Serie, Teil 4: Der letzte Trumpf des LKA

Er hat mit den Beamten des LKA Hessen zusammengearbeitet, hat sie (…) mit Infos versorgt und als Kronzeuge bei der Vorbereitung der Vereinsverbote gegen die Hells Angels unterstützt. Er hat dafür Geld bekommen, viel Geld – mit Dankbarkeit durfte er da wohl nicht mehr rechnen. Am Ende schoben sie ihn nach Israel ab, mit einem ganz billigen Trick.

Frankfurt/Wiesbaden. Im Wiesbadener Innenministerium und im nahe gelegenen Landeskriminalamt (LKA) sind sie seit Tagen hypernervös. Die Berichte in dieser Zeitung, wie unprofessionell gegen die Hells Angels vorgegangen wurde, dazu die Enthüllungen des Kronzeugen (…)

„Einige sind sauer, weil alles rausgekommen ist“, sagte gestern ein Ermittler. „Andere sind wütend, weil die angeblichen Top-Leute im LKA derart schlampig gearbeitet haben.“ Keiner verstehe, dass die monatelangen und hochgeheimen Ermittlungen gegen die Rocker offenbar allein auf den Aussagen eines vorbestraften Dachdeckers aufbauten, der als Hochstapler und Betrüger längst polizeibekannt war.

Und was kostete der ganze „Spaß“? Offiziell gibt’s dazu keine Auskunft. Überhaupt zeigt man sich im Wiesbadener Innenministerium äußerst wortkarg: Bereits vor zehn Tagen war ein Fragenkatalog von dieser Zeitung an die Pressestelle der Behörde gegangen. Die Reaktion: keine. Es gab keine Mail, keinen Anruf. Die Fragen wurden einfach ignoriert, ohne jede Erklärung.

Es kommt trotzdem alles heraus. So belegen neue Dokumente, dass der Kronzeuge zuletzt innerhalb von knapp neun Monaten mehr als 33 000 Euro von der Polizei bekommen hat. Sein Konto wurde manchmal mehrmals wöchentlich aufgefüllt. Allein auf den Transferlisten, die dieser Zeitung vorliegen, finden sich 49 Einzelbeträge zwischen 122 und 1419 Euro. Überwiesen wurde das Geld von Mainzer Zeugenschützern, die sich „Volker Welker“ und „Ferdinand Berger“ nannten.

Das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz teilte unterdessen ungefragt mit, die Zahlungen seien „auf Veranlassung der ermittlungsführenden Dienststelle in Hessen“ geleistet worden, alle Kosten dieses Falls würden natürlich vom Wiesbadener LKA getragen.

Die Geldlisten sind keinesfalls vollständig. Daniell M.-D. erzählt, ihm sei neben der regelmäßigen „Alimentierung“, wie sie das im LKA nennen, auch noch ein Jahr lang die Wohnung bezahlt worden, und zwar per Dauerauftrag. Die Miete betrug 6000 israelische Schekel, das sind umgerechnet 1200 Euro, das Geld wurde regelmäßig von der Naspa in Mainz aus überwiesen. Und die Kaution für die Wohnung habe das LKA auch übernommen. Und Geld für die Wohnungseinrichtung habe es auch gegeben. Und was man sonst noch zum Start im Gelobten Land benötigt, Kleidung, Haushaltsgegenstände, Telefon… hat alles das Landeskriminalamt in Hessen bezahlt.

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Wie ist der Mann eigentlich nach Israel gekommen? Wo er doch absolut pleite war, sogar eine eidesstattliche Versicherung abgegeben hatte, wonach er völlig mittellos sei.

Der Weg nach Israel war keine Reise, eher eine Abschiebung. Es spricht vieles dafür, dass die Beamten im LKA auch in diesem Fall ohne Rücksicht auf geltende Gesetze und Vorschriften gehandelt haben:

Es war September 2010, es passte längst nichts mehr zusammen: Der Kronzeuge saß im irischen Dublin, machte Urlaub auf Staatskosten, er langweilte sich, er war zu oft allein, er war unsicher, was ihm die Zukunft bringen würde.

In Wiesbaden waren zur gleichen Zeit die Ermittler extrem angespannt: Sie planten ihren größten Schlag gegen die Hells Angels, Razzien mit mehreren tausend Beamten, die Ende Dezember stattfinden sollten. Mehr und mehr mussten sie zu diesem Zeitpunkt realisieren, dass sie bei ihren Ermittlungen einem Schwadroneur aufgesessen waren, dessen Geschichten über das Treiben der Rocker sicherlich interessant klangen. Aber bei intensiverer Prüfung doch recht wenig strafrechtliche Substanz aufwiesen.

In dieser Situation fing dann der Kronzeuge auch noch an zu nerven: Er halte es nicht mehr aus, maulte er am Telefon, ja, er drohte sogar, er werde zur Presse gehen und sich offenbaren.

„Ich wollte, dass sich etwas bewegt, ich wollte wissen, wie es mit mir weitergehen sollte“, sagt Daniell M.-D. heute. Doch aus Hessen sei keine Antwort gekommen. Da rief er, von Irland aus, eine Journalistin in Berlin an, wollte ihr seine Geschichte, seine Sicht der Dinge erzählen.

Die Ermittler in Wiesbaden bekamen Wind davon. Und zogen umgehend die Reißleine. Schon am nächsten Tag, es war Anfang Oktober 2010, mailten sie nach Dublin: „Sofort zurückkommen!“ Ein E-Ticket legten sie gleich dazu.

„Stunden später landete ich in Hahn, wurde nach Frankfurt gefahren: direkt zum Flughafen“, erzählt Daniell M.-D. Und da hätten ihn die Ermittler gefragt: „Willst du mit uns kommen dann sperren wir dich ein. Oder du gehst dahin, wo du herkommst : nach Israel.“

„Sie gaben mir ein Ticket von Turkish Airlines, schleusten mich durch alle Passkontrollen und über Ankara flog ich nach Tel Aviv. Seitdem lebe ich hier.“ Er habe noch ein paar Mal versucht, mit den Beamten beim LKA zu reden: dass er doch nichts verbrochen habe, dass er seit vielen Jahren immer wieder für die Polizei gearbeitet habe, deshalb sollten sie ihm jetzt auch mal helfen, er wolle doch nur zurück nach Deutschland. Er muss damit ziemlich genervt haben. Es heißt, die Ermittler hätten deshalb ihren letzten Trumpf ausgespielt.

Mitte November 2010 ließen sie Daniell M.-D. noch einmal nach Deutschland einfliegen. Der zweite Prozesstermin wegen einer Betrugsgeschichte mit seiner früheren Dachdeckerfirma stand an (…).

Daniell M.-D. sagt, der Staatsanwalt habe für diesen Prozess den Verteidiger engagiert und auch bezahlt („Ich hatte ja kein Geld“). Dieser Anwalt habe ihm gesagt, alles sei geregelt, er würde 15 Monate mit Bewährung kriegen.

In der Verhandlung plädiert der Staatsanwalt auf 15 Monate mit Bewährung. Doch dann fällt der Richter das Urteil: Im Namen des Volkes: 15 Monate ohne Bewährung.

Daniell M.-D.: „Da haben die mich wohl richtig gelinkt.“ Er wird nicht verhaftet. Er muss nicht ins Gefängnis. Ermittler vom LKA steigen mit ihm ins Auto, und schon eine halbe Stunde später steht er wieder am Flughafen. „Eigentlich sollte ich meine Mutter besuchen dürfen. Aber die hatten mir schon den Rückflug gebucht.“ Zum Abschied hätten ihm die Ermittler noch gesagt: In Hessen sei er eine unerwünschte Person; würde er noch einmal in Deutschland einreisen, käme er sofort in Haft.

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Das war’s. Seitdem lebt Daniell M.-D., der (…) Kronzeuge des Wiesbadener Landeskriminalamts, der die größte Schlacht der hessischen Polizei gegen die Hells Angels ausgelöst hatte, die jedoch am Ende nur wenig gebracht hat, in Israel. Er hat inzwischen geheiratet, er hat vor einem Jahr einen Sohn bekommen, er hat einen festen Job. Er hat den Namen seiner Frau angenommen, ist mit ihr umgezogen, lebt in der Nähe des Gazastreifens. Die Ermittler im LKA wissen angeblich nicht, wie er heißt und wo er lebt.

Er sagt während des Videotelefonats, er wolle keinen Kontakt mehr zu den Beamten vom LKA haben. Am Bildschirm wirkt er aufgeräumt, zufrieden. „Bin ich auch“, sagt er, „eigentlich geht’s mir gut.“ Wenn nur der Krieg nicht wäre: „Das ist der einzige Grund, weshalb ich eigentlich lieber wieder in Deutschland leben möchte.“

Erschienen in der FNP am 08.02.2013