 12 BeoV Nr. 21/11) erstmals konkrete Zahlen: In eineinhalb Jahren, von Mai 2010 bis Oktober 2011, gab das LKA Hessen allein für die Unterbringung des Kronzeugen 33.000 Euro aus (das sind im Schnitt mehr als 1800 Euro pro Monat).
Für die „Alimentierung“ des Mannes, also für seinen Lebensunterhalt, zahlte die Polizeibehörde weitere 32.000 Euro (macht nochmals 1700 Euro pro Monat).
Weitere Positionen auf dem polizeilichen Ausgabenzettel: 11.000 Euro Fahrtkosten. Plus 5500 Euro Verfahrenskosten. Plus 4000 Euro für medizinische Versorgung. Plus 3500 Euro Ausbildungskosten. Plus 1500 Euro Betreuungskosten.
„Die Kosten für die Maßnahmen zum Schutz des Daniell M.-D. beliefen sich im Gesamtzeitraum von eineinhalb Jahren auf insgesamt ca. 97.000 Euro“, so Boris Rhein.
Knapp 100.000 Euro einein halb Jahren: Damit kostete der Einsatz dieses Kronzeugen (die Personalkosten für Ermittler und Zeugenschützer in diversen Dienststellen nicht mitgerechnet) im Schnitt rund 5500 Euro pro Monat. Netto!
All die Maßnahmen zum Schutz des Zeugen und damit natürlich auch die hohen Ausgaben seien „grundsätzlich in enger Abstimmung mit der sachleitenden Staatsanwaltschaft“ erfolgt, so der Innenminister.
Die Frankfurter Staatsanwaltschaft will dazu nichts sagen. Eine Anfrage dieser Zeitung zu Umfang und Stand der Ermittlungen wurde kurz und bündig abgewiesen: Auskünfte gibt’s keine – „aus ermittlungstaktischen Gründen“.
Erschienen in der FNP am 13.09.2013